Endlich wieder zu Hause
Zu Hause ist dort, wo das Herz ist, sagt ein Sprichwort. CaroD hat den Wahrheitsgehalt dieser Lebensweisheit nun selbst erkennen können...
Nach fast einem Jahr bin ich endlich wieder einmal nach Hause gekommen! "Wie? Du bist doch schon seit ewiger Zeit aus England zurück in Deutschland, und studierst doch!" Ja, genau, tue ich.
Doch das zu Hause, das ich teilweise so vermisst habe, ist nicht Deutschland, es war England! Ich hatte die Möglichkeit, an einem Seminar für Tutoren im Europäischen Freiwilligendienst teilzunehmen, und dies fand - glücklicherweise - in England statt! Also habe ich die Gelegenheit genutzt, noch einmal an den Ort zu fahren, an dem ich sechs Monate meines Lebens verbracht habe, und der damit zu meiner zweiten Heimat wurde!
Wie es war? Irgendwie komisch! Ich habe das letzte Jahr in Konstanz und Baden-Baden gesessen (na ja, von meinen vielen kleinen Reisen abgesehen :-)), und mich so danach gesehnt, zurück "auf meine Insel" zu gehen. Ich habe nachts davon geträumt, alle Infos über GB verschlungen, sehnsüchtig den Beschreibungen von Freunden und Bekannten zugehört, die irgendwo in GB waren. Egal, ob vor Kurzem, vor langer Zeit oder ob sie es in naher Zukunft planten. Sogar das englische Essen habe ich vermisst (okay, vor allem Süßigkeiten :-)), so wie die grünen Felder mit Lämmern, habe dem Frühling hinterher getrauert, der mit Osterglocken in England schon ausgebrochen war, während wir im Eis erfroren sind. Wenn ich irgendwo Englisch - oder irgendeine fremde Sprache - gehört habe oder sogar sprechen konnte, habe ich mich riesig gefreut, ich habe mir englische Filme angeschaut (beziehungsweise Filme, die in UK gedreht wurden) und nahezu jedes Mal vor Vergnügen "aufgejauchzt", als ich Altbekanntes sehen konnte - sogar bei den typischen Milchflaschen, Halteverbotsschildern...
Ich hatte also eine große Vorfreude, gleichzeitig eine gewissen Unsicherheit und Angst. Denn, wie ist es, "nach Hause" zurück zu kommen, wenn es dann doch nicht mehr wirklich Dein zu Hause ist? Wenn Deine ganzen Freunde nicht mehr dort wohnen, weil sie auch nur Freiwillige waren, die inzwischen auch alle in ihre Länder zurückgekehrt sind. Und einheimische Freunde – leider – sehr rar sind, und sich eigentlich völlig auf ehemalige Mitarbeiter, den Mentor beschränken, die teilweise doppelt so alt wie ich sind...
Wie ist es, nach Hause zu kommen, wenn man weiß, dass es vorbei ist, und man wieder zu seinem richtigen Zuhause zurückkehren wird? Ist meine Angst berechtigt, dass ich durch meinen 2-wöchigen Urlaub in England meine Erinnerung an die Zeit als Europäische Freiwillige irgendwie "versauen" könnte, da mein "fühlendes zweites Zuhause" eben doch kein Zuhause mehr ist, und ich vielleicht realisieren muss, dass es das wahrscheinlich nie war???
Also: ab in den Flieger, willkommen auf englischem Boden. Mein erster Gedanke: Was kann „groß schief gehen“, wenn man mit "go on, darling" bei der Passkontrolle begrüßt wird?
Ich hab mich gefühlt, als wäre ich nie weg gewesen. Als wäre das Jahr nach meinem Freiwilligendienst mit allen seinen Erlebnissen nicht Wirklichkeit gewesen. Als sei ich auf einer meiner Reisen in England, um mir Manchester anzuschauen... Es war ein Gefühl, wie ich es zuletzt gehabt habe, als ich aus England zurück nach Deutschland gekommen bin. Es hat sich nicht wirklich etwas geändert! Obwohl ich noch nie zuvor in Manchester war, und ich nicht behaupten kann, dass es zu meiner Lieblingsstadt geworden ist, hatte ich nur einen Gedanken: „This is the place I belong to be“. Hier fühle ich mich wohl, hier gehöre ich hin!!!
Später auf dem Seminar bin ich durch den großen, zum Herrenhaus gehörigen Garten gelaufen, habe Sonnenstrahlen genossen, die friedlich weidenden Schafe, Osterglocken, Schneeglöckchen, den versteckten Blick auf einen Meeresarm und dahinter den Norden von Wales, das Grün des berühmten Englischen Rasens...
