Englands strahlende Zukunft 1/2
Großbritannien bekommt zwei neue Reaktoren. Im ersten Teil werden die Probleme der Lagerung von Atommüll beschrieben. Der zweiten Teil des zweiteiligen Artikels hat den Fokus auf den britischen Atomstrom. Dabei werden die unterschiedlichen Positionen von Großbritannien und Deutschland verglichen.
Nachrichten im Radio beginnen in der Regel mit dem Namen der Stadt. London. Gestern Abend gab die Regierung unter Premierminister Cameron ihre Zustimmung dem Bau von zwei neuen Atomkraftwerken. Das sind die ersten Neubauten seit 1995.
In meiner EFD-Heimat für ein Jahr, Großbritannien, wird im Moment rund 18 Prozent des Strombedarfes über Atomstrom gedeckt, 16 Reaktoren sind aktuell im Netz, viele von ihnen allerdings älter als 30 Jahre. Die Anlage in Sellafield ist bekannt, bekannt für Pannen und Pech. Im Oktober 1957 hat es dort gebrannt und große Mengen krebserregende Radioaktivität wurden freigesetzt. Vor wenigen Jahren wurde ein Leck entdeckt, durch welches rund 83.000 Liter radioaktive Flüssigkeit entwichen sind. Glücklicherweise ist der Großteil der Flüssigkeit in der Anlage aufgefangen worden, diese Teile der Anlage sind nun jedoch schwer kontaminiert.
Eine BBC Umfrage in England zeigte im Frühjahr 2006, das rund zwei Drittel der Befragten gegen den Neubau von weiteren Reaktoren sind.
Perspektiv- und Ortswechsel: Lüneburg, ein beschauliches Städtchen in der Heide, Drehort einer Rentner-Telenovela und Heimat der Leuphana Universität. Einmal im Jahr ändert sich diese Situation jedoch schlagartig. Bundespolizei, Polizei und diverse Sondereinheiten verschiedener Rettungs- und Sicherheitsdienste sind im Einsatz. Die Innenstadt gleicht einer Festung. Der Bahnhof sowie sämtliche großen Einfallstraßen ins Stadtzentrum und zum Bahnhof sind gesperrt. Die höchste Sicherheitsstufe ist über die Stadt verhängt. Und es wird demonstriert. Entlang der Schienen, vor der Sicherheitssperre, auf dem Rathausmarkt und anderen größeren Plätzen in der Stadt. Einige Kilometer Richtung Osten gibt es eine ganze Region – das Wendland-, die sich dem Protest verschrieben hat.
Warum dieser Aufstand? Ganz einfach, durch Lüneburg fährt der Castor. Dieser Begriff ist ein als Markenname eingetragenes Akronym und steht für: „cask for storage and transport of radioactive material“. Diese Behälter dienen dem Transport von radioaktivem Material und werden auf Bahn und LKW durch halb Europa kutschiert – deshalb der hohe Sicherherheitsaufwand. Der Zug mit der strahlenden Ladung ist in Richtung Gorleben unterwegs. Dort, in der Nähe zur ehemaligen Grenze, quasi im Nirgendwo, wird seit Jahrzehnten an einem Salzstock geprobt und geforscht, viel Geld ist mittlerweile in diese Region und in die Arbeit an verschiedenen Salzstöcken geflossen.
Ein anderer Salzstock liegt ganz in der Nähe ist ebenfalls als Zwischenlager für nuklearen Abfall gedacht: Asse II. Dieser Salzstock ist eine der größten „Unfälle“ der neueren deutschen Geschichte: Politisch und umwelttechnisch. Das Problem:
2007 wurde das Bergwerk offiziell geschlossen und alle Zugänge verfüllt und zubetoniert. Die Dokumentation darüber, in welchem Umfang radioaktiver Abfall dort vergraben ist, ist in großen Teilen lückenhaft bzw. gar nicht vorhanden. Seit einigen Jahren läuft jedoch kontinuierlich Salzlauge in das Bergwerk. Diese aggressive Flüssigkeit hat die Eigenschaft, Metall, wie etwa die Metallfässer mit dem gefährlichen Müll, zu zerfressen. Um es ganz deutlich zu sagen: Vor einigen Jahren wurde dort schlichtweg Atommüll vergraben, der Deckel zugemacht. Die Konsequenzen sind haarsträubend. Keiner kann eine sichere Aussage über den Zustand der Anlage treffen, es gibt keine Gewissheit über die Sicherheit in der Region. Seit den 1990er Jahren sind gut 20 Kinder an Leukämie erkrankt, der höchste Stand in der Bundesrepublik. Politisch fühlt sich keine Regierung oder kein Ministerium richtig verantwortlich, die Zuständigkeiten sind vom Bundesforschungsministerium auf das Bundesumweltministerium, das gleichzeitig auch für Reaktorschutz zuständig ist, übergegangen. Eine Besserung der Situation ist nicht in Sicht.
Trotzdem, wenn die Arbeiten in den Bergwerken vernünftig dokumentiert wären, kann man ihren Nutzen erkennen: Jedes Land, welches Atomstrom produziert, braucht ein Endlager. Die Forschungsergebnisse in den skandinavischen Ländern und in Deutschland sind am weitesten. In Großbritannien hingegen, kann man noch keine Tendenzen in Richtung Endlagerung erkennen. Im Gegenteil, die Briten sind zwar führend in der Wiederaufbereitung von Brennstäben, vermeiden aber jeden Gedanken zur Endlagerung. Für diesen Artikel habe ich in vielfältige Richtungen recherchiert, Zeitungen und Onlinequellen genutzt, eine Studie gelesen und verschiedene Fachleute von Umweltverbänden angeschrieben. Das Resultat: Die Frage der Endlagerung ist hier noch lange kein Thema. Während hingegen Deutschland in dieser Frage sehr weit ist – auch Dank der Arbeiten in Asse und Gorleben.
Im zweiten Teil widmen wir uns den Details des Deals.