Endzeit
Johannson ärgert sich: in den letzten Monaten in Lodz hat er sehr viel weniger geschafft, als er sich vorgenommen hatte. Aber ein gutes hatte das Semester trotz alledem.
Versager
Vorgestern war ich in der Philharmonie. Den Kopf ohnehin schon wirr von vielen Ungewissheiten hörte ich Schumann und habe mich geärgert. Nach fünf Monaten bin ich zum ersten Mal auf einem Konzert. Ich habe kaum studiert und trotzdem habe ich fast nichts von dem gemacht wofür ich hergekommen bin. Kein Tanzkurs, kein Russischkurs, keine fünf Mal Kino, kein einziges Mal Theater, eine einzige echte Reise. In Torun habe ich das alles in einer Woche gemacht, und da habe ich jeden Tag im Büro gesessen. In der Kunstfabrik war ich nicht mehr seit Semesterbeginn. Was ist mit mir passiert, was habe ich mit der Zeit gemacht?!
Natürlich war ich im November und Dezember fast jedes Wochenende bei meiner Freundin in Warschau und das allein macht dieses Semester alles wert.
Radogoszcz
Zurück zu Hause war bei uns gerade eine Party und ich habe das einzig Richtige gemacht, mich betrunken und in einer billigen Disco getanzt, auch wenn ich krank bin. Ich merkte, Hausarbeit und Bachelor-Arbeit und Erasmus-Verlängerung hin oder her, ich muss unbedingt weg vom Bildschirm. Darum bin ich am nächsten Tag zum alten Gefängnis Radogoszcz gefahren, einer ehemaligen Fabrik, die von den Nazis in ein Lager für die Stadt umgewandelt wurde. Kein Konzentrationslager zwar, aber es sind trotzdem genug umgekommen. Zwanzigtausend, dreißigtausend, vierzigtausend, so genau weiß das keiner. Die Gefangenen mussten im Fabrikgebäude arbeiten, bewacht wurden sie von 'Volksdeutschen' aus Lodz, quasi ihren alten Nachbarn. Als ihnen die Sowjets dann schon auf den Zehen standen haben die Nazis dann die Fabrik abgeschlossen und angezündet. Von 1500 haben 30 überlebt.
Museum des Märtyrertums
Heute ist das Gelände das einsame 'Museum des Märtyrertums'; ein Wachmann und eine Kassenfrau. Der Wachmann wusste eine ganze Menge, hat mir gezeigt, wo die Nazis die Maschinengewehre aufgestellt hatten, um alle zu erschießen, die aus dem brennenden Gebäude kommen. Im ausgebrannten Fabrikgebäude ein Marmorsarkopharg, vor dem Eingang eine 30m hohe Säule und ansonsten Schnee. Ausstellungen gibt es zur Stadtgeschichte während der Besatzung, den KZs, den Widerstandsgruppen und natürlich dem Gefängnis selbst. Im letzten Schaukasten liegen angebrannte Familienfotos, die bei den Leichen gefunden wurden.
Der hohe Norden
Ich war noch niemals in diesem nördlichen Teil der Stadt gewesen. Sehr ruhig, einige alte Villen. Neben der Fabrik ist ein Friedhof, hinter dem Friedhof liegt der Mickiewicz-Park. Den ganzen Tag schon fiel leicht Schnee, auf dem Boden war alles weiß, nur Menschen in schwarzen Wintermänteln. Es wäre sehr still gewesen, wenn die zehntausend schwarzen Raben nicht auf den kahlen Bäumen gesessen hätten. Die Teiche waren gefrorene, in Wasserlöchern schwammen die Enten. Die Stadt sieht wirklich schön aus im Schnee.
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