Getafe Negro
Viel Wirbel, Smalltalk mit bekannten Autoren und Tatort mit Untertiteln bei dem Krimifestival Getafe Negro.
Die Ankündigung war klar: im Oktober darf niemand Urlaub nehmen, wegen dem Krimifestival Getafe Negro. Das wird seit acht Jahren in der kleinen Stadt südlich von Madrid veranstaltet und jedes Jahr wird ein anderes Gastland eingeladen, dieses Jahr Deutschland und deshalb die Kooperation mit dem Goethe-Institut. Da geht's dann nicht die ganze Zeit um Deutschland, es sind auch viele spanische Autoren und Künstler da, und es finden nicht nur langweilige Reden statt, sondern auch Konzerte, Theater und Filmvorführungen. In meiner ersten Woche bekam ich gleich die ersten Aufträge: Pressemitteilungen schreiben, Informationen für die eingeladenen Autoren zusammenstellen, Flyer gestalten, die Veranstaltungen in den Terminkalender auf der Webseite eintragen, Check-Ins machen, Ordner für die Autoren vorbereiten... Die Veranstalter wurden von Anfang an als nicht besonders zuverlässig angekündigt und ständig änderte sich etwas, zudem war auf der Webseite selbst zwei Wochen vor Beginn immer noch kein Programm verfügbar. Mit einigen Autoren mussten wir deshalb viele Mails austauschen, bis alles geklärt war. Die ehemalige Markthalle, die renoviert wurde, konnte knapp einen Tag vor dem Beginn geöffnet werden. In der Besprechung vor Beginn des Festivals wurden alle Mitarbeiter zum Flughafendienst eingeteilt: also die Autoren vom Flughafen abholen und jeweils zu den Veranstaltungen begleiten. Meine Kollegin war schon etwas nervös, glaube ich. Wir hatten eine "schwarze Kasse" (caja negra wegen Getafe negro), um Geld für eine eventuelle Taxifahrt zu haben, falls die Chauffeure aus Getafe nicht kämen.
Dementsprechend war ich bei dem ersten Gast, Andrea Maria Schenkel mit ihrer Tocher, auch etwas nervös und viel zu früh am Flughafen. Zum Glück fand ich schnell den Chauffeur, der pünktlich da war und auch ein Schild mit ihrem Namen hochhielt. Wir redeten ein wenig und ich entspannte mich. Die Türen gingen auf und Menschen strömten heraus und nach einer Weile die beiden- ich erkannte Frau Schenkel sofort. Wir gaben uns die Hand und man hörte schon in der Begrüßung ihren bayerischen Akzent. Gemeinsam gingen wir zum Auto, ein großer schwarzer Volvo mit dem Logo des Festivals an den Türen. Ich staunte- damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Auf der Fahrt unterhielten wir uns und ich bekam den Eindruck, eine ganz normale Frau vor mir zu haben, die halt Glück hatte und mit Tannöd großen Erfolg. Das Einchecken im Hotel klappte auch- die Dame an der Rezeption wusste, wen sie vor sich hatte- nur das Zimmer war noch nicht bereit. Deshalb schickte ich die beiden Richtung Zentrum, wo sich eine Bar an die andere reiht. Abends sollte die Veranstaltung sein, eine Filmvorführung des Films Tannöd und ein Gespräch mit ihr, davor noch eine Pressekonferenz. Dort war ich dann freizeitlich mit anderen Praktis, da ich Tannöd noch gar nicht kannte. Am beeindruckendsten war die Übersetzerin, die gleichzeitig der Autorin übersetzt hat und bei den Antworten superschnell mitgeschrieben hat, dass sie nichts vergisst.
Die Woche darauf bekam ich von Getafe Negro nicht viel mit. Einmal war Sebastian Fitzek in der Bibliothek und gab Pressegespräche, aber da ich im Büro saß, hörte ich nur manchmal seine Stimme. Viele Veranstaltungen, die mich auch interessiert hätten, fanden während der Arbeitszeit statt oder in Getafe, sodass ich es nicht pünktlich geschafft hätte. Die Leiterin und die organisierende Kollegin waren kaum da. Nunja, in der Bibliothek musste ja auch jemand bleiben und den Laden schmeißen.
Am Donnerstagabend hatte ich dann wieder Flughafendienst, diesmal sollte Fred Breinersdorfer abgeholt werden. Ich war wieder etwas nervös, weil mir erst kurz zuvor bewusst geworden war, wie bekannt er eigentlich ist. Zum Beispiel hat er für "Elser" das Drehbuch geschrieben- einen Film, den ich sehr toll fand. Eigentlich müsste ich echt nicht aufgeregt sein, weil ich wusste, dass jetzt mit den Fahrern alles klappt- ich hatte ihn auch schnell an seinem schwarzen T-Shirt mit dem weißen Raben erkannt. Wir stellten uns mit unseren Schildern an den Ausgang, ich mit einem wehmütigen Seitenblick auf die glücklichen Menschen, die am Flughafen wiedervereint wurden. Herr Breinersdorfer lächelte, als er unsere Schilder sah, seine Freundin sah wohl gar nicht genau hin, da sie eine Sonnenbrille trug. Wir gaben uns die Hand und ich nahm ihm seine Tasche ab (wie eine Gentlefrau). Auf dem Weg zum Auto beschwerte Herr Breinersdorfer sich etwas über die engen Sitze im Flugzeug und bat um einen Platz am Notausgang auf dem Rückflug. Im Auto sah er sein Programm durch und ordnete zusätzliche Informationen über seine Gesprächspartner in den Veranstaltungen an. Wird gemacht, Señor! Seine Freundin sagte nichts. Man merkte einfach, dass man einen erfahrenen Mann vor sich hat und dass ich als Praktikantin nicht ganz so viel Ahnung habe. Der Check-In klappte diesmal reibungslos, alles war bereit und ich verwies wieder auf die Straße mit den vielen Bars.
