Holländische Berge.
Holland und Berge? Moment... Wie geht das dann mit dem Fahrrad?
Das ist schon seltsam mit dem (oder das?) human mind, da versuche ich seit Ewigkeiten mal wieder zu schreiben aber krieg kein Wort raus - oder zumindest nichts, was sich wichtig oder interessant anfühlt. Aber dann ganz plötzlich, ohne das etwas allzu wichtiges oder interessantes passiert wäre, fühle ich mich furchtbar inspiriert und kreativ und -
Ach, oder ich lasse die Wichtigtuerei und schaue der Wahrheit ins Gesicht: Ich prokrastiniere. Ein Wort, das nicht einmal meinem Rechtschreibprogramm bekannt ist, also nochmal die Übersetzung für Fachwortfaule: Aufschieberitis. Wieder ein Wort, das rot unterkringelt bleiben wird, aber damit steht es so langsam in diesem Absatz eh nicht mehr alleine da.
Ja, alles tun außer das, was man tun sollte - während dem EVS war das ja ein unvorstellbares Konzept, musste ich doch Beschäftigungen an den Haaren herbeiziehen. Jetzt aber holt mich der Schleier meiner Schulzeit wieder ein: Willkommen an der Uni!
Damit gehört das zu den wenigen Sachen, die man sich hier nicht leisten sollte, gibt es doch so viel zu tun, ob nun studienrelevant oder nicht. Aber seine Zeit damit zu verplempern, nachher gleich dann was fürs Studium zu machen, das ist echt bitter. Ganz oder gar wär nun wirklich mal ein gutes Motto.
Zu den Dingen, die ich gerade nicht tue, gehören also: einen Business-Letter schreiben, Utensilien für den Werbespot-Dreh morgen raussuchen, Theoriezeugs lesen, die Aufgaben für Psychological Aspects of Communication machen, einen Paragraphen über Englisch lernen schreiben, eine Seite über meine kulturelle Identität schreiben, noch mehr Theorie lesen oder auch die Deutschländer-Würstchen-Werbung analysieren. Oder auch Niederländisch lernen.
Ich mag mein Studium, es ist interessant und ich hab schon viele wissenschaftliche Erklärungen für ganz normalen Wahnsinn entdecken dürfen, aber man hat wirklich immer das zu tun. Nach den letzten, na sagen wir 15 eher stressfreien Monaten, ist das echt gewöhnungsbedürftig.
Um aber beim Positiven zu bleiben: Groningen ist eine Stadt, in der MUSS man studieren. Jeder vierte hier tut das auch und ist dabei überdurchschnittlich zufrieden. Die Stadt bietet alles, was wir wollen und das in sehr angenehmer Art und Weise. Party ist jeden Abend, auf jeden Fall aber montags, mittwochs, donnerstags, freitags und samstags. Pubs sind generell auch immer ein bisschen Club, Bier ist billig, Eintritt frei und Garderobe oft auch, falls es eine gibt. Alles ist so nah beieinander, dass man - wenn überhaupt - nur Minuten von A nach B braucht, daher bleibt man selten die ganze Nacht am selben Ort, sondern schaut weiter und bleibt, wo es gefällt, so lange es gefällt. Der Dresscode ist easy, jeder wie er mag. Die Stimmung ist friedlich, offen, international.
Auch tagsüber ist viel los, die Hälfte der Einwohner ist noch unter 35 und bewegt sich. Fahrrad ist das Transportmittel der Wahl und Groningen ist auch für niederländische Standarts eine Fahrradstadt. Fahrräder sind allgegenwärtig, ebenso Fahrradständer oder als Abstellbereiche eingeplante Freiflächen.
Bis etwa 15 Uhr ist vor der Uni und der Hochschule regelmäßig besondere Aufmerksamkeit beim Fahrradabstellen gefragt, der Ort sollte sich möglichst genau eingeprägt werden, denn wer um 9 kommt ist vielleicht noch einer der ersten, erlebt dann aber mittags sein blaues Wunder wenn sein Drahtesel nun irgendwo eher rechts stand... denn "eher rechts" stehen dann auch noch hunderte andere Räder.
Kein Wunder also, dass man auf farbige Sattelüberzüge zurückgreift, oder gleich das ganze Ding in einer möglichst auffälligen Farbe anmalt.
Auch ich hatte schon meine Schrecksekunden, denn das Schlimmste, was dir hier passieren kann, ist ein geklautes Fahrrad. Und traurigerweise kommt das ja auch in dieser Nation inzwischen vor.
Aber das ändert alles nichts daran, dass ich inzwischen furchtbar aufs Fahrradfahren stehe, mich über die inkompetenten Fahrer um mich herum aufrege und stolz bin, wenn ich heil durch die fiesesten Engpässe und brenzligsten Verkehrssituationen komme. Und diese Stadt liebe. Und mein Studium mag. Und prokrastiniere. Aber jetzt ist Schluss.
PS.
Die ersten 5 Fotos musste ich von Google mopsen. Irgendwie konnte ich hier noch nicht die Touri-Nummer schieben.