Gott achtet uns, wenn wir arbeiten. Aber Gott liebt uns, wenn wir tanzen.
Warum laufen, wenn mensch tanzen kann? Und Tanzen gibt es hier genug.
Und das beschreibt in etwa auch schon den ganzen Kaukasus. Was könnte ich nicht alles schreiben über die Arbeitseinstellung von vielen hier, die mich immer wieder zum Lachen bringt. Erstmal ist es wichtig, bei der Arbeit anwesend zu sein. Arbeiten an sich ist hingegen nicht annähernd so wichtig. Erst gestern meinte ein Freiwilliger der Organisation, der gerade damit beauftragt wurde, einige Texte vom Englischen ins Aserbaidschanische zu übersetzen und den ich ständig ermunterte, dies auch zu tun und nicht nur bei Facebook die Statusmeldungen und Fotos aller seiner Freunde zu liken: „Aber wenn ich damit fertig bin, bekomme ich ja neue Arbeit zu geteilt.“ Diese Aussage hat wirklich meinen kompletten Abend erheitert. Aber so ist das nun mal. Gott achtet uns eben nur, wenn wir arbeiten. Aber wenn wir tanzen, dann liebt Gott uns. Eigentlich ist das keine aserbaidschanische Weisheit, sondern ein arabisches Sprichwort, aber es trifft eben auch auf Aserbaidschan zu. Denn Tanzen gehört zum Lebensgefühl. Und dieses Lebensgefühl hat mein Herz im Sturm erobert.
Dabei ist Tanzen nicht gleich Tanzen. Aserbaidschanische Tänze, aber auch die Tänze, die ich in Georgien gesehen habe, sind so unterschiedlich zu unseren Tänzen in Europa. In aller erster Linie ist erst mal maximale Beinarbeit gefragt. Die Beine werden abwechseln nach links und rechts, vor und zurück und überhaupt überall hin geschleudert. Dabei gibt es eine bestimmte Reihenfolge, die ich noch nicht erkannt habe. Diese Unkenntnis hindert mich jedoch nicht daran, bei Feiern und sogar beim Granatapfelfest auf der Straße mit kleinen Schulkindern, die als Hühnchen verkleidet waren, meine aserbaidschanische Tanzfähigkeit zu testen oder auszubauen.
Momentan versuche ich jedoch noch, dabei nicht hinzufallen, mir ein Bein zu brechen oder meine Beine komplett zu verknoten. Und die Arme müssen einfach in regelmäßigen Abständen, die ich ebenfalls noch nicht ganz durchschaut habe, hinterm Kopf verschränkt werden. Allerdings immer nur ein Arm. Der andere hängt in der Zwischenzeit dann ausgestreckt vom Körper weg. Und dann wird der Arm gewechselt. Das macht wirklich Spaß und ist richtig, richtig anstrengend. Die Blicke, die ich während des Tanzens ernte, sind irgendwas zwischen Belustigung, weil ich dabei wahrscheinlich nicht gerade graziös aussehe, und Anerkennung, weil ich es überhaupt versuche. Und es ist wirklich erstaunlich, wie leicht das bei vielen Aserbaidschanerinnen und Aserbaidschanern aussieht. Ein schönes Beispiel findet sich hier. hier
Aber nicht nur die Tänze sind anders. Auch die Art, wie mit Tanzen umgegangen wird. In Deutschland hätte ich mir nie träumen lassen, einfach mal vom Schreibtisch aufzustehen und mit meinen Arbeitskolleginnen und -kollegen im Büro zu tanzen. Ganz egal, ob wir dabei aserbaidschanische oder amerikanische oder sonst welche Musik hören. Manchmal braucht mensch eben eine Pause vom vielen Anwesendsein und dann wird einfach mal das Tanzbein geschwungen. Das erhöht die Laune im Büro sofort um einige Tausend Prozent.
Und auch in Georgien hatte ich die Gelegenheit, viele neue Tänze kennenzulernen. Während unseres On-arrival trainings wurden wir eines schönen Abends alle in zwei Busse gekarrt und dann ging es in ein Restaurant, dass wahnsinnig leckere georgische Spezialitäten servierte. Als Digestif, sozusagen, gab es dann traditionelle georgische Tänze von einer lokalen Tanzgruppe serviert. Die Tänze zu beschreiben wäre dann doch zu viel des Guten. Und warum auch, wenn ich sie doch alle mit meiner Kamera filmen konnte. Einen von mir mit Liebe zusammen gestellten Mix gibt es hier. (Entschuldigt die schlechte Qualität, aber dank des schlechten Internets hier dauert es Stunden oder auch Tage, ein Video mit guter Qualität hochzuladen.) Der dritte Tanz (die Herren in silber-schwarz und die Dame in der Kittelschürze), den sie performten, erinnert mich an aserbaidschanische Tänze. Ihr könnt euch also vorstellen, wie anstrengend es ist. Und ich glaube immer noch, dass die Tänzerin im ersten Tanz heimlich Rollerskates an hatte. Wie kann es sonst möglich sein, dass sie eher schwebend als tanzend erscheint? Und habt ihr auch bemerkt, dass sich die weiblichen und männlichen Tänzer_innen nicht berühren? Das ist ein Grundprinzip im kaukasischen Tanz-Einmaleins. Anfassen ist nicht. Wie groß der Unterschied für die Tänzer_innen und Angestellten des Restaurants gewesen sein muss, als wir, animiert von den tollen Tänzen und der Musik, nach Abschluss des Auftritts der Tanzgruppe selber ein wenig tanzten und Männer und Frauen sich dabei berührten und ganz im Sinne unserer westlichen Hip-Hop-Tanz-Erziehung sogar etwas enger und aufreizender tanzten.
Und nicht nur den Angestellten im Restaurant mag das als große Hürde erscheinen. In meinem neu eingeführten Tanzkurs (neue Strategie, um meinen Kulturschock mit Tanzen zu verarbeiten - klappt soweit sehr gut) in der Jugendorganisation, in der ich meinen Freiwilligendienst absolviere, haben sich alle Teilnehmer_innen gewünscht, dass ich ihnen Salsa beibringe. Erstens, ich, Salsa? Ich bin nun nicht gerade die Fachfrau für Salsa. Aber wozu wurde Youtube denn erfunden? Schnell ein Einleitungsvideo bei Youtube geschaut, mit Henning drei mal geübt und dann ging es in den Kurs. Allerdings brauchten wir einige Aufwärmlieder und Vertrauensaufbauarbeit, damit ich den Teilnehmer_innen näher bringen konnte, dass sie sich leider anfassen und berühren müssen, wenn sie Salsa tanzen wollen. Ich habe ihnen dafür aber eine nicht ganz so enge Tanzposition gezeigt. Das wäre sonst ein bisschen zu viel Kulturschock für sie gewesen. Und mein Tanzlehrerindasein scheint auch gar nicht schlecht gewesen zu sein. Alle Teilnehmer_innen und Henning und ich verließen den Kurs mit einem Lachen. Und ein paar Tage später bekam ich eine Anfrage von einem neuen, lokalen Fitnessstudio für Frauen, ob ich dort Salsa unterrichten könnten... Und damit endet vorläufig das Märchen von dem tanzenden Mädchen, dass auszog, Aserbaidschan zu erkunden und durch Zufall dort Salsalehrerin wurde. In diesem Sinne: Hals- und Beinbruch!