Freitagabend war es wieder so weit: ich sollte die Lesung von Rosa Ribas und Sabine Hofmann betreuen. Die beiden sind ein sehr interessantes, spanisch-deutsches Autorinnen-Duo und sehr selbständig. Sie wollten keine Begleitung vom Flughafen und hatten ihren "Fanclub" bei den Lesungen dabei. Zum Veranstaltungsort, eine öffentliche Bibliothek, wollten sie laufen. Ich wartete, ging in die Bibliothek und schaute in den Saal, ging wieder nach draußen, fragte meine Kollegin nach der Nummer der Autorin und dann kamen sie doch noch pünktlich. Der Saal war zu einem Drittel gefüllt und die Leiterin der Bibliothek begrüßte die Gäste, fügte aber gleich im Anschluss hinzu, dass der Saal frisch gestrichen worden sei und deshalb rieche, aber die ökologische Farbe sei nicht schädlich und außerdem sollten wir die Jacken anlassen, da die Heizung erst die Woche darauf angemacht würde. Der Moderator David Barba fing eine gute Unterhaltung an, Rosa Ribas antwortete meistens. Sie hat eine sehr angenehme Art zu sprechen und zu erzählen, sie wirkt auch insgesamt sehr jung trotz ihres Alters. Sabine Hofmann war etwas schüchtern, konnte aber ohne Übersetzer auf alle Fragen antworten und brachte mich zum Schmunzeln, als sie ein Wort nicht wusste und "aus einem Guss" einfach auf Deutsch sagte. Das spanische Publikum hat das natürlich nicht verstanden. Die anwesenden Leute waren allesamt sehr interessiert und stellten viele Fragen, es hätte noch lange so weitergehen können, doch irgendwann hob der Moderator zu einem Schlusswort an. Frau Hofmann fragte nach ihren Abfahrtinfos und Rosa lud mich noch zum Mitkommen mit ihren Freunden ein. Ich lehnte dankend ab, weil ich wirklich sehr müde war- und ich bereute es sofort danach. Wann bekommt man noch mal die Chance, unverbindlich mit bekannten Autorinnen Bier zu trinken?
Am nächsten Abend zum Tatort war ich wieder fit. Die anderen Praktis konnten sich nicht entschließen, den weiten Weg nach Getafe anzutreten, daher ging ich allein- traf aber gleich am Eingang den Freund von meinem Kollegen, der Breinersdorfer zur Veranstaltung begleiten durfte. Die Podiumsdiskussion davor war noch in vollem Gange (ein feministisches Thema zieht sich immer in die Länge), sodass Breinersdorfer schon etwas ungeduldig wurde (wie mir erzählt wurde). Zuerst wurden kurz die Gäste vorgestellt, Breinersdorfer in total sympathisch in Jeans und einfachem Pullover, die anderen beiden spanisch-schick. Dann wurde die Bühne für den einzigartigen Fernseher freigemacht, der aus neun Bildschirmen zusammengesetzt wurde und auf dem der Tatort "Im Schmerz geboren" gezeigt werden sollte. Wir hatten uns vorsichtshalber in die erste Reihe gesetzt. Tatort mit spanischen Untertiteln ist wirklich eine interessante Erfahrung. Ich genoss es, den guten Film noch mal zu sehen, achtete viel mehr auf die Musik als beim ersten Mal Angucken, aber vermisste nach einer Weile auf dem harten Klappstuhl mein Bett bzw. die weichen Sessel im Zweitwohnsitz (Potsdamer Tatort-Café). Das Gespräch im Anschluss wurde durch ein nicht funktionierendes Übersetzer-Headset aufgehalten und dann war der erste Satz von Beinersdorfer: Es sei eine Schande, so einen guten Film auf so einem schlechten Bildschirm zu zeigen. Im Laufe des Gesprächs wurde der spanische Gast immer stiller, denn angesichts der Erfahrung von Breinersdorfer konnte er nicht mithalten. Aber immerhin hatte sich der Moderator ganz gut über das Konzept Tatort informiert und konnte das seinen Landsleuten verständlich erklären.
Anschließend durfte ich im Auto wieder zurückfahren. Oh nein, dachte ich, bestimmt sagt er deutlich seine Meinung über die nicht so gelungene Veranstaltung. Doch kein Ton. Mein Kollege erzählte von dem Aufwand mit den Untertiteln und dass man es nur einmal zeigen dürfte, da bot er sofort seine Kontakte an. Über die Elektro-Fahrräder in Madrid kamen wir auf Berlin, dann auf Potsdam, dann auf Königsbronn und den Film Elser und schließlich zu den Flüchtlingen. Das Gespräch verging wie im Flug und am Hotel angekommen verabschiedete er sich mit "Vielleicht sieht man sich ja mal in Berlin" und zwei Wangenküsschen. Mein Eindruck von Donnerstag hatte sich komplett revidiert! Eigentlich hätte die Fahrt noch ein bisschen länger dauern können...
Gestern saßen wir bei Kaffee und Kuchen in der Bibliothek zusammen und werteten die Vorbereitung und die Veranstaltungen aus. Es kamen viele Kritikpunkte ins Protokoll, aber auch die Idee, zukünftig einen Nutzen aus dem Festival zu ziehen und evtl. noch mal zusammen zu arbeiten. Damit ist das Thema erst einmal abgeschlossen für mich und langsam müssen wir auch mal an unser nächstes (Praktikanten-) Projekt denken- den Adventskalender.