Geburtstagsbesuch – Spuren meiner schlesischen Geschichte
Alle starrten uns an und ich kam mir so unglaublich prollig vor und wünschte mir, in einem Pferdewagen zu erscheinen, der sicher besser in das Ortsbild gepasst hätte. Wir waren die Attraktion des Tages, eine deutsche Familie, die sich auf den Spuren ihrer Familie in ein polnisches Dorf verirrt hatte, in dem die Zeit nach der Vertreibung gestehen geblieben scheint.Ein starker Kontrast zur darauffolgenden Wroclawer Stadttour mit meiner Familie.
Zuerst hatte ich etwas dagegen, dass meine Familie mich besuchen kommt. Schliesslich bin ich ein Jahr weg und will auch alles alleine schaffen. Und meine Freunde, die zur Zeit in Australien und Kenya durchschlagen (ich finde das Wort trifft es, weil ich manchmal denke: „Einfach nur irgendwie durchkommen“) werden auch ein Jahr ohne ihre Eltern leben. Aber nachdem meine Eltern und meine Oma hier waren, bin ich doch echt glücklich, dass sie hergefahren sind.
Ich konnte ihnen „mein“ Breslau zeigen und zum ersten Mal waren meine Eltern auf mich angewiesen. Es war auch recht lustig mit anzusehen, wie sie ueber die gleichen Dinge staunen, wie ich auch zu Beginn. Es hat mich an meine Anfangszeit erinnert und ich habe rueckblickend mit einem gewissen Hauch von Stolz festgestellt, was ich schon alles erreicht habe.
Ich glaube, ich habe sie von der Schönheit Polens überzeugt. Vielleicht gerade, weil sie, zugegebenermassen wie die meisten nichts erwartet haben, waren sie umso überraschter. Wir haben natürlich Rynek mit seinem berühmten Rathaus gesehen, wir sind aber auch in den Schweidtnitzer Keller gegangen, in dem ich selbst noch nicht war. Gemäß dem Reisefuehrer: Wer nicht im Schweidnitzer Keller war, ist nicht in Breslau gewesen! musste ich das also dringend nachholen. Es ist eines der ältesten Restaurants Europas und das älteste Polens, eröffnet 1273. Dann hatte ich eigentlich geplant durch die Altstadt zu gehen bis zu den Inseln auf denen sich, vor allem abends, die Studenten treffen und auf denen am Wochenende immer irgendein Fest stattfindet. Nachdem wir aber die Oper bestaunt hatten und einfach nicht den Weg zum Hauptbahnhof gefunden haben, sind wir zufällig in eine Demo zur Legalisierung von Marihuana geraten. Am Ende hatten wir den halben Weg zu den Inseln geschafft und sind dann in der Galerie Dominikańska hängen geblieben. Eine riesige Galerie zum Shoppen und Essen. Am Ende des Tages waren wir so fertig und hungrig, dass wir auch nicht mehr zu den Fontänen bei der Hala Stulecia gefahren sind. Das heisst, sie müssen auf jeden Fall nochmal wieder kommen, damit ich ihnen den angeblich sehenswerten Hauptbahnhof, die Fontänen und die Inseln zeigen kann.
Spuren meiner schlesischen Vergangenheit
Zufälligerweise, und das war wirklich kein Beweggrund für mich nach Breslau zu gehen, kommt die Familie mütterlicherseits von meinem Vater aus einem klitzekleinen Vorort von Breslau – Zachowice. Seine Oma hat ihm wohl ganz viele Geschichten über ihr Dorf und das Leben dort erzählt, aber mich hat bislang nicht wirklich viel damit verbunden. Wahrscheinlich auch, weil ich seine Mutter leider nie kennengelernt habe.
Mein Vater, der auch vorher noch nie in Polen war, hatte die Möglichkeit nutzen wollen und einmal in das fremde und fuer ihn doch so bekannte Zachowice zu fahren. Er hatte zahlreiche Bilder dabei, die seine Familie in aller Eile in ihr kleines Fluechtlingsgepäck gestopft hat. Erschreckenderweise konnten wir fast alle Häuser wiedererkennen, weil sich seit 1945 im Grunde nichts getan hat in dem Dorf. Ein paar Fenster wurden zugespachtelt, eine Tür versetzt, aber das war‘s auch. Selbst der Putz, bzw. das, was davon noch übrig ist, war der gleiche. Es ist komisch, sich vorzustellen, dass vor mehr als 70 Jahren auf genau diesem Bürgersteig meine Vorfahren entlang gegangen sind. Sich unterhalten haben, geschuftet, gestritten und vertrugen. Wie sie sonntags in der Kirche gesessen haben, getauft, konformiert, verheiratet und beerdigt wurden. Wer weiss, wie viele Generationen meiner Familie hier gelebt haben. Und nun stehe ich hier, in einem Ort, mit dem ich historisch so eng verwurzelt bin und der mir doch nichts bedeutet.
Wir sind in dem Firmenauto meines Vaters vorgefahren. Vorbei an der einzigen Bushaltestelle im Ort, in dessen Häuschen ein Sozialarbeiter gerade das Geld für den kommenden Monat verteilte. Wahrscheinlich war das ganze Dorf auf den Beinen, weil hier zum einen vermutlich alle auf die wenigen Złoty angewiesen sind und weil zum anderen hier rein gar nichts passiert. So waren wir die Attraktion des Tages. Alle starrten uns an und ich kam mir so unglaublich prollig vor und wünschte mir in einem Pferdewagen zu erscheinen, der sicher besser in das Ortsbild gepasst hätte. Meine Mutter meinte, dass die Einwohner, die ihrerseits selbst vertrieben wurden aus den ehemaligen östlichen Teilen Polens, befürchten, dass wir Ansprüche auf unseren Familienbesitz erheben könnten. Nachdem die Grenze geöffnet wurde, kam das wohl häufiger vor. Doch ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand aus der zweiten Generation noch Ansprüche stellt. Mein Vater sagt immer, dass schon in der Bibel stand: Sieben Generationen sollt ihr leiden.“ Seltsam, wie viel Wahrheit doch in dieser Aussage steckt. Ich bin nun die dritte Generation und dennoch werde ich sicher auch meinen Kindern von diesem seltsamen Dorf in der polnischen Provinz erzählen. Ganz in der Nähe einer grossen Stadt in der junge Menschen aus der ganzen Welt auf Polnisch, Englisch, und Deutsch studieren, Freundschaften schliessen und über Dinge diskutieren von denen in Zachowice noch nie jemand etwas gehoert hat.
Wenn bedenkt, dass Polen seit 2004 Mitglied der EU ist und ein direkter Nachbar von Deutschland, dann ist es schon erstaunlich, wie es in dem Land auf dem Land aussieht. Als sei der Krieg gerade zu Ende gegangen. Wie kann das sein?
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