Erlebnisse beim Einleben
Die ersten drei Wochen vergehen wie im Flug. Lockenjule lernt ihre Arbeit kennen und merkt, dass man in Moldawien nicht krank werden will. Außerdem hat sie ihre erste Stunde Russischunterricht.
Es ist Sonntagmorgen um halb zehn moldawischer Zeit. Ausnahmsweise hab ich mal wieder Zeit und Lust zu schreiben. Anlass hätte ich jeden Tag. Nun muss ich mein Hirn mal ein bisschen anstrengen und überlegen, was seit dem Arrivaltraining so alles passiert ist. Ich beschränke mich auf die wichtigsten Ereignisse.
Äußerst prägend waren wohl die zwei Morgen im städtischen Krankenhaus auf den Stationen für Immigranten. Das Gebäude glich in Ausstattung und Farbgebung eher einer unsanierten Grundschule als einem Hospital. Die Ärzte waren durchschnittlich fünfzig Jahre alt, allesamt mit Alltagssachen und darüber den weißen Kittel geschnürt. Die Ärztinnen natürlich mit Glitzerschuhen und Absätzen.
Zusammen mit fünf anderen Freiwilligen und einer Mitarbeiterin meiner Aufnahmeorganisation klapperten wir Donnerstag- und Freitagmorgen insgesamt ungefähr zehn Ärzte ab, die uns auf Visa-Tauglichkeit überprüften. Naja, „überprüfen“ ist das falsche Wort. Bei den meisten (wie z.B. beim Dermatologen, Gynäkologen, Neurologen…) wurden wir ins Zimmer gerufen, kamen dort mithilfe von Ellenbogen und Schubsen durch die drängelnde Immi- und Emigrantenmenge auch rein. Setzten uns auf einen Stuhl neben den bürokratiebefüllten Schreibtisch des Arztes, welcher beständig mit Ausfüllen irgendwelcher Dokumente beschäftigt war.
Dann übersetzte uns die Mitarbeiterin: „Wie geht es ihnen? Irgendwelche Probleme in dem und dem Bereich? Nein? Danke, der nächste.“ Dann bekam man seine Unterschrift und gut. Beim Frauenarzt wurde man noch gefragt, ob man schwanger sei. Ich war nahe dran, einfach mal ‚weiß ich nicht, wenn dann maximal im dritten Monat‘ zu sagen. Hab ich aber natürlich nicht gemacht. Hab brav ‚Nein‘ gesagt. Selbst wenn ich im fünften Monat gewesen wäre, hätte die das eh nicht interessiert, solang man nur brav nein sagt.
Interessant war noch, dass alle Freiwilligen am ersten Morgen eine hübsches Döschen bekamen, welches bis zum nächsten Morgen um neun mit darmeigener Kacke gefüllt sein und zurückgebracht werden musste. War schon spaßig, Rosi dabei zuzuhören, wie sie vorm Klo stand und versucht hat, was rauszulöffeln. Dabei beständig Laute des Ekels und Ausrufe wie ‚Das ist so abartig‘, ‚Wie kann man das auch noch untersuchen wollen.‘ ausstieß. Ich fand’s nichts Besonderes. Dabei hatten wir mit unserem alten Klo noch Glück, weil dort die Exkremente zunächst noch auf einem Absatz abgefangen werden. Andere, bei denen dat Zeuch die direkt ins Wasser rutschte, durften da mal ne Runde angeln gehen. Aber genug davon.
Spannend war noch der Besuch beim Psychologen. Der alte Zausel hat sich nämlich einen Heidenspaß daraus gemacht, den Freiwilligen einfach irgendwelche bekloppten Fragen zu stellen, weil bei denen ja eh alles glatt läuft und er aber irgendwas machen muss. Hier eine kleine Auswahl. Frage an die Schottin: Welche Unterschiede bestehen zwischen dem moldawischen und dem britischen Parlament? Frage an einen Franzosen: Wenn sie eine mehrspurige Straße ohne Ampel überqueren müssten, wie würden sie vorgehen? Frage an eine Belgierin: Welches Datum haben wir heute? (Sie wusste es nicht.) Frage an einen Deutschen: Waren sie in Deutschland in der Armee? Warum nicht? Wollen sie der moldawischen Armee beitreten?
Einen Franzosen hat er noch gefragt, ob der außer Zigaretten und Alkohol noch andere Drogen nähme. Er hat wahrheitsgemäß mit ja, Cannabis, aber kein Kokain oder ähnliches geantwortet. Daraufhin hat die Mitarbeiterin ihn vollkommen entgeistert angeguckt und einfach ‚Nein, natürlich nicht.‘ übersetzt. Fällt auch gar nicht auf, wenn der Freiwillige zuerst nickt und antwortet und sie dann den Kopf schüttelt. Aber dem Psychologen war das ja eh wurscht.
Mit mir hat er auch interessante Sachen gemacht. Erstmal hat er mich mit seinen eineinhalb Augen über die Brille hinweg gemustert, dann so sabbrig gegrinst und gefragt, wie ich denn heiße. Und wie mein Name betont wird. Und wie alt ich bin. Aahaaaaa neunzehn. Ich wartete wirklich auf die Frage, ob ich vielleicht seinen Sohn heiraten wolle. Bah, widerlich der Typ. Naja, zumindest hab ich dann, nachdem er meine Unterarme befühlt und meine Zunge begutachtet hatte meine Unterschrift erhalten. Was für ein Spaß. Hoffentlich werde ich dieses Jahr nicht ernsthaft krank.
