Hurra, die Gänse sind weg!
Nun, wo das Glück auf die Farm zurückgekehrt zu sein scheint, kann sich Johannson seiner geistlichen Wegfindung widmen. Nachdem er, nach längerer Zeit mal wieder, einen katholischen Gottesdienst besucht hatte, durften ihm diesmal die Zeugen Jehovas zeigen, was sie zu bieten haben.
Die frohe Kunde
Hurra, die Gänse sind weg! Luftballons und Feuerwerk steigen in den Himmel, Menschen mit Sektflaschen stehen auf den Strassen, lebenslange Feinde liegen sich in den Armen! Spontane Jubelfeiern im ganzen Land, Musik und Frohsinn überall, für einen Tag sind alle Sorgen vergessen! Die Gänse sind weg! Nein, nicht tot, aber zumindest muss ich sie nicht mehr sehen und vor allem nicht mehr hören. Ich hab keine Ahnung, wohin sie gekommen sind. Alles, was ich gesehen hab, war, wie diese weiß gefiederten Monster Sonntag auf einmal in ein Auto gepackt wurden und verschwanden. Und das ist alles, was ich wissen will.
Jetzt sitzt nur noch die kleine sympathische Ente allein im ganzen großen Gehege. Oh, ich bin mir sicher, sie hat genauso lange wie ich auf diesen Moment gewartet. Niemand mehr, der ihr Futter klaut, sie jagt oder sie beißen will. Mit etwas Glück äschert ein Blitz das Frettchen-Gehege ein und Bobby der Sittich kriegt endlich seinen wohlverdienten Herzinfarkt. Die Farm wäre ein makelloser Hort von Ruhe und Friedens.
Wasser & Brot
Ach, ist das schön. Und wenn ich Paul und Paul, dem Klempner, glauben kann, haben wir ab morgen wieder warmes Wasser und eine Heizung. Paul hat schon Schaumbad und eine Flasche Champagner gekauft. Ich glaub, ehrlich gesagt, nicht wirklich dran; wir haben soeben unsere normale Zuteilung Glück für die nächsten fünf Jahre aufgebraucht. Was wir mit Sicherheit entdeckt haben ist, dass wir trotz allem Wäsche waschen können (beziehungsweise die letzten fünf Wochen hätten waschen können), was ich augenblicklich ausnutzte, da ich absolut gar keine frischen Sachen mehr hatte. So langsam wird’s hier wieder richtig zivilisiert. Dank Hanni haben wir jetzt sogar wieder Nahrung im Haus! So richtige, hygienische, primär zum Essen gemachte Nahrung. Nie wieder Baumrinde und Tauben fangen.
2005: Odyssey im Omnibus
Mit Hanni war ich nämlich wieder unterwegs. Samstag, wie gesagt, auf Grund des Wetters bei ihr im Haus, besser gesagt Zimmer, da das Haus ja momentan in Besitz einer Gastfamilie mit fünf Hunden und nervigen Kindern ist. Leider konnten wir nicht einmal draußen spazieren gehen, weil das Baby im Haus und Familie weg war. So haben wir nur so rum gesessen und nichts gemacht, was aber irgendwie auch sehr angenehm war.
Am Tag darauf hab ich eine von ihren Zeugen-Jehovas-Versammlungen besucht, wobei diese zweistündige Bibel-Lesung noch das Entspannteste war. Denn es war Sonntag und vor halb elf kriegt man so absolut gar keinen Bus von der Colliery. Deshalb musste ich, zu einer unchristlichen Zeit aus dem Bett gefallen und nicht einmal Gelegenheit zum Frühstücken gehabt, gleich als erstes hoch zum Village laufen. Die Linie ist dann doch durch meinen normalen Busstopp gefahren, was dann schon irgendwie frustrierend war. Zu allem Übel wusste ich auch noch, dass sie mich nicht einmal in die Nähe von Peterlees Stadtzentrum brachte. Was dann eine weitere Dreiviertel Stunde Laufen bedeutete, wie ich im Schweiße meines Angesichts herausfand, nachdem ich nach dem Weg gefragt und dieser nette ältere Herr mir gesagt hatte „Also, die nächste Strasse rechts, die dann gaaaaanz bis zum Ende gehen. Dann die nächste Strasse rechts und die dann gaaaaanz bis zum Ende gehen. Und dann noch einmal rechts und dann müsstest Du es eigentlich schon sehen.“ Sobald ich in diese erste Strasse einbog sah ich, dass sie lang und vor allem bergauf war.
