Erste Zweifel im schönen Wales
Für Judith_in_London ging es diese Woche nach Wales, zur Vorbereitung auf die Arbeit und um die Natur zu sehen. Dabei allerdings merkt sie, dass sich erste Zweifel an ihrem Projekt einschleichen.
Diese Woche hieß es Taschen packen und ab nach Wales!
Immer wieder wurden wir darauf hingewiesen, ja warme Sachen mitzunehmen, regenfeste Kleidung, Wanderschuhe, auf gar keinen Fall Jeans (womit wir hier alle schon mal erste Probleme hatten, weil der Grossteil unserer Hosen aus Jeans besteht!) und so weiter und so fort. Alles Wichtige für vier Tage in Wales und alles, was man zum Wandern so braucht.
Sechs Stunden dauerte die Autofahrt. Es war ziemlich ruhig, weil wir alle sehr müde waren, verständlich so früh am Morgen! Also haben wir versucht ein bisschen zu schlafen oder aus dem Fenster geschaut. Die Landschaften in Wales sind echt schön, muss an dieser Stelle mal gesagt werden! Fast so schön wie in Schottland! Alles besteht aus grün, braun und grau und den weißen Schafe überall. Weite Wiesen und immer wieder kleine Berghügel... und dann diese niedlichen Dörfer mit den kleinen Häuschen... hat mir alles sehr gut gefallen!
Angekommen im Nirgendwo, irgendwo in Nordwestwales (Snowdonia), gab es erst mal Mittagessen. Wir durften nun die ganzen Leute vom SPEC-Team, die wie eine Woche zuvor im SPEC-Zentrum kennen gelernt hatten, wieder in die Arme schließen.
Nach dem "Auspacken" (naja, wir hatten keinen Platz in unserem Schlafsaal, also konnten wir auch nichts auspacken!) gab es die erste kleine Wanderung ein bisschen den Berg hinter unserem Haus hoch. Nach einer Gebetspause ging es dann wieder nach unten und es folgten ein paar Sessions (also Theorie, weil wir ja gut auf das Leben in einer Community vorbereitet werden sollen).
Am nächsten Tag folgte eine weitere Wanderung. Meine Gruppe stand plötzlich vor dem Ende des Weges, den wir eigentlich gehen wollten. Deshalb haben wir uns kurzerhand einen neuen Pfad gesucht. Einfach durch den Wald, den Hang hinab. Unseren Weg stellte dabei ein kleiner Bach dar. Wasser, das über ein paar Steine seinen Weg nach unten suchte. Hier waren wenigstens kleine Lücken zwischen den Bäumen. Ziemlich rutschig. Aber mit der Hilfe der Vor- und Hintermänner haben wir es alle geschafft! Und es hat sich nicht mal jemand verletzt!
Nach dem Abendessen wurden wir dann mit weiterer Theorie erfreut. Nun ja, meine Freude hielt sich eher in Grenzen. Ich war nun schon den zweiten Tag total müde und einfach nur erschöpft! Den ganzen Tag von so vielen Menschen umgeben zu sein und keine Zeit für sich selbst zu haben, fällt mir echt schwer! Ich musste zwischendurch stark mit mir kämpfen, nicht einzuschlafen. Abgesehen von einer Teepause (ich liebe die englischen Teabreaks!) wurden wir von sieben bis zwölf Uhr ununterbrochen belehrt und zugelabert... Einfach zu viel.
Und dann kamen bei mir langsam die ersten Zweifel auf. Es ging um das Leben in der Gemeinschaft und wichtige Werte dafür. Ich hatte ja bei meinem letzten Eintrag schon geschrieben, dass das Beten eigentlich gar kein großes Problem ist... mittlerweile hat sich das ein bisschen verändert. Prinzipiell ist die Praxis des Gebetes immer noch in Ordnung, aber mit der Theorie komm ich nicht mehr klar. Beten wird hier als Die Allzweckwaffe schlechthin angesehen. Immer wieder heißt es "... and pray, pray, pray". Ich weiß sehr wohl, dass ich in allen Situationen beten kann, wenn ich nicht weiter weiß, wenn ich mich nicht gut fühle, für meine Verwandten und Bekannten, wenn es mir gut geht, wenn ich danke sagen will... immer.
Aber hier höre ich dann Dinge wie diese: Bei der Bibelarbeit - es ging um eine Stelle, die davon handelte, anderen Menschen zu helfen, ihre Lasten zu tragen - meinte die eine dort, dass es gar nicht so wichtig ist, dem Menschen persönlich zu helfen, wenn er gerade schwere Lasten zu tragen hat, es reicht vollkommen aus, für ihn zu beten. Mehr muss man nicht tun. Hallo?! Nichts gegen die Wirkung des Gebetes, aber das ist doch auch kein Zauberspruch! Ich sitze also da und bete und dann taucht der Deus ex machina auf und hilft der armen Person mit ihren Lasten, während ich immer noch in meiner Ecke hocke?! Also ein bisschen menschliche Initiative ist da doch schon gefordert.