Dann ist noch erzählenswert, dass ich meine erste Russischstunde hatte. Länger als ne Stunde brauch ich dahin, und dann lerne ich in einem kleinen Arbeitszimmer einer Studentin mit fester Zahnspange, hab nicht mal einen Tisch zum Schreiben. Die Dame hat ein Organ, dagegen bin ich n piepsigen Mäuschen, redet beständig und ist furchtbar ungeduldig. Ach hatte ich schon erwähnt, dass mir die russische Aussprache aufn Senkel geht? Blöde weiche und harte Konsonanten, und weiß ich wann eine Silbe betont und wann unbetont ist? Manmanman. Aber ich will jetzt endlich mal ein bisschen Russisch verstehen, also lern ich das jetzt.
Dann hab ich jetzt endlich meine Arbeitsstelle kennen gelernt, genauer gesagt letzten Mittwoch. Inmitten von riesigen Plattenbauten in einem dieser Monster gelegen. Eher eine Art ausgebaute Wohnung. Es ist ein Freizeitzentrum für die Kinder und Jugendlichen dieser relativ armen Gegend. Zumindest haben wir dort einen PC und einen CD-Player zum Musik hören. Und Fenster im Büro und im Tanzraum (!). Jaha, richtiges Tageslicht, das gibt es nicht in jedem dieser Freizeitzentren.
In einem anderen dieser Zentren z.B. kommt man sich vor wie in einem Bunker, schlechte Luft und bestrahlt von Neonlicht. Wir aber haben zumindest in zwei Räumen Tageslicht und können mal Lüften. Der Tanzraum ist in etwa so groß wie mein Zimmer, hat auch keinen Spiegel, aber zumindest gibt es einen Platz zum Tanzen. Darin besteht auch meine Aufgabe. Drei mal in der Woche, dienstags, donnerstags und freitags, von 15.00 bis 17.00 Uhr Tanzunterricht. Meine Pflichtzeit besteht also aus effektiv drei mal drei Stunden Anwesenheit pro Woche. Ansonsten kann ich kommen wenn und wann ich möchte, muss ich aber nicht. Ich werd mich hier echt überarbeiten.
Am Freitag hatte ich dann gleich meine ersten Tanzstunden, und es hat toll geklappt. Erst mit vier größeren Mädchen, die zwar ziemlich unbeweglich, aber sehr engagiert waren. Dann mit einem Haufen kleiner Mädchen, die ich mithilfe der großen Mädchen und deren Übersetzung meiner englischen Anweisungen auch gebändigt bekommen habe. Das wird ja noch spannend. Aber zumindest wollen alle unbedingt weiter machen und am liebsten gleich morgen und jeden Tag und überhaupt. Mal sehen, wie lang sich die anfängliche Euphorie hält. Ich arbeite zusammen mit einem zweiten Freiwilligen, dem kleinen Franzosen Viktor. Hat genau denselben bösen Humor wie alle Franzosen. Ich kann sehr gut mit ihm. Er hoffentlich auch mit mir.
Am Freitag war dann Bad-Taste-Party in einer der Freiwilligen-WGs. Alle Freiwilligen (es werden übrigens immer mehr, da auch welche für nur zwei Monate oder so kommen… was ich persönlich sehr sinnlos finde) waren so hässlich wie möglich angezogen. Sachen dafür wurden an den Tagen zuvor auf Flohmärkten und in Zweitehandläden beschafft. Ich hatte mich für ein typisch Moldawischen Tussi-Outfit entschieden. Ein hellgoldenes, zu kurzes Pailletten-Glitzer-Kleid mit schlecht vernähtem V-Ausschnitt und überhaupt vollkommen hässlichen Schnitt. Dazu Leggins und natürlich hohe Schuhe.
Rosi hatte eine geblümte blaue Oma-Samthose und ein bauchfreies Blümchenoberteil mit Flügelärmeln an. Beide malten wir uns noch einen überdimensionalen Schönheitsfleck, dann zogen wir los zum Bus. Auf dem Weg dorthin wurde Rosi von allen Seiten noch schräger angeguckt als sonst, mir hingegen wurde in meinem gräulichen goldenen Fummel dauernd hinterher gepfiffen. Einen Geschmack haben die hier.
Aber das Beste kommt noch: auf der Party stellte sich raus, dass sich zwei Freiwillige (aus Russland und aus Dänemark) genau dasselbe Kleid zum Ausgehen und für die Disco besorgt hatten. Die waren natürlich leicht pikiert, als ich das Kleid zu einer Bad-Taste Party trug und meinte, was Hässlicheres hätte ich selten gesehen. Aber so unterscheiden sich die Geschmäcker. Es gab noch einige Highlights auf dieser Party, bei denen sich (wie immer) die Franzosen vollkommen besoffen und danebenbenahmen, sodass einer von ihnen zum Schluss mein Kleid anhatte, zusammen mit einer lilanen Leggins und hübscher Schminke im Gesicht. Mir fällt grad so auf, zum Schluss hatten alle Männer Frauensachen an. Oh man, die Fotos sind echt sehenswert. Ein besonderes Highlight war auch Viktor, der oben rum nichts weiter als eine wie-rot-blaue Trainingsweste mit halb geöffnetem Reißverschluss trug; unten rum eine weiße Trainingshose, bei der in pinker Schrift „Cowboy“ auf dem Hintern stand. Es gab schon sehr hübsche Kostüme.
Gestern waren Rosi und ich zusammen mit Rachael (aus UK) noch mal aufm Markt, der gleichzeitig Flohmarkt, Obstmarkt und Überhaupt-für-alles-Markt ist. Für insgesamt 15 Euro habe ich dort eine Hose, ein riesiges violettes Tuch, eine Mutti-Küchen-Schürze, drei Paar Socken und Äpfel gekauft. Hach ja, es gibt doch nichts Schöneres als Einkaufen auf einem Markt.