Bibelstunde
Sparen wir uns den Rest. Ich kam rechtzeitig auf diesem Hügel an, von dem aus man im Übrigen einen sehr netten Ausblick hat. Hanni kam etwas später, und dann hat das auch schon angefangen: zunächst eine äußerst unprofessionelle Predigt (deren Thema ich schon wieder vergessen habe) und danach zwei Stunden langes Studium einer ihrer berühmten Zeitschriften, diesmal ging es um den Artikel, wie eine Ehe zu führen sei.
Ich frage mich, wie diese Leute soweit kommen, sich darüber Gedanken zu machen, wenn man a) nur heiraten soll, wenn man sich wirklich sicher ist, aber b) erst gar keine Beziehung anfangen soll, wenn man nicht gleich heiraten will. Zumindest wollte mir keiner was verkaufen oder meine Kreditkarte haben (wenn ich eine hätte), nur zwei bunte Magazine konnte ich nicht ablehnen, da ist mein Vorhaben gescheitert.
Aber alles in allem war das alles sehr seriös. Und ich muss zugeben, die Leute beschäftigen sich wirklich mit der Materie und sind offensichtlich ehrlich an der Sache sowie – noch beeindruckender – an ihrer Umsetzung interessiert. Auch wenn der Schwerpunkt auf dem Studium eines zentral herausgegebenen Magazins mit de facto Lesekontrolle liegt. Alles in allem fand ich es jedenfalls interessant, wie schon letzte Woche bei den Katholiken.
Wer nicht hören will
Hanni hat mich der halben Gemeinde vorgestellt und ich hab dutzende Hände geschüttelt und brav gelächelt. Danach sind wir den ganzen Weg wieder runter zum Busbahnhof marschiert. Dabei kamen wir an ASDA vorbei und sahen, dass die sogar sonntags aufhaben, was ich zum erwähnten Aufstocken meiner Essensreserven genutzt habe. Wir sind dann zusammen zurück nach Easington Colliery gefahren, damit auch sie mal die Farm sehen kann.
Na ja, es war nicht so schick aufgeräumt wie letztes Mal. Ehrlich gesagt war die Küche ein Schlachtfeld, wie es nur Männerhaushalte produzieren können. Aber ich hab uns einen Pfad zwischen Spüle, Herd und Esstisch getrampelt und wir haben ein sehr, sehr schönes Mittagessen gezaubert. Das war einfach wunderbar. Auf so eine Gelegenheit hab ich beinahe acht Monate gewartet; zusammen Kochen und Essen hat irgendwie was. Hmmhhh, lecker Fertignudeln mit Fertigsauce, Fertigsalat und Fertigschinken (klein geschnitten und gebrutzelt), die ganze Qualität englischen Essens auf zwei Tellern. Leider wollte Hanni danach auf Teufel komm raus abwaschen und ich musste sie am Ende von der Spüle wegtragen, weil alles gute Zureden über mich und meine Einstellung zu Gästen nichts half.
Hund mit Hirn
In der Zeit wurden auch die Gänse abgeholt. Deswegen bin ich atemlos nach draußen gestürmt, um zusammen mit dem, inzwischen von einem Spaziergang zurück gekehrten Paul zu feiern. Wo wir schon einmal da waren, sind wir gleich los und ich hab Hanni ein Stück unserer Küste gezeigt, auch wenn es inzwischen wolkig und kalt geworden war. Kurz nach vier sind wir dann wieder hoch zum Village gelaufen, wo ihr einziger direkter Bus nach Wheatley Hill fuhr.
Vorher mussten wir aber noch Dot, einer von Rons kleinen Hunden, loswerden. Die ist uns den ganzen Weg die Klippen entlang gefolgt. Zurück an der Farm hab ich sie in den Stall gebracht, nur um daraufhin ihre Schwester Spot um Hanni herumtanzend zu finden, die am Tor wartete. Auch Spot wurde wieder in den Stall gesperrt. Doch kaum kehre ich zurück, finde ich Dot am Tor. Die ist einfach durch die Hintertür wieder raus. Tja, ist nicht jeder Hund so dumm wie Rocky.