Ich musste es einfach berühren, und wurde dabei von einem anderen Seminarteilnehmer gefragt, ob ich fünf Pfund gefunden hätte. Nein, das war es nicht, aber mir ist schlagartig klar geworden, dass ich in diesem Moment etwas anderes (wieder)gefunden hab: Happiness! „Glücklichkeit“! Das bedeutet nicht, dass ich im letzten Jahr nicht glücklich gewesen bin, dass ich mit meinem momentanen Leben unzufrieden wäre. Aber irgendwie kam es mir trotzdem so vor, als wäre ich schon lang nicht mehr so glücklich gewesen.
Ich hätte mich dort an Ort und Stelle auf den Rasen setzen können, und für den Rest meines Lebens sitzen bleiben, Studium schmeißen, Wind und Wetter trotzen, einfach dableiben... Aber, na ja, ist vielleicht doch keine so gute Idee! Jedenfalls habe ich mich sehr wohl gefühlt...
Nach dem Seminar ging es weiter nach Liverpool. Die Stadt hat auch echt was, aber der Abend war grausam! Ich wusste nicht, was ich tun sollte, fühlte mich sehr, sehr einsam, war unglücklich, verzweifelt... Dazu kamen die Engländer, die mich plötzlich nur noch angekotzt (sorry) haben! Engländerinnen, die egal mit welcher Figur, egal mit welchem Alter sehr, sehr kurze Minis und bauchfreie Tops getragen haben. Engländer, die die nächste Haus-/Ladenecke genutzt haben, um – hmm – sich ihres Geschäftes zu erledigen, da es doch so einfach ist; vor allem, wenn man zu faul ist, ein Klo aufzusuchen! Außerdem ist mir jeder Zweite betrunken entgegengetorkelt gekommen, und das um acht Uhr abends!? Vielleicht lag es daran, dass Muttertag war... Jedenfalls habe ich mich in dem Moment absolut unwohl gefühlt, wollte nichts wie weg aus England, und war sehr froh, nicht mehr dort leben zu müssen!
Mit gemischten Gefühlen, Vorfreude, aber auch Angst, bin ich dann weiter nach Sommerset. Mein Mentor wollte mich am Bahnhof abholen, da ich zumindest die nächste Nacht bei ihm schlafen durfte! Und es war genial, ihn und seine Frau wieder zu sehen. Ich habe dabei realisiert, dass ich in ihnen wirkliche Freunde in England gefunden habe. Menschen, die sich freuen werden, wenn ich sie besuche, deren Tür jederzeit für mich offen steht. Nicht nur die Tür zu ihrem Haus, sondern auch zu ihrem Herzen (wie kitschig).
Letztlich bin ich zwei Tage bei ihnen geblieben. Bridget hat mich mit in die comprehensive school mitgenommen, wo sie als Sprachlehrerin arbeitet. Dort hat für mich organisiert, dass ich in mehre verschiedene Fächer reinschnuppern konnte. In zwei Klassen habe ich dann noch sozusagen Deutschunterricht gegeben, was ziemlich lustig war. Abends haben die beiden mich dann noch zum Essen eingeladen, wir haben über „alte Zeiten“ gelacht, uns über die Gegenwart unterhalten, und über die Zukunft spekuliert....
Die nächsten Nächte habe ich dann in Taunton verbracht, in dem Haus, in dem ich fast jedes Wochenende gepennt habe! Und, mal wieder: irgendwie war alles so wie früher, der Bahnhof, die Stadt, der Weg zum Haus, das Haus, die Einrichtung, zwei der Einwohner (die beiden Mädels hab ich letztes Jahr schon kennen gelernt, ohne jedoch näheren Kontakt mit ihnen behalten zu haben)... Nur hat jemand gefehlt: Julia, die Freiwillige, mit der ich letztes Jahr eigentlich alles gemacht habe, die mich ein halbes Jahr lang ertragen durfte, und es auch geschafft hat!
Einen Nachmittag war ich dann im Seahorsecenter, dem Tageszentrum für geistig Behinderte, ich dem ich gearbeitet habe. Ich war mir nicht sicher, ob es das Richtige sein würde, dort hinzugehen. Wie es ist für die Behinderten – wie sie es erleben würden, mich wieder zu sehen. Ob es nicht komisch für sie wäre, dass ich einen Mittag lang vorbei komme. Aber auch für mich – ich wusste nicht einmal, ob sie mich erkennen würden. Was, wenn nicht ? Wie würde ich darauf reagieren? Und bricht es mir nicht das Herz, einmal kurz bei ihnen vorbeizuschauen, und die Menschen dann wieder verlassen zu müssen, mit denen ich so unheimlich gerne gearbeitet habe? Die mir ans Herz gewachsen sind. Ebenso wie die Art von Arbeit, von der ich mir vorstellen kann, sie später einmal zu machen!? Aber wenn ich es nicht ausprobiere, woher soll ich es dann wissen, was passiert wäre, wenn oder wenn nicht?
