El Gusto de Andalucía
Das Europa, das granadamatth liebt, lebt von Sprachen: "Wenn Menschen durch Sprache immer mehr Brücken schlagen, dann kommt Europa sich langsam näher."
Meine Zeit in Granda endet nun und ich begebe mich zum Abschluss des Jahres auf eine fünfwöchige Pilgerreise quer durch Spanien.
Von dort werde ich versuchen, regelmäßig hier zu schreiben. Nach zehn Monaten in Andalusien möchte ich vorher noch ein Resumée ziehen, reflektieren, schauen... und die youthreporter-community daran teilhaben lassen. Ich wünsche eine anregende Lektüre und melde mich wieder vom Jakobsweg!
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"Hähnchen oder Kalb?" – der Spanier schaut Mehmet verdattert an: "¿Qué?" Mehmet schaltet auf Spanisch um: "Oh sorry, hab‘ ich wieder Deutsch gesprochen…" Er lächelt seinen Gast freundlich an. Mehmet ist Türke und Inhaber des Dönerladens "1001 Noches – 1001 Nacht" in Granada. Vor einiger Zeit hat mein Kommilitone Tobi den Laden zufällig entdeckt und seitdem besuchen wir Mehmet und sein Team, wann immer wir Lust auf einen Döner oder sonst eine Spezialität aus türkischer Küche verspüren.
Da wir mittlerweile zu gern gesehenen Stammgästen zählen, lädt uns Mehmet öfter zu einem Gläschen türkischen Tee ein.
Es ist Mittwochabend und auf dem großzügigen Flachbildfernseher neben der Theke läuft gerade das Achtelfinale der Champions League Bayern gegen Lissabon – im deutschen Fernsehen. Erst vor wenigen Monaten hat Mehmet seinen Laden von Deutschland nach Spanien verlegt. Gerade hat er sich noch mit uns auf Deutsch unterhalten und nebenbei seine neue Mitarbeiterin auf Türkisch gebeten, in der Küche Salat zu schneiden.
Es wundert mich nicht, dass bei diesem ständigen Wechsel auch ab und zu mal der ein oder andere Satz in der Sprache rauskommt, die das Gegenüber gerade nicht versteht.
Wie Mehmet mit seinem Sprachwirrwarr ergeht es mir auch heute, nach neun Monaten Aufenthalt hier in Granada, nicht selten. Als ich im August ankam, konnte ich nicht mehr als "Hola" und "Gracias". Mit Französisch-Kenntnissen aus meinem Jahr als Freiwilliger in Brüssel und einem Spanisch-Intensivkurs lebte ich mich nach einiger Zeit in die Sprache hinein.
Meine persönliche Art und Weise, Fremdsprachen zu lernen ist ein teils unbewusster Prozess, den ich nach meinem Jahr in Brüssel und der bisher hier verbrachten Zeit einer kritischen Analyse unterzogen habe.
Es funktioniert demnach in etwa so: ich lasse mich von einer Art Größenwahn getrieben darauf ein, fast ein ganzes Jahr in einem Land zu verbringen, dessen Sprache ich gar nicht oder bestenfalls in den allerwesentlichsten Grundzügen mächtig bin.
Und mächtig ist schon ein starkes Wort. Mit wenigen oder gar keinen Vorkenntnissen also reise ich in dieses Land und in diese Sprache hinein. Der erste Trick ist, so viel Spanisch wie möglich mit den Einheimischen zu sprechen. In Andalusien hat man mit Englisch im Übrigen keine ernst zu nehmende Chance, denn die angelsächsische Zunge ist offenbar nicht der Spanier bester Freund.
Der zweite Schritt ist (neben einem Sprachkurs), auf der Straße und wo auch immer ich mich sonst aufhalte, genau zuzuhören, wenn die Muttersprachler sprechen.
Hier gilt es schon einige Herausforderungen zu meistern und auch heute gelange ich noch des öfteren an die Grenzen dessen, was das mitteleuropäisch geschulte Ohr zu hören und selbiges Gehirn zu verarbeiten im Stande zu sein scheint. Spanien ist nämlich nicht gleich Spanien und Spanisch nicht gleich Spanisch. Zur Erklärung: in Andalusien sprechen die Menschen einen sehr harten Dialekt. Das beschränkt sich nicht nur auf einzelne Wörter, die einem mit Glück eine gute Sprachlehrerin möglicherweise noch als Geheimtipp eingeflößt haben mag. Feingefühl und ein gut ausgebildetes Gehör (eine musikalische Vorbildung ist vorteilhaft) sind vor allem dann unabdingbar, wenn eingefleischte Andalusier einfach jeden offenbar noch so überflüssigen s-Laut einfach komplett verschlucken.
"So hat der nette Paco im Sprachkurs uns das aber nicht beigebracht!", mag der ein oder die andere denken. Sprachlehrer geben sich selbstverständlich Mühe um eine korrekte Aussprache. Ob dies in Andalusien tatsächlich der Königsweg ist, da bin ich mir mittlerweile nicht mehr so sicher.
Öfter als wir es merken verschlucken auch wir Deutschen viele Silben und nutzen etliche umgangssprachliche Ausdruckweisen. Solcher und anderer scheinbarer Selbstverständlichkeiten bin ich mir hier bewusst geworden. Wenn man mal "curso dandalú" googelt, stößt man auf einen humorvollen YouTube-Videoclip, der die ganze Bandbreite der andalusischen Sprache anhand von andalusischen Floskeln, Redewendungen und Alltagssituationen auf witzige und anschauliche Art vermittelt. Auch mit nur geringen Spanisch-Kenntnissen kommt man hier aus dem Staunen und Lachen nicht mehr heraus. Hochspanisch müsste es natürlich "Curso de Andaluz" heißen.
