Fluchtgeschichten: Die Jesiden
Sie haben einen langen Weg zurückgelegt und haben eine ungewisse Zukunft vor sich- Die besondere Geschichte der Jesiden, einem von Diskriminierung und Gewalt bedrohtem Volk
Viele Kinder – Das ist das Erste, was mir auffällt, als ich in Aprovalta, Griechenland, ankomme, ein kleiner Küstenort im Norden des Landes. Sie überfallen mich nahezu, klettern auf mir rum und lachen lauthals. Trotzdem wirken sie anders als andere Kinder: Sie kennen keine Angst, keine Scheu, sie trauen jedem Fremden. Das sind sichtbare Zeichen ihrer Flucht, bei der sie viele Menschen verloren haben, sie extremen Situationen ausgesetzt waren und weite Strecken zurückgelegt haben. Und so beginnt meine Arbeit mit Lifting Hands International für jesidische Flüchtlinge aus dem Irak.
Schon ihr Name verrät viel über diese Menschen: Jeside kommt von Ized, was so viel wie Engel heißt. Diese stehen im Zentrum ihrer Religion, einer mystischen Mischung aus islamischen Elementen und alten kurdischen Religionen. Ein Engel in Form eines Pfaus nimmt dabei die höchste Position ein, und sie glauben an Wiedergeburt, ähnlich dem Buddhismus. Viel weiß man nicht über ihre besondere Religion oder über ihre Herkunft, da das meiste über geistliche Gesänge und mündliche Geschichtserzählungen überliefert wurde und nach außen streng geheim gehalten wird.
Sie gehören zu den kurdischen Stämmen, und als Kurden und Nichtmuslime bilden sie gleich im doppelten Sinne eine Minderheit. Das begründet ihre traurige Geschichte von Diskriminierung und Emigration: In ihren Siedlungsgebieten im Nord-Irak, im Südosten der Türkei und im nördlichen Syrien wurden sie großenteils zur Emigration gezwungen, bis hin zur Zwangsumsiedlung. So leben heute viele der circa 300.000 bis 750.000 Jesiden in Deutschland (circa 30.000), wo sie ihre Religion frei leben können.
Aufgrund der mystischen Elemente wird sie von vielen Muslimen nicht akzeptiert, von einigen sogar als Blasphemie und Teufelsanbetung diffamiert, was auch den Grund zum Genozid an den Jesiden lieferte: Mit dem islamistisch motivierten Anschlag auf das irakische Sindschar von 2007 wurden zwei Dörfer völlig ausgelöscht, über 500 Jeziden starben und viele weitere wurden verletzt. 2014 wurde dann die Stadt Baschiqa überfallen, nachdem sich die kurdischen Peschmega-Kämpfer zurückziehen mussten- Hier wurden über 5000 Menschen getötet und weitere 7000 verschleppt. Aufgrund der ethischen Dimension dieser Bluttaten werden sie als Völkermord seitens der UN deklariert.
Seitdem werden sie systematisch vom sogenannten IS verfolgt, was sie zur Flucht in das weit entfernte Europa treibt. Viele stranden auf ihrer Flucht in Griechenland, wo sie auf ihre Relokalisierung im Zuge des Dublin2-Verfahren warten.
Aber auch hier, in den internationalen Flüchtlingscamps, treten immer wieder Probleme und Spannungen zwischen Jesiden und muslimischen Flüchtlingen auf – Von beiden Seiten. Aber wie können auch hochgradig traumatisierte Flüchtlinge unter so schlechten Lebensbedingungen und auf engsten Raum friedlich zusammenleben? Die Entlastung Griechenlands und Italiens durch die EU ist so dringend nötig wie nie zuvor.