ESTLAND | Top Ten
Was in keinem Reiseführer über Estland steht, verrät janhkorte. Worauf man bei Wasserhähnen achten sollte, was es mit blauen Schuhen auf sich hat und warum der Frühling dort kein ungetrübtes Vergnügen ist.
Hier zehn Besonderheiten, die mir in letzter Zeit im schönen Estland aufgefallen sind, von Banalem zu Nachdenklichem! Viel Spaß!
1. Wasserhähne sind anders
Bei den meisten estnischen Wasserhähnen kommt warmes Wasser, wenn man nach rechts aufdreht, und kaltes, wenn man nach links aufdreht. Genau andersrum als wir es in Deutschland gewohnt sind. Sehr verwirrend und hat bei mir des Öfteren schon zu Brandblasen oder Frostbeulen geführt
2. Angepasste Barbies
Kaum zu glauben, aber wahr: Als ich neulich im Rimi einkaufen war, musste ich feststellen, dass Barbie-Puppen meistens doch irgendwie die einheimische Bevölkerung widerspiegeln. Die estnischen Barbies sind sehr, sehr leicht bekleidet, viel mehr geschminkt als die Barbies meiner Schwester, denen ich vor ein paar Jahren noch als kleiner Junge die langen Haare abschnitt und mit Filzstift verunstaltete. Sie wirken genauso künstlich wie viele Mädels hier, egal ob Russinnen oder Estinnen, in beiden Gruppen findet man solche Prachtexemplare. Aber Ausnahmen bestätigen ja zum Glück die Regel.
3. Flaggensucht
Schon wieder die Tram. Schon wieder mit zwei Flaggen drauf. Die estnische, klar! Und dann noch so eine, was könnte es wohl sein? Ungarn? Italien? Irland? Noch was anderes? Bei jeder möglichen Gelegenheit, wenn ein ausländischer Staatsgast gerade zu Besuch ist, wenn mal wieder irgendein nationaler Feiertag begangen wird - und davon gibt es in Estland unglaublich viele, sei es der Tag der Unabhängigkeit, der Tag der Wiedererlangung der Unabhängigkeit oder der Johannestag -, wenn jemand von nationalem Rang gestorben ist - wie der ehemalige und erste estnische Staatspräsident seit der Unabhängigkeit 1991, Lennart Meri, über dessen Tod die eine Hälfte des Volkes unglaublich tief betroffen war, tagelang geweint hat und nicht zur Arbeit gekommen ist (ohne Übertreibung) und die andere Hälfte noch nicht mal mit der Wimper gezuckt hat - oder man einfach mal wieder Lust hat, seine Vaterlandsliebe zu zeigen, werden die Flaggen wieder aus dem Schrank geholt und an einem der unzähligen Mäste gehisst. Es scheint mir gerade so, als hätte jeder Apartmentblock seine eigene Fahne. In Deutschland würde es so was nicht geben. Noch nicht mal in Finnland, wo schon sehr viele Flaggen wehen, ist das so schlimm. Estland, der Flaggenweltmeister!
4. Nummern ziehen
Oft wird den Deutschen ja Ordnungsliebe und ein gewisser Hang zur Bürokratie nachgesagt. Die Leute, die dieser Ansicht sind, sollten mal nach Estland kommen! Einfach chaotisches Warten in wirren Schlangen gibt es hier nicht, nein! Für alles wird ordentlich eine Nummer gezogen, und man wartet solange, bis man aufgerufen beziehungsweise die Nummer auf dem Display erscheint (man ist ja modern). Sei es in der Bank, der Einwanderungsbehörde, im Postamt, beim Handyanbieter oder sogar beim Arztbesuch. Manchmal ist das echt ein bisschen übertrieben!
5. Blaue Schuhe im Krankenhaus
Neulich versuchte ich, einen Dermatologen aufzusuchen. Das allein stellte sich schon als Problem heraus, und unter einem Monat Wartezeit ließ sich dabei sowieso nichts machen. Trotzdem probierte ich mein Glück, ging völlig unwissend, nachdem ich mich bei der „Registratuur“ angemeldet hatte, Richtung Treppenhaus und wurde sogleich von einer korpulenten Dame angehalten, die mich nur völlig entgeistert fragte, wo denn meine blauen Schuhe wären. „Ma ei tea“ (Ich weiß es nicht!) war die Antwort, gefolgt von einem verdutzen „Miks?“ (Warum?). Kurz danach die Aufklärung: In estnischen Krankenhäusern muß man entweder blaue Überschuhe selbst mitbringen oder für zwei Estnische Kronen (umgerechnet circa zehn Cent) dort erweben, um nichts schmutzig zu machen und eventuelle Krankheitserreger draußen beziehungsweise in den Schuhen zu lassen. Hätte auch noch gut zum Thema Bürokratie gepasst ;-).