Das Andalusische ist mir über die Monate hin ans Herz gewachsen und ich habe es als "mein Spanisch" übernommen. Am Anfang habe ich viel zugehört, anschließend das Gehörte imitiert, bis es sich schließlich in meinem eigenen Denken verankerte. Ähnlich hatte ich es auch schon beim Französisch Lernen in Brüssel gemacht. Mich fasziniert die Vielfalt der spanischen Sprache, doch das Andalusische ist mir besonders sympathisch. Es vermittelt Ruhe und Gelassenheit und vor allen Dingen ein herzliches Miteinander. Dabei kommt es nicht auf das Korrekte, das Genaue, das peinliche Bemessene an, sondern eher auf das, was zwischen den Worten passiert: Verständigung, Herzlichkeit, vielleicht Freundschaft. Mein Europa, wie ich es liebe, wie ich es mir vorstelle - ein Idealbild vielleicht - lebt von Sprachen. Wenn man bereit ist, sich auf den Klang, die Melodie von Sprachen einzulassen, lässt man sich auf die Menschen ein.
Man lernt die Kultur und das Leben eines Landes kennen. Sprachen sind solch eine mächtige zwischenmenschliche Brücke und nur zu selten macht man von der Möglichkeit Gebrauch, diese auch tatsächlich zu bauen. Intereuropäischer Dialog funktioniert nicht in erster Linie zwischen den Staaten und Institutionen. Diese bieten sicherlich einige hilfreiche Rahmenbedingungen, darunter nicht zuletzt die studentischen Förderprogramme ERASMUS oder FreeMover.
Doch der wahre Austausch, das Knüpfen von Beziehungen findet bei den Menschen statt. Wenn Menschen verschiedener Kulturen und Sprachen aufeinander treffen, die Vertrautheit, aber auch Einschränkungen der eigenen Muttersprache für eine Weile hinter sich lassen, dann geschieht etwas Einzigartiges. Sie öffnen sich für etwas Neues und gewähren einem andersartigen, einzigartigen Denken buchstäblich als Sprache Einzug in ihren Kopf und alle ihre Gehirnwindungen, mit neuen Wörtern, Sätzen und Klängen, auch Emotionen. Wenn das geschieht, dann geschieht Dialog.
So begann die Freundschaft zwischen Mehmet und uns, als er bei unserem ersten Besuch in seinem Laden in unsere verblüfften Gesichter sah, nachdem er mit seinem freundlichen Lächeln auf Deutsch nach unserer Bestellung gefragt hatte. Es entstehen heitere Momente, wenn mein andalusischer Mitbewohner sein vor drei Jahren beim Erasmus-Semester in Bremen gelerntes Deutsch hervorholt und mir nach ein paar Bieren eine nächtliche Deutschstunde abverlangt.
Oder wenn ich Franzosen treffe und denke, nun könnte ich beweisen, dass ich nach zwei Jahren und noch einer dazu gelernten romanischen Sprache immer noch mit ihnen mithalten kann, aber mir nach Worten ringend eingestehen muss, dass Spanisch momentan vollkommen mein Sprachzentrum dominiert. Dann steigt man eben doch wieder auf Spanisch um und es ist für alle das Normalste der Welt, in der Sprache zu kommunizieren, die in diesem Land nun einmal gesprochen wird.
Die beste und zugleich angenehmste Art mit Menschen in Kontakt zu kommen ist in Granada die Tapas-Kultur.
Die Tapas-Esser treten zumeist im Rudel auf. Obgleich es auch einige wenige empirische Daten über Genießer gibt, die nur zu zweit oder gar allein der abendlichen Gaumenfreude fröhnen, trifft man sie doch meist in Gruppen von vier oder mehr Personen an. Man geht in eine der wie Sand am Meer existierenden Tapas-Bars Granadas und bestellt dort Getränke. Das Männchen bevorzugt die cerveza (span. Bier), während die Mehrzahl der Weibchen häufig die andalusische Spezialität "vino tinto de verano" bestellen, einen eisgekühlten Mix aus Rotwein und Zitronenlimonade, süß und erfrischend zugleich.
Zu jedem Getränk wird jeweils eine kleine Mahlzeit gratis serviert: kleine Sandwiches mit Steak oder Schinken, Käse, Tortilla (spanisches Kartoffel-Omelette), ein Stück Pizza, Oliven, Pommes frites, Salat, Thunfisch,… meist gibt es jede Runde eine neue Überraschung des Hauses, manchmal kann man auch wählen. Jeder Student in Granada ist von Natur aus auf die ökologische Nische Tapas festgelegt, denn so kommt er regelmäßig an ein schmackhaftes und zugleich günstiges Abendessen in Gesellschaft von netten Leuten und einigen Gläsern kühlen Bieres.
Bevor es montags wieder zum Lernen und Kaffeetrinken in die Uni geht, klingen die Wochenenden bisweilen mit genialer Improvisationsmusik in einer kleinen Jazz-Bar aus.
Bei so viel guter Laune und authentischem Charme musste ich mich einfach in die andalusische Kultur und ihre eigentümliche Sprache verlieben, in das internationale Miteinander, den herzlichen Umgang und die lockere Lebensweise. Wenn aus solch einer Liebe Treue wird, wenn Menschen durch Sprache immer mehr Brücken schlagen, dann kommt Europa sich langsam immer näher.
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