Also habe ich mich bei der Rezeption registriert (aus Feuerschutzgründen – die Engländer und ihre Sicherheitsmaßnahmen). „Ich habe hier als ehemalige Freiwillige gearbeitet, und würde gern einmal schauen, wie es allen so geht.“ und rein in the Dining hall. Ich war also passend zum Mittagessen da. Die Tür geht auf, ich schau mich um, sehe Vertrautes, sehe Gesichter, die mich anstarren. Einige davon erst uninteressiert, dann ungläubig. Diskussionen unter Freunden, offener Mund, dann ein Grinsen, das sich über das ganze Gesicht verbreitet: „Sie ist es!“ Begeistertes Hallo, Umarmungen, ein paar verdrückte Tränen, auf beiden Seiten!
Damit war meine Angst, nicht erkannt zu werden, zunichte gemacht worden. Nur einer hatte so seine Schwierigkeiten: Er hat mich eindeutig erkannt, wusste nur nicht, woher. Also blieben nur Mutmaßungen: „You are the lady from the bus with the flute!“ “Äh, nein, ich habe im Bus nicht Flöte gespielt.“ :-).
Kurzzeitig war ich die Attraktion, und plötzlich war es dann wieder so wie immer: es war ganz normal, dass ich wieder da war, für mich und für die anderen! Leider war eine der Mitarbeiterinnen, mit der ich mich immer gut verstanden habe, an dem Tag nicht da, genauso wie mein Supervisor, der krank war!
Auch hier war sofort das vertraute Gefühl da, „Es hat sich nicht wirklich etwas verändert!“ Obwohl inzwischen eine neue Verbindungstür eingebaut war, und –darauf bin ich auch ein kleines bisschen stolz – eine der Behinderten sehr viel abgenommen hat. Ich bin deshalb darauf stolz, weil ich mit ihr regelmäßig im Fitnessstudio war, und sie „angespornt“ hab. Sie hatte starke Gewichtsprobleme, jetzt sieht sie wirklich toll aus! Ich konnte es gar nicht so recht glauben, wie viel sie in der ganzen Zeit abgenommen hat! Ich war dann mit beim Schwimmen, und hab noch mal im Fitnessstudio geholfen.
Es war richtig schön und hat viel Spaß gemacht, wieder da zu sein. Irgendwie hatte ich auch das Gefühl, dass ich wiederkommen werde. Trotzdem, war da auch so ein Gefühl, dass es vorbei ist, und dass es unmöglich ist, etwas Vergangenem hinterher zu rennen. Und nicht nur unmöglich, sondern auch irgendwie unnötig...
Das Schönste daran war aber, dass es kein deprimierendes Gefühl war, sondern ein schleichendes, plötzlich da seiendes Bewusstsein: „Hey, Du hast die Zeit erlebt, niemand kann sie Dir nehmen, sie ist zu einem wichtigen Teil von Dir geworden. Jetzt wird es mit etwas Neuem weitergehen, das nicht unbedingt schlechter sein muss. Es wird anders sein, ja, aber Du wirst Dich weiterentwickeln, wirst andere Sachen erleben, die klasse sein werden. Ein Leben ewig arbeitend in diesem Tageszentrum wäre nichts für Dich. Die Welt dreht sich, drehe Dich mit!“
Es war es absolut wert, noch mal da gewesen zu sein. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass ich noch mal hingehen werde. Mein Herz wurde nicht gebrochen, ich weiß nur nicht, ob alle Behinderten es mitbekommen haben, dass ich wirklich nur einen Mittag da gewesen bin...!
Am nächsten Tag ist dann mein „Chef“ vorbeigekommen, der mich damals als Freiwillige ausgesucht hat, und ein paar Blumen und einen Kuchen mitgebracht. Ihn mal wieder zu sehen, war auch ganz lustig. Vor allem war er wieder unglaublich nett und lieb, hat mir mit mehreren Sachen geholfen, also alles getan, dass meine Zeit in England schön wird!
Es war mal wieder verdammt schön! Auch, wenn es ziemlich hart war, alle und alles nach so kurzer Zeit wieder verlassen zu müssen. Aber ich habe gemerkt, dass zum einen England, Sommerset, räumlich doch sehr nah ist. Dass ich mich, falls die Sehnsucht mich aufzufressen droht, sofort in ein Flugzeug setzen könnte und einige Stunden später dort bin. Zum anderen, dass ich alles „das“ (das unmöglich in einem Wort, oder in einem Satz zu beschreiben wäre) tief in meinem Herzen trage, und es manchmal reicht, in Gedanken dort hin zu „gehen“. Dass man nicht immer psychisch an einem Platz sein muss, um dort zu sein...
Hört sich jetzt schon wieder kitschig, wie in einem Film an, ist aber irgendwie so!!!
Und: ich habe eine zweite Heimat, und die ist eindeutig England!