6. Zufluchtsort Kiosk
In Deutschland ist man ja schon mal aufgeschmissen, wenn es nach 20 Uhr ist, man aber noch was zu Trinken im Supermarkt kaufen möchte, oder wenn es schon spät ist, man aber keine Zahnpasta mehr hat. In Estland kein Problem. Warum? Dem Kiosk sei Dank. An jeder Straßenecke gibt es ihn, und er hat ziemlich viel parat, was du so im täglichen Leben so brauchst: Getränke, Süßigkeiten, Zeitschriften, Zigaretten, Batterien, Kondome, Handykarten, Bustickets, Zahnbürsten, Feuerzeuge, alles, was das Herz des Zuspätkommers oder Nachtschwärmers begehrt.
7. Das Aussterben des kleinen, feinen: Die Macht der Einkaufszentren
Andere Alternative zum Kiosk wäre da nur das Einkaufszentrum. Hat zwar meist bis 23 Uhr geöffnet (sogar am Sonntag!), dafür geht aber auch jegliche Individualität verloren! In Estland (zumindest in den größeren Städten) gibt es so gut wie keine Einzelhandelsgeschäfte mehr! Alles, was man kauft, ist nur in den großen grauen Kästen zufinden. Eigentlich schade, denn somit geht das in West- und Mitteleuropa meist vorhandene Einkaufsstraßen-Feeling verloren, die frische Luft bleibt weg, und man fühlt sich in einer zum Kaufrausch animierenden Kunstwelt. Schade, aber nix zu machen. Um so mehr freut man sich jetzt jedoch über jede Ausnahme, wie zum Beispiel das kleine Geschäft im reichen Stadtteil Kadriorg, der Eesti Käsitöö (echte estnische Handarbeit) vertreibt und von zwei unglaublich niedlichen alten estnischen Omas geführt wird. So will man es haben!
8. Blumen mitbringen, wenn man eingeladen wird
Wenn man in Estland nach Hause eingeladen wird, ist es Tradition, Blumen mitzubringen: Egal welche, egal wie viele, nur die Geste zählt. Ach ja, und wenn man gerade dabei ist: Heile Socken anziehen hilft dabei ungemein, denn in 95 Prozent der Haushalte ist es Vorschrift, beim Betreten der Wohnung die Schuhe auszuziehen. Aufpassen also!
9. Schreibweise der Fremdwörter
Wer denkt, dass die deutsche Sprache schon viel Unmögliches bringt, hat Estnisch noch nicht kennen gelernt. Hier nur ein paar Beispiele, vielleicht kommt Euch ja einiges davon bekannt vor: Buljong, Interjöör, Liising, Reisibüroo, Pank, Gospelkoor, Takso, Šokolaad, und last, but not least mein Favorit: der Kauboi!
10. Müll von sechs Monaten unter der Schneedecke
Endlich ist ja Sonne nach Tallinn zurückgekehrt, Frühling, endlich! Heute mit sogar unglaublichen 20 Grad Celsius! Relativ irreal, wenn man bedenkt, dass wir vor zweieinhalb Wochen noch Minusgrade und Schnee hatten. Jetzt kommen auch endlich die ersten Schneeglöckchen (Ende April!). Ihr glaubt gar nicht, wie gut es tut, nachdem man sieben Monaten Schnee ertragen hat (von Oktober bis April), wieder Regen auf der Haut zu spüren oder mal ohne Jacke nach draußen zu gehen. Eigentlich ein Grund zum Freuen, diese Wärme. Jedoch kommt jetzt der Müll des gesamten Winters zum Vorschein und stinkt manchmal bis zum Himmel: Zigarettenkippen, Hundekot, und noch andere nette Dinge. Hoffentlich räumt die Stadtverwaltung bald auf und beschert uns bessere Luft. Palun, palun!
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