Aber gut, wir sind dann doch irgendwann ohne Begleitung losgekommen und Hanni hat planmäßig ihren Bus gekriegt. Am Wochenende wollen wir zu Freunden von ihr nach Halifax. Ich hoffe mal, das lohnt sich, denn Paul meinte, ihn würden da keine zehn Pferde hinkriegen. Aber zumindest verreise ich mal nicht allein. Außerdem hoff ich nächstes Wochenende, was ja dank Bank Holiday ein langes ist, nach Edinburgh zu kommen. Leider sind schon fast alle bezahlbaren Tickets ausgebucht und Claudia weiß noch nicht, ob sie mich unterbringen kann oder nicht.
Arbeitsmoral
Arbeitsmäßig machen wir uns diese Woche endlich an den Abbau dieses großen Schuppens, der vor drei Monaten im Sturm zerstört wurde. Das ist anstrengende Arbeit, aber man verdient sich sein Abendbrot und fühlt sich super (sobald man etwas zwischen die Zähne gekriegt hat). Dazu scheint die Sonne, zumindest solange wir arbeiten, ansonsten regnet es immer noch aus Kübeln.
Montagnachmittag bin ich nach Hawthorn Dene gelaufen, um dort eine Brücke zu inspizieren, die laut einem Spaziergänger weggewaschen wurde. Oh Mann, und wie weggewaschen die ist! Die war einmal einbetoniert. Und alles, was ich fand, war ein Rohr am Rand dieses reißenden Stroms liegend, der mal ein netter kleiner Bach war. Das ganze Ufer war weggerissen, und befand sich jetzt auf dem Weg über den Strand zum Meer. Der Lauf war um ein Drittel breiter. Der Weg bricht da auf einmal einfach ab. Mein Chef hatte mir zu verstehen gegeben, den gesamten Nachmittag so auszufüllen, was ich natürlich nur zähneknirschend akzeptiert habe. So hab ich einen genaueren Blick auf alles geworfen und unter einem Felsen ein weggeworfenes Fahrrad gefunden. Weil sich sonst keiner drum kümmern würde, man mit dem Landrover nicht dorthin kommt und wir es ohnehin per Hand hoch holen müssten, bin ich da runter gestiegen und hab es den ganzen Weg über Beacon Hill zurück zur Farm getragen. Bin ein wenig stolz auf mich…
Konzentration aufs Wesentliche
Montag ist mir was wirklich Ärgerliches passiert. Wie immer bin ich wissbegierig und hoch motiviert zum Französisch nach Newcastle gefahren, wo ich den Kurs in totalem Chaos vorfand. Wie mir dann schonend beigebracht wurde, haben diese inkompetenten Anfänger die zur Auswahl stehenden Themen unserer schriftlichen Prüfungen durcheinander gebracht. Was effektiv hieß, dass ich zwei Drittel der Arbeit wiederholen, zwei von drei Aufsätzen neu schreiben musste. Zwei Abende absolut sinnlos verschwendet, wo ich ohnehin schon auf die Minute ausgeplant bin. Diese Woche stehe ich eh schon unter wahnsinnigem Stress, weil sowieso viel zu tun ist und ich so kaum Zeit haben werde, die neuen Aufsätze vernünftig zu kontrollieren.
Und die neuen Themen sind noch langweiliger als die alten. Die Hälfte davon ist über Umweltschutz, was ich als Thema absolut hasse. Damit haben sie uns die letzten fünf Jahre in der Schule gequält; sinnloses Herunterbeten von Flugblättern. Mein Gott, wie kann man so etwas Dämliches veranstalten! Ich hab ja in den letzten Jahren unglaubliche Unfähigkeit erlebt, aber uns falsche Themen für eine Prüfung zu geben, wo es in Französisch eigentlich ohnehin egal ist, worüber wir schreiben, solang wir es überhaupt schaffen... Madame Isabelle war zwar sichtlich am Boden zerstört, aber ich hab mich trotzdem ziemlich aufgeregt.
Aber all das ist egal, denn nur eines zählt: Die Gänse sind weg!