Ferien in Sisian
Ich weiß es ja, ich wollte weiterschreiben, meine Geschichte fortsetzen.
Ich weiß es, doch die Fortsetzung meiner Geschichte wurde trotzdem Geschichte (wegen einer noch schöneren Geschichte).
Das Ende der Geschichte sollte vom zweiten Treffen am Kinderbahnhof handeln, von Tatev und von Susan, aber dann war viel Zeit für Freizeit und ich nahm mir eine schreibfreie Zeit, und beschloss dass das Ende der Geschichte schon geschrieben war.
Richtig, die Geschichte ist schön und mir wichtig, doch in Sisian erschien mir der ganze alte Kram nicht mehr entscheidend. Ich entschied mich also lieber über Sisian zu schreiben und über eine Zeit zu schreiben, die in mir vieles verändert hat: eine Zeit des Nachdenkens und eine Zeit, die mir das wahre Leben wieder vor Augen geführt hat: Ein Leben, gemeinsam mit Kindern, "alten Menschen", ein Leben in einer Familie.
Wer die Geschichte meines Blogs gelesen hat weiß, dass ich schon vorher familiär über meine Zeit in Armenien berichten konnte, aber erst in der Familie in Sisian fand ich den richtigen Humor wieder; einen Humor, den ich vorher ein bisschen vergessen hatte, auch wenn das Lesen meines Blogs für euch lustig schien und ihr mir jetzt kaum glauben könnt.
In Sisian war die Natur überwältigend, es war eine neue Welt für mich, wobei ich natürlich nicht nur die Natur meine, sondern auch das Leben in der Familie. Ich begann zu verstehen, wie entspannt der Tag beginnt (schon in Gyumri ist es sehr entspannt zugegangen, mit Arbeitszeiten ab 11 Uhr). In Sisian aber sah ich, dass um 11 Uhr manchmal noch alles schlief, in einer traumhaften Natur gelegen (womit ich NATÜRLICH nicht meine, dass die Leute im Freien pennten), die eine entspannte Atmosphäre aufkommen lies.
Es war allerdings dennoch nicht alles so entspannt in Sisian wie es auf den ersten Blick aussah, aber alle Probleme und Meinungsverschiedenheiten wurden in einer großen Gruppe gelöst und, so viel verstand ich ohne viele Wörter zu verstehen, am Ende waren sich immer alle wieder einig. Ja, nein: Jahr(!), nein!: Neujahr ist das richtige Stichwort: das armenische Neujahr in einer Familie zu verbringen war die erste neue Erfahrung im neuen Jahr für mich. Eine Erfahrung durch welche ich Menschen kennengelernt habe. Jüngere und ältere Menschen, die meinen Blick und meine Gefühle zu verändern wussten.
Es ist schon komisch. Es lässt sich nicht alles lässig vorhersagen. Ich hatte mich eigentlich gefreut, dass bei meinem EVS im YIC überwiegend junge Leute meines Alters vor Ort sein würden, doch nun bin ich froh darüber Susans Großeltern und ihre kleinen Cousinen kennengelernt zu haben, was für mich viel witziger war als eine wirklich saublöde Feier in unserer EVSler-Wohnung wenige Tage vor meiner Reise nach Sisian. "Naja, liebe Sisianer, ob ihr euch alle über mich ebenso gefreut habt, wie ich mich über euch, lässt sich leicht sagen: Nein!" Susans jüngste, dreijährige Cousine Mary hatte Angst vor mir, aber ansonsten war es für alle Leute toll zusammenzukommen. Unser Neujahrstrinksprucherzähler gab uns meistens ironische Gründe der Fröhlichkeit mit auf den Weg, zum Beispiel wünschte er uns dass die Armenisch-Deutschen-Beziehungen weiterhin so gut wie in der Vergangenheit sein sollten, wobei sie wohl, oder besser gesagt nicht wohl, nie wirklich gut waren. Außerdem stieß er auf Personen an, die zu jener Zeit zerstritten waren, und lobte deren "harmonische" Freundschaften. Obwohl also das weniger Fröhliche indirekt zur Sprache kam, (auch bei der Neujahrsansprache im Fernsehen gab es von Susans Familie einige Kommentare über den in Susans Familie weniger beliebten Präsidenten zu hören), freuten wir uns doch alle über das Jahr 2016. Ich bin Sisian unendlich dankbar: - Susan bin ich dankbar dafür, dass sie mir als beste Touristenführerin und Freundin der Welt eine der schönsten Gegenden Armeniens gezeigt hat - Gugo danke ich, weil ich weiß, dass auch wenn alles schneeweiß ist, man die Energie nicht verliert, und sein Motor uns doch noch bis zur 7000 Jahre alten Uhr, die auch Armenian Stonehedge genannt wird, bringen kann -Nare danke ich, weil sie einfach nett zu mir war und es so unglaublich viel Spaß gemacht hat, ihr deutsch beizubringen -Susans Eltern danke ich, weil sie mich einfach toll versorgt haben, auch wenn bei mir als Vegetarier der Hase nicht so läuft, dass er als Kanninchen aus dem eigenen Garten in den eigenen Kochtopf kommen würde. Ich würde nicht nur vor Wut kochen, weil ich nicht kochen kann...
Am Ende muss ich euch noch eine ernste Geschichte erzählen. Augrund der aus meiner Sicht bescheuerten Wehrpflicht in Armenien waren einige nicht so sehr in Neujahrsstimmung. Susans Bruder Garnik war nämlich am 1.Januar nicht in Sisian, sondern bei der "arme(e)nischen" Armee. Ich hoffe solche Tage wie in Sisian noch öfter erleben zu können, vielleicht auch in Sisian selbst. Die Fröhlichkeit Nares beim Deutschlernen und unseren Spielen, die Gastfreundschaft der ganzen Familie, das alles lässt mich Sisian vermissen. Vielleicht treffe ich nächstes Mal wirklich die ganze Familie in Sisian, einschließlich Garnik!
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