Ich lass dann auch mal wieder was von mir hören
So richtig eingelebt hat sich milka in Estland noch nicht, aber sie hat auch nicht mehr Dauer-Heimweh. Beim On-Arrival-Training hat sie festgestellt, dass sie es gar nicht so schlecht getroffen hat.
Ich habe ja schon ziemlich lange nichts mehr hier rein geschrieben. Auf Drängen von meiner Mutter, man würde ja gar nichts mehr Neues von mir erfahren, schreibe ich dann doch mal was, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob sie die einzige ist, die das hier lesen wird. In der Zwischenzeit ist ziemlich viel passiert.
Ich fühle mich zwar immer noch nicht wirklich heimisch, aber dieses „nur hier weg“-Gefühl ist nicht mehr allgegenwärtig. Manchmal überfällt mich das Heimweh doch noch auf heimtückische Weise, aber das ist okay.
Ich hatte in der Zwischenzeit auch mein On-Arrival-Training. Das fand in einem nettem Hotel an der Ostseeküste, also hier eigentlich Westsee (das hat mich verwirrt, warum die hier Westsee heißt, aber ist ja nur logisch, liegt halt im Westen). Ich habe ganz viele nette Leute dort kennen gelernt. Es war echt nett. Wir haben beschlossen, dass wir uns besuchen werden. Ich hoffe mal, dass das klappt. Ich würde gerne mehr in Estland rumkommen. In Tallinn war ich ja jetzt schon mal.
Das ist vielleicht eine Stadt der Gegensätze. Die Altstadt ist voll idyllisch, lauter alte Häuser und die Stadtmauer. Man fühlt sich nicht, als ob man in einer Hauptstadt ist. Wenn man aber in die Außenbezirke kommt, stehen da lauter runtergekommene Wohnblocks rum. Ich habe in Tallinn bei einer Freiwilligen übernachtet, deren WG in so einem Wohnklotz ist. Nicht wirklich schöne Aussicht aus dem Fenster. Alle Häuser um einen rum sehen gleich aus. So Wohnblocks gibt es zwar auch in Tartu, aber nicht so extrem. In dem Moment war ich echt froh in Maarja Küla zu leben. Man ist zwar ziemlich vom Rest der Welt abgeschnitten, dafür lebt man nicht in so einer Betonwüste, das ist absolut nichts für mich.
Insgesamt habe ich auf dem On-Arrival-Training gemerkt, dass ich es mit meinem Projekt echt nicht so schlecht getroffen habe. Es waren welche dabei, die echt arm dran waren, da sie nicht mit den Projektverantwortlichen kommunizieren konnten und die Zustände manchmal nicht so doll waren.
Ich kann mich mit Tiina, der Hausleiterin des Hauses, in dem ich arbeite, auf Deutsch unterhalten, der Rest versteht Englisch. Das Problem sind die Bewohner, ihnen kann ich noch nicht wirklich mitteilen, was ich von ihnen will und umgekehrt verstehe ich nicht, was sie von mir wollen. Aber ich habe jetzt seit einer Woche endlich meinen Sprachunterricht, zusammen mit Christian, dem anderen deutschen Freiwilligen. Ich raff zwar gar nichts, aber ich hoffe, dass das noch besser wird. Es haben schon eine Menge Europäische Freiwillige Estnisch gelernt, warum sollte ich es nicht können? Brauch halt noch meine Zeit. Leider geht der Kurs nur bis Weihnachten, dann ist das Geld alle. Ist leider ein ziemlich teure Angelegenheit, da wir in einer privaten Sprachschule Unterricht bekommen, da der billige Kurs mangels Teilnehmern nicht zustande kam. Ich hoffe, dass ich dann bis Weihnachten soviel gelernt habe, dass ich mich verständigen kann.
Ansonsten bin ich relativ häufig alleine im Haus, da die anderen frei haben oder auf irgendwelchen Fortbildungen oder so sind. Bis jetzt gab es eigentlich noch keine Probleme, aber ich denke, ich werde auf dem Montagsmeeting, wo die gesamte Belegschaft versammelt ist, sagen, dass es mir lieber wäre, wenn noch immer jemand mit mir im Haus wäre. Ich habe zwar immer gesagt, dass es okay ist, wenn ich alleine bin. Aber ich weiß es nicht, was ich tun sollte, wenn die Situation außer Kontrolle geraten würde. In der Projektbeschreibung hieß es ja, dass wir das erste halbe Jahr nicht alleine sind. Soviel zur Theorie.
Auch heute bin ich wieder mal alleine. Mein Essen hat sogar den meisten geschmeckt, habe Pizza gemacht, dass geht schnell und wird von den meisten gegessen. Nur meinen Salat habe ich ziemlich alleine gegessen – was soll’s, dann ist für heute Abend auch noch was da.
Die Woche hatten wir eine Fortbildungsveranstaltung über zwei Tage. Das Thema war: SEX. Ganz toll, sie hätten doch mal mit was weniger komplizierten anfangen können. So haben wir uns zwei Tage darüber unterhalten, wie man geistig Behinderten beibringt, wie man masturbiert, damit sie keine Aggressionen entwickeln, da sie ihre sexuelle Energie abbauen könne. Das tollste waren die Lehrfilme, die wir uns angesehen haben. Anleitungen zur Selbstbefriedigung. Sehr interessant. ;-) So viel wie an diesen Tagen habe ich noch nie über Sex gehört. Es war schon ziemlich interessant, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es tatsächlich Leute gibt, die Selbstbefriedung lehren. Also das wäre auf alle Fälle kein Job für mich.
Ich habe hier eigentlich schon ziemlich viel erlebt. Zu Beispiel waren in Tartu Veranstaltungen zum Thema Orient und Okzident. Olivia, Christian und ich waren dort. Haben uns zuerst einen Vortrag über orientalische Musik angehört und sind dann auch noch am Abend auf das Konzert gegangen, da bei dem Vortrag nicht ganz so viel Musik gemacht wurde und wir uns sie aber gerne angehört wollten. Das lustige daran war, dass es zwei Personen waren, die den Vortrag und das Konzert gestaltet haben. Einmal ein Mann aus dem Iran und ein Deutscher. Ich wusste vorher nicht, dass er Deutscher ist, ich habe mir nur dauernd gedacht, dass er verdammt Deutsch aussieht, warum weiß ich nicht genau. Es war halt einfach so ein Gefühl. Und es hat sich ja auch bestätigt.
Wir haben sowieso auf dem On-Arrival-Training festgestellt, dass wir alle voll die Klischees verkörpern. Unsere Franzosen waren so französisch und der Rest hat auch irgendwie in sein Herkunftsland gepasst. Ja ja, die schönen Vorurteile.
Das war jetzt zwar alles ohne wirklich chronologische oder sonst eine Reihenfolge, aber jetzt ist mein Internettagebuch auch wieder auf dem neusten Stand. Aber jetzt reicht es fürs erste, ich werde versuchen, wieder öfter was hier einzutragen.