Frankreichs koloniales Erbe
Die Zeit von Kolonien, Übersee-Gebieten und Konzessionen ist längst vorbei? Nicht in Frankreich! Über Frankreichs koloniales Erbe - und seine Gegenwart.
Was macht man mit unliebsamen Bürgern, mit Mördern, Prostituierten und Bettlern? Napoleon III. jedenfalls nahm sich ein Beispiel an den Briten und schickte insgesamt 25.000 Sträflinge in seine am weitesten von Frankreich entfernte Kolonie, nach Neukaledonien, einer Inselgruppe im Südpazifik. Nachdem sie ihre Strafen abgebüßt hatten, indem sie Infrastruktur bauten, auf Zuckerrohrplantagen schufteten oder in Nickelminen arbeiteten, bekamen sie Land.
Tatsächlich war es aber kein unbewohntes Land, sondern gehörte den dort lebenden, melanesichen Stämmen, die bei der Eroberung der Inseln brutal vertrieben wurden. So leben 1921 nur noch knapp die Hälfte von ihnen, in Reservaten eingepfercht und ihrer Kultur beraubt.
Diese unrühmliche Geschichte wird heute nicht mehr gerne thematisiert, berichtete Emmanuelle Eriale, welche ein Museum über eben diese Vergangenheit eröffnen wollte. Die Eröffnung des Museums wurde allerdings verhindert, viele möchten sich nicht mit der zweifelhaften Herkunft ihrer Vorfahren auseinandersetzen - oder mit Schuld.
Seit Mitte der 80er Jahre läuft ein Antrag auf Dekolonisation bei der UNO, 1998 wurde mit der Regierung in Paris vereinbart, innerhalb der nächsten zwanzig Jahre ein Unabhängigkeitsreferendum zu halten - es ändert sich aber nichts. Und das liegt an der gesellschaftlichen Spaltung auf Kaledonien: Während einige Parteien die Unabhängigkeit fordern, sehen andere keinen Nachteil in dem Verbund mit Frankreich. Vor allem, da es noch keine realistischen Alternativen zur französischen Fremdherrschaft gibt. Daher ziehen es viele vor, französisch zu bleiben. Auch, da es Kaledonien im Gegensatz zu vielen anderen Südsee-Staaten sehr gut geht: Die medizinische Versorgung ist auf dem Niveau Frankreichs, das Angebot an Waren und Produkten ebenso und auch die Kanak, die ursprünglichen Bewohner Kaledoniens, haben größtenteils ihr Land zurückerhalten und wirtschaften relativ autonom.
Das liegt vor allem daran, dass Kaledonien im Gegensatz zu beispielsweise Guadeloupe oder Mayotte nicht vollständig von Paris aus regiert wird, sondern in vielen Bereichen unabhängig ist: Verteidigung, innere Sicherheit, Finanzen und Justiz sind noch die Kompetenzen der französischen Regierung, der wird lokal selber verwaltet. Und es fließt viel Geld aus Frankreich in die Insel, die Zuschüsse sind ungefährer 20% des Bruttoinlandsprodukts und damit unverzichtbar.
Davon profitieren allerdings nicht alle: Äußerlich bilden Kanak- und Französischstämmige eine bunte Mischung, aber es gibt gravierende Unterschiede. So bleiben Weiße in den Chefposten in Verwaltung und Wirtschaft relativ unter sich , es wird wenig untereinander geheiratet und es sind auffälliger Weise auch fast nur Weiße, welche für die französische Herrschaft stimmen. Gerade auch durch den Zuzug vieler Franzosen vermindert sich der prozentuale Anteil der Kanak, und damit auch auch der Stimmen für die Unabhängigkeit.
Welches Interesse hat aber Frankreich daran, die Inselgruppe an sich zu halten? Es sind dieselben wie damals: Kaledonien ist das französische Standbein im Pazifik, es ist ein unglaublicher ökonomischer Faktor mit seiner riesigen Sonderwirtschaftszone und ein Absatzmarkt für Frankreich und ein Ressourcenschatz. Kaledonien sei die „Präsenz in der Welt, die der Großartigkeit unseres Landes (Frankreich) entspricht.“ Betonte der französische Ministerpräsident Manuel Valls. Präsenz in der Welt? Auf fremden Boden? Alleine diese Rhetorik zeigt, welche kolonialen Denkmuster noch immer europäische Politik durchziehen. Deswegen ist es immer noch wichtig, sich mit Kolonialismus und seinen Konsequenzen auseinanderzusetzen, auch wenn diese Zeiten längst in Geschichtsbüchern stehen: Viel hat sich in der Politik nicht geändert, welche vielleicht mittlerweile nicht mehr blutige Eroberungskriege führt, aber mit anderen Mitteln Länder und Völker strukturell ausbeutet. Der Prozess der Dekolonialisierung wird wohl noch leider lange dauern, aber es ist auch die Aufgabe unserer Generation in Zeiten zunehmender Migration, diese alten Narrative zu brechen.