Später sollten wir uns dann in kleinen Gruppen ein kurzes Schauspiel zu den verschiedenen Werten ausdenken. Ich war in der Gruppe "Forgiveness" und hab mich eigentlich gefreut, mal was anderes zu machen, nicht immer nur zuhören und sich über Gebete zu unterhalten. Aber selbst bei dieser Aufgabe hat es nur zwei Minuten gedauert, bis wieder jemand festgestellt hatte, dass wir Menschen gar nicht vergeben können, weil das nur Gott kann und wir deshalb nur Gott bitten können, uns die Stärke zu geben, dieser Person zu vergeben. Die armen Nichtchristen! Die können ja dann niemandem vergeben! Entschuldigung, aber langsam wurde es mir echt zuviel!
Ich war froh, dann halb eins endlich ins Bett zu können, aber am nächsten Morgen hieß es schon wieder früh aufstehen, damit wir so zeitig wie möglich losfahren konnten. Nun ging es auf den Snowdon, den höchsten Berg von Wales (und England). Ich will mich jetzt nicht allzu lange bei der Wanderung aufhalten, wir sind von 10 bis kurz nach 16 Uhr unterwegs gewesen. Leider war unsere Aussicht da oben nicht so wirklich die Beste, aber naja, ein bisschen was haben wir auf dem Weg schon gesehen.
Als wir dann alle nun wirklich erschöpft wieder in unserem Quartier angekommen waren, gab es dort aber wieder Programm. Langsam wurde ich echt sauer, weil wir nie Zeit bekamen, uns einfach mal auszuruhen! Es wurde ein Gottesdienst gefeiert und danach, weil es ja der letzte Abend dort war, gab es etwas Musik und Spiele und fröhliches Beisammensein und man staune: Alkohol! Aber ich war so müde, dass ich ins Bett gegangen bin. Dort habe ich mich nicht mit den Mädels aus meinem SPECeast-Team unterhalten, weil die ähnlich wie ich fühlten. Also war ich wenigstens nicht allein! Wir wollten alle mal wieder nach Hause (nach London), weil es dort doch einfach viel schöner und gemütlicher ist. Nur noch einen Tag!
Am letzten Tag gab es wieder ein paar Sessions und dann wurde gepackt. Den Nachmittag verbrachten wir dann in einem Hochseilklettergarten (ich weiß nicht wirklich, ob das so heißt), dem anscheinend höchsten in Großbritannien! Dort sind wir über verschiedene Hindernisse, die zwischen Bäumen aufgespannt waren balanciert und haben gegen unsere Ängste gekämpft. Ich muss sagen, am schlimmsten fand ich es auf dem einen Baum, der so doll im Wind gewackelt hat und das Beste war das Abseilen am Schluss. Wenn man aus 15 oder 20 Meter Höhe einfach mal runterspringt...
Damit war unsere Zeit in Wales beendet und wir durften wieder ins Auto einsteigen und ab ging es nach Hause!
Jetzt haben wir erst mal zwei Tage frei, bevor wir wieder zur nächsten Konferenz müssen... Man kommt echt nicht zur Ruhe hier!
Aber ich genieße gerade den Tag, ohne Programm, einfach nur das, worauf ich gerade Lust habe und nicht darüber nachdenken, wie ich meinen Glauben gerade auslebe! An meinen freien Tagen darf ich sogar (fast) anziehen, was ich will! Ansonsten haben sich nämlich meine Befürchtungen erfüllt: der Dresscode erlaubt keinen Ausschnitt, keine freien Schultern, Knie müssen bedeckt sein, keine Unterwäsche darf gesehen werden, das heißt auch keine BH-Träger und keine Marken (also so was wie Playboy-Bunnies auf dem T-Shirt ist natürlich total tabu, wir sind ja Vorbilder, aber auch wenn Gruppen von armen Kindern hier sind, dann sollen wir nicht angeben), außerdem immer ordentlich gekleidet sein (keine Jogginghosen und ähnliches) und keine Löcher.
Naja, ich hoffe mal, dass ich mich mit der Zeit an alles gewöhne und auch mit meinem Glauben hinterherkomme. Das ist echt hart, wenn man dort mit so vielen Leuten zusammen ist, die teilweise so richtig krasse Ansichten haben. Aber ich bin ja zum Glück nicht die Einzige, die damit ein kleines Problem hat... das wird sich schon irgendwie legen.
Hauptsache, ich hab zwischendurch immer mal Zeit für mich!