Grenzerfahrung Europa – Erfahrung an Europas Grenzen
Europas Außen- und Innengrenzen.
Grenzerfahrung Europa – Erfahrung an Europas Außengrenzen
In die EU einzureisen bedeutet, Europas Grenzen überqueren. Von Russland nach Estland zu reisen ist nicht wie in Europa reisen, einfach von einem Land in andere, ohne Reisepass, wann ich Lust habe, ohne die Grenzen überhaupt zu bemerken. Stattdessen bedeutet das, mit dem Bus vor dem Grenzübergang zu warten, bis wir an der Reihe sind. Zeit, um ein letztes Mal eine russische Toilette zu benutzen: renovierungsbedürftig, das Wasser ist nicht zum Trinken geeignet. Dann rein ins Grenzhäuschen zur Kontrolle, mit sämtlichem Gepäck, alles wird durchleuchtet. Das kritische Buch über Pussy-Riot, das mir schon bei der Einreise Probleme bereitet hatte, habe ich lieber zurückgelassen. Diesmal ist es ein Reisejournal über Estland, das genauer untersucht wird. Wurst, Käse und andere Milchprodukte dürfen auch nicht mitgeführt werden. Also noch schnell das Brot mit russischem Käse aufessen. Weiter zur Passkontrolle. Vor mir läuft alles problemlos, nur mein Pass scheint nicht einwandfrei zu sein. Die Grenzbeamtin schaut mich aufmerksam an, dann wieder das Foto in meinem Reisepass, dann nochmal mich. Sie blättert weiter zum Visum, versucht etwas in den Computer einzuscannen, versucht es nochmal und nochmal. Mit fragendem Gesicht schaue ich sie an, aber ohne etwas zu sagen geht sie mit meinem Ausweis zu einem anderen Mitarbeiter, klärt irgendetwas ab. „Das sind keine schlechten Leute, die haben das eben nur schlecht ausgeführt“, ist alles, was ich von dem Gespräch mitbekomme. Welche Leute haben was schlecht ausgeführt? Ich werde es wohl nie erfahren, denn es scheint doch alles in Ordnung zu sein; ich bekomme einen letzten Stempel zu den zahlreichen anderen gedrückt und habe die russische Grenze überquert.
Zurück in den Bus, der im Niemandsland hinter der Grenze wartet. Vor einem Duty-Free-Shop stehen Reisende und machen Fotos. Ein Polizist weist sie darauf hin, dass Fotografieren an der Grenze strengstens untersagt ist. „Hoffentlich gibt das jetzt keine Probleme, letztes Mal haben wir eine ganze Stunde warten müssen, weil jemand fotografiert hat“, sorgt sich eine Mitreisende. Aber diesmal geht alles gut. Die Fotos werden unter polizeilicher Aufsicht von der Kamera gelöscht und es geht weiter. „Sie verlassen das Gebiet der Russischen Föderation“, erklärt uns ein Schild. Wir überqueren ein winziges Grenzbächlein, dann begrüßt uns ein weiteres Schild: „Willkommen in der EU. Sie betreten das Gebiet Estlands.“
Auch hier wieder warten, bis wir an der Reihe sind. Ich fülle meine Wasserflasche auf, Dank europäischen Qualitätsvorschriften kann man in in der EU Wasser aus Wasserhähnen trinken. Dieses Mal muss nicht ich an der Passkontrolle lange warten, sondern die Russin vor mir. „Wer hat Ihnen das Visum ausgestellt? Wohin reisen sie genau? Zu welchem Zweck? Wie lange? Wie kommen Sie zurück? Haben Sie ein Rückflugticket?“ Hat sie, aber sie hat es noch nicht ausgedruckt und kann es deshalb nicht vorzeigen. Die Beamtin will einen Kollegen rufen, aber es ist niemand in Reichweite. Schließlich gibt sie sich damit zufrieden, dass die Russin ihr die Adresse der Freundin nennen kann, bei der sie in Tallinn wohnen wird. „Haben Sie eine doppelte Staatsbürgerschaft?“, ist dann das einzige, was sie von mir wissen will. „Nein, ich bin EU-Bürgerin“, antworte ich ihr, sie untersucht meinen Ausweis kurz und schon komme ich zur Gepäckkontrolle. Auch hier wird alles durchleuchtet, Probleme scheint es aber keine zu geben. Also hieve ich ein letztes Mal mein Leben, verpackt in zwei Koffern, in den Bus. Ich bin wieder in Europa. Schon fast Zuhause.
Grenzerfahrung Europa – Erfahrung an Europas Innengrenzen
Drei Tage später. Wir fahren von Deutschland in die Niederlande, Freunde besuchen. Die Grenze: Ein Schild auf der Autobahn, das uns in den Niederlanden willkommen heißt. Sonst nichts. Kein Stopp. Keine Kontrolle. Europa.
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