EVS zeigt mir Europa
,,Ich finde Europa toll. Es ist eine tolle Idee."
,,Darf ich Du oder Sie zu Ihnen sagen?“, fragte sie mich während unseres Telefongesprächs.
,,Natürlich dürfen Sie mich duzen, Sie dürfen gerne Du zu mir sagen, ich bin doch noch nicht so alt.“
Daraufhin antwortet Sie mir: ,,Das ist schön. Wir sind ja auch schon befreundet.“
Den Telefonhörer in der Hand, ein breites Lächeln, eine Stimme, die fast schreit: Das freut mich. Ich freue mich Sie bald wieder zu treffen.“
So schaut ein normales Telefonat mit meinen Klienten, meinen Ersatz-Grosseltern oder Freunden aus. Am Anfang waren alle für mich meine Klienten, die ich wöchentlich Zuhause besuche und ihnen dort helfe, wo gerade Hilfe benötigt wird. Nach einem halben Jahr verstehe ich, was ein ehemaliger Freiwilliger zu mir sagte: Sie sind nicht nur Klienten oder Omis und Opis. Nein, sie sind gute Freunde.
Eine ziemlich komische Vorstellung, dass eine 20-jährige Deutsche mit einer 85-jährigen Tschechin befreundet ist, die vor 60 Jahren in Theresienstadt war und wegen den Nazis ihre Kindheit in einem Ghetto verbracht hat. Eine Frau, die ihre ganze Familie wegen den Nazis verloren hat. Vor allem ihren Bruder, auf den wir beim nächsten Treffen zu sprachen kamen.
Während wir spazieren gingen, fragte sie mich, ob ich Geschwister habe. ,,Ja, ich habe einen jüngeren Bruder.“ Ihre sehnsüchtige Antwort: ,,Es ist schön einen Bruder zu haben.“
In solchen Momenten schnürrt es mir das Herz zu. Schuldgefühle kommen auf. Traurigkeit. Sprachlosigkeit. Wie selbstverständlich ich erzähle, dass ich einen Bruder habe, doch wie schlimm ihre Antwort auf diese einfache Frage ist, da sie ihren Bruder in einem KZ verloren hat.
Einmal fragte mich ein Jugendlicher, dem ich erzählte, dass ich mich in Prag, um Opfer des Nationalsozialismus, vor allem Zwangsarbeiter, kümmere und diese Leute zuhause besuche, warum ich das mache? Ihm reicht es schon, wenn er einmal im Monat seine Grosseltern besucht.
Lieber Freund, der mir diese Frage stellte:
Vielleicht muss man manche Leute öfter besuchen, ihr Vertrauen gewinnen, ihnen ein guter Freund sein und ihnen zeigen, dass sie, wenn sie Geschichten aus ihrem Leben erzählen die spannendsten Gesprächspartner sind und keineswegs alte Leute, die immer nur von früher irgendetwas erzählen.
In der Schule bekommt man oft zu hören, dass man aus der Vergangenheit für die Zukunft etwas lernt und das man versuchen muss es zu verhindern, dass sich so etwas wie der 2.
Weltkrieg wiederholt.
Ein Spruch, den man schon tausendmal hörte. Dieser Spruch wirkt sich ganz anderst aus, wenn ein über 80-jähriger Mann vor einem steht, der einen Todesmarsch von Auschwitz nach Mauthausen überlebte und einem am Ende seines Vortrags sagt: ,,Die Deutschen waren vor dem 2. Weltkrieg eine starke Macht und sind es jetzt wieder. Die Deutschen sind tüchtig, fleißig und haben schöne Frauen. Ohne Deutschland gäbe es die EU nicht.“
In diesem Moment wurde ich sehr nachdenklich und mir wurde bewusst, wie wichtig es für mich ist, dass ich ein europäisches Freiwilligenjahr mache.
In meinem EVS habe ich so viele Freundschaften geschlossen mit neuen Bekannten aus ganz Europa, dass ich mir bewusst bin, wie wichtig Europa ist, nicht nur auf wirtschaftlicher oder politischer Ebenen, sondern für uns
Freunde halten zusammen, egal in welchem Land sie wohnen und das ist für mich das Wichtigste, was ich für meine Klienten machen kann, die alle vom Krieg betroffen waren:
Obwohl viele junge Deutsche vielleicht immer noch das Klischee der Tüchtigkeit erfüllen, kann ich ihnen zeigen, dass diese jungen Leute, aber auch für Europa sind und Freunde in anderen Ländern suchen und keine Feinde.
Ein großes Vorbild sollte für uns alle einer meiner 90-jährigen Freunde sein, der im Krieg in verschiedenen Städten Trümmer wegräumen musste und während des Kommunismus im Gefängnis war, weil er flüchten wollte und der einmal bei einem Besuch zu mir sagte:
Ich finde Europa toll. Es ist eine tolle Idee.
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