Ich solidarisiere mich - mit uns
Eine Definition für Solidarität gibt es nicht. Umso mehr kann dafür jeder versuchen seine Rolle in der Gesellschaft zu finden und dazu beizutragen, das beste für die Gemeinschaft und sich selbst zu erreichen. Wenn Solidarität auch individuell etwas anderes bedeuten mag, so ist es doch immer eins: Ein Band zwischen Menschen, das ihnen zeigt, dass sie letztlich eines sind. Unendlich vielfältig und doch gleich.
Es wundert mich ja kaum. Keiner kann mir eine allgemein gültige Definition für Solidarität geben. Nicht einmal Enzyklopädien und Wörterbücher sind sich dabei einig. Es wäre naheliegend zu behaupten, dass der Begriff schlichtweg zu global sei. Oder gerade eben das Gegenteil: zu individuell. Einen Begriff wie Solidarität aber, der sich in allen Foren, Plattformen, Organisationen, Parteiprogrammen, Verträgen, Verfassungen sowie in allerlei Abhandlungen wiederfindet, lässt sich nun einmal nur schwer bis kaum in ein universales Verständnis zusammenfassen. Dennoch haben alle diese Definitionen eines gemein: Solidarität stellt ein Band zwischen Menschen her, das ihnen zeigt, dass sie letztendlich eines sind: unendlich vielfältig und doch gleich.
Solidarität fängt zuerst bei mir selbst an. An jedem Tag, bei jeder Begegnung, jedem Austausch und jedem Gespräch mit Menschen, die in den meisten Fällen weder dieselbe Sprache sprechen, geschweige denn aus demselben Land oder gar Kontinent kommen und deren Alltag wenig mit meiner persönlichen Realität zu tun hat. In dem Moment, in dem ich mich jedoch entscheide, einen Schritt auf gerade jene Person zuzugehen, sie anzusprechen, zu fragen, ob es ihr gut gehe, die Prüfungen vergangene Woche auch gut gelaufen seien, sie sich schon auf den Wettbewerb übermorgen freue oder Hilfe bei der Vorbereitung auf ein Bewerbungsgespräch brauche, so zeige ihr meine Solidarität. Damit kann ich, unter anderem auch aus einer etwas egoistischen Perspektive, sehr wahrscheinlich mit der Sympathie dieser Person rechnen oder eine ähnliche Gegenfrage erwarten. Wenn aber nicht, dann verlasse ich das Gespräch dennoch mit der Gewissheit, eine Verbindung zwischen jenem Menschen und mir hergestellt zu haben. Ungeachtet dessen, ob das der Ausgangspunkt einer lang anhaltenden Freundschaft sein könnte oder sich der Kontakt auf eine einzige Unterhaltung beschränkt, habe ich meine Solidarität gezeigt, indem ich mich für das Leben, den Gemütszustand und die Zukunft einer anderen Person interessiert habe (und vice versa) und auf eine Weise mein „Schicksal“ mit seinem verbunden.
Diese Solidarität lässt sich weiterführen in die Arbeit. Sehr kleine Entscheidungen, die oft entweder auf Eigenprofit oder auf Aufopferung für jemanden basieren, können oft maßgeblich über den Ablauf der beruflichen Zukunft, die soziale Anerkennung sowie die alltägliche Arbeitsatmosphäre bestimmen. Dazu zählen einfache Freundlichkeiten, wie das Teilen beim täglichen Lunch, eine kleine Aufmerksamkeit zum Geburtstag oder die Gratulation zur Beförderung ebenso wie größere Dienste für andere, wie eine Hilfe bei der Fertigstellung eines Projekts, Übernahme eines Kunden oder einer Anfrage bei Schwierigkeiten oder die Korrektur eines entscheidenden Berichts. Alles Solidarität(en), Handeln im Sinne gemeinsamer Ziele und eines positiven Zusammenlebens.
Von der beruflichen Ebene lässt sich das ganz einfach auf eine gesellschaftliche Ebene heben. Die Beispiele hierfür wären unendlich und würden ohne Zweifel die Rahmen eines solchen Beitrags sprengen, ein Muster lässt sich jedoch in allen solidarischen Bewegungen wiederfinden: Der Wille, aus dem „Individuellen“ herauszutreten, um im Interesse einer größeren Gemeinschaft und sich selbst zu handeln, steht immer im Zentrum der gesellschaftlichen Solidarität. Das umfasst Initiativen, die versuchen, die Wünsche der Bevölkerung oder einer Gruppe in den Vordergrund zu stellen oder (friedliche) Demonstrationen, die darauf abzielen, konkrete Änderungen bei unzufriedenstellenden politischen Entwicklungen zu bewirken.
Unter dem Titel „N’oublions pas ce qui va bien“ (Vergessen wir nicht, was gut läuft) hat kürzlich erst ein französischer Journalist, konfrontiert mit den seit November 2018 vorherrschenden Ausschreitungen in Frankreich (das Land, in dem kaum ein Wort größer geschrieben wird als „fraternité“ –„Brüderlichkeit“), in seinem Kommentar in einer überregionalen Tageszeitung darauf hingewiesen, dass trotz eines Tagesgeschehens dass von „Pessimismus, Beschwerden und Gewalt“ gezeichnet ist, dennoch glücklicherweise „Oasen von Enthusiasmus“ überall zu finden seien. Dabei vergisst der Journalist auch nicht die wesentliche Rolle der (Print-)Medien hervorzuheben sowie deren Einfluss auf die kurz- wie langfristige Stimmungslage der Gesellschaft und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Die guten Nachrichten sind da, Lösungen ebenfalls.“ Und weiter: „Mögen wir in unseren Zeitungsspalten und Internetseiten zeigen, dass Initiativen im Überfluss und überall vorhanden sind. Dass der menschliche Zusammenhalt und die Solidarität weit davon entfernt sind, aus unserer Gesellschaft zu verschwinden.“
Darin liegt der Schlüssel. Solidarität gibt es, so lange es Menschen und deren Gemeinschaftsdenken gibt. Solidarität ist mehr als nur eine Basis für eine funktionierende Gesellschaft. Sie ist ebenso in jedem Gespräch, hinter jeder kleineren wie größeren Entscheidung, jeder Meinung und jeder Entwicklung versteckt. Eine Gemeinschaft ohne Solidarität wäre wie ein Haus ohne Fenster, Türen oder Gänge. Jeder würde sich in seiner Zelle wiederfinden, ohne Austausch, ohne Kooperation, ohne Fortschritt, ohne Perspektive, ohne Zukunft.
Bei der Vielzahl an Negativschlagzeilen und Missständen auf unserer Welt, die derzeit sooft unsere Medienlandschaft beschäftigen, hilft es dort hinzusehen, wo Solidarität gelebt wird. Und das kann und soll bei uns selbst anfangen: Wir Menschen mögen zwar aus Individualismus handeln, tatsächlich vorankommen werden wir aber nur, wenn damit das Wohl mehrerer Menschen, einer Gruppe, eines Landes oder einer ganzen Gemeinschaft von Gesellschaften bezweckt wird. Kurz: Wir müssen es schaffen, uns zu solidarisieren. Wir überleben nur, wenn wir in einem gemeinsamen Interesse handeln und dafür muss jeder zuvor versuchen, das Gegenüber zu verstehen und die eigene Blase zu verlassen. Und Solidarität leben.