Erst das Vergnügen, dann die Arbeit
Im Sommer geht es in den polnischen Universitätsstädten hoch her. Auch Lublin brummt vor Konzerten, Theater und Alternativkunst. Das Spektakel der "Juvenalia" dauert den ganzen Monat Mai. Nicht allen sagt jedoch die ausgelassene Bierseligkeit zu.
Die Toten Hosen, Die Ärzte, Wir sind Helden und mehr. Umsonst und draußen. Mitten in der Stadt. Dazu Theater Straßenkunst, Vorträge und vieles mehr. Alles eingeleitet von einer Straßenparade, bei der schon fast Karnevalsstimmung aufkommt.
So ungefähr muss sich der deutsche Studi die polnischen "Tage der Studentenkultur" vorstellen. Die Fans guter Livemusik in Deutschland müssen viel Geld zahlen, um ihre Idole bewundern zu können.
In Polen geben sich die Rockgrößen des Landes umsonst direkt in den großen Städten die Ehre. Sie heißen T.Love, Myslovitz und Farben Lehre. Kaum eine Uni im Land, die sich dem Spaß nicht anschließt
Die bunten Tage an der größten Lubliner Uni UMCS werden in Anlehnung an die gleichnamigen antiken Festspiele Juvenalia genannt. Diese führte der römische Kaiser Nero 59 v. Chr. aus Anlass seiner ersten Rasur (!) ein. Die Festspiele stellten dessen symbolischen Übertritt in die Welt der Erwachsenen ein. Auch im heutigen Polen sind die "Tage der Studentenkultur" eine Art Initiationsritual. Besonders die aus dem Umland zugezogenen Studenten der ersten Semester schlagen während der tollen Tage in der Stadt zuweilen über die Stränge.
Die Katholische Universität Lublin KUL hat deshalb im Gegensatz zur UMCS auf ihren Veranstaltungen eine eiserne Regel: Kein Alkoholausschank. Auf der Medykalia der angehenden Ärzte sowie an der Politechnischen Hochschule geht es lockerer zu. Hier schenkt die lokale Brauerei Perła kräftig aus. Und das hat seinen Grund: Die Firma ist Hauptsponsor der Konzerte, die zwar von Studentenorganisationen organisiert, aber nicht finanziert werden.
Die Festivalstimmung und das Überangebot an günstigem Bier führt dazu, das sich während der wilden Tage ungewohnte Szenen in Lublin abspielen. In Deutschland kennt man diese nur von Rockfestivals. Betrunkene Jugendliche torkeln durch die Straßen, Berge von Müll stapeln sich. Schlägereien sind keine Seltenheit.
Entgegen dem Klischee, dass die Polen überall Wodka trinken, herrscht in der Öffentlichkeit nämlich absolutes Alkoholverbot. Und dieses wird mit Bußgeldern konsequent durchgesetzt. Nur zu den Studententagen drückt die Polizei ein Auge zu. Und das wird ausgenutzt. Rafał Koziński, Animator im Städtischen Kulturzentrum Lublin, gefällt diese Tendenz nicht:
"Es kann doch nicht nur darum gehen, sich öffentlich voll laufen zu lassen. So verlieren die ‚Tage der Studentenkultur’ ihren Sinn. Klar kann man trinken; ich selbst gönne mir gerne ein Bier. Aber Alkoholkonsum kann doch nicht alleiniger Sinn einer Kulturveranstaltung sein."
Koziński organisierte in Lublin 2008 die sogenannte "Kulturnacht". Alle Museen der Stadt waren dabei bis in den frühen Morgen geöffnet. Bei sommerlichen Temperaturen wurde zudem Straßentheater und ein Kunsthandwerkermarkt geboten. Auch Konzerte gab es. An den Alkoholexzessen während der ‚Tage der Studentenkultur’ sieht der Kulturanimator die Sponsorenpolitik mitschuldig: "Natürlich wollen die Brauereien Geld verdienen. Sie kümmert das Gesamtniveau der Veranstaltung nicht. Für die Zukunft sollte man über andere Sponsoren nachdenken."
Noch steht der Koziński mit seiner Ansicht eher alleine dar. Die Studenten wollen sich ihren Spaß nicht nehmen lassen. Und schon gegen Ende des Monats Mai kehrt ja auch wieder Ruhe in Lublin ein: Die Studenten holen Schlaf nach. Die Brauereien zählen ihren Umsatz. Und die Professoren bitten zur Prüfung. Die sogenannte sesja mit den mündlichen Examen dauert bis Ende Juni. Nach all den Partys bedeutet das für viele ein böses Erwachen. Aber wer feiern kann, kann ja bekanntlich auch arbeiten ...