Eindrucksvoll
Johannsons erstes freies Wochenende in Torun bescherte ihm viel Neues: Er stellte fest, dass die Nachbarstadt gar nicht so übel ist und erlebte nächtliche Hochgefühle in Toruns Kellern. Also in English.
Es ist Zeit es ist Zeit für einen Nachtrag. Kein großes Ereignis, dass mich zum Schreiben bringt, stattdessen kleckerten einige kleine vor sich hin und auch wenn ich es nicht mag, drängt mich die Vollständigkeit, sie zusammen zu binden und abzutippen. Nun denn.
Eindrucksvolle Eindrücke
Vorletztes Wochenende (18. bis 21.08.) war Friedemann zu Besuch, um sich der endlosen Wunder dieses so wunderschönen Landes zu erfreuen. Ich habe ihm ganz Torun gezeigt, sämtliche Kirchen und Fassaden, das Rathaus mit Turm, den Fluss mit Wäldern, die Brücken mit Aussicht, die Mickiewicza mit Stadtpark, den Stary Mlyn und Polomarket. Dazu die beiden Restaurants meines Vertrauens, wo fachkundig dem Misstrauen gegenüber polnischem Essen abgeholfen wurde. Und wenn wir uns gerade nicht in diversen Pubs bis zwei Uhr mit herzerfrischenden Leuten über momentan die kulturelle Verständigung so fördernde Dinge wie Steinbach, Grass, Giertych und Schwulenrechte unterhielten, erklärten uns zwei freundliche Kontrolleure, wie man Fahrkarten richtig abstempelt. Was sehr nett war, aber mir vor zwei Monaten hätte gesagt werden können – bevor es mich 75 Zlotych kostet. Im Rahmen eines Jazzfestivals konnte ich ihn gleich mit einem weiteren Gratiskonzert auf dem Marktplatz beeindrucken und sogar er aus Lübeck beneidet mich um meine Stadt.
Nicht schlecht: Ein Nachmittag Bydgoszcz
Das folgende Wochenende war mein erstes freies in Torun, das heißt, ich war nicht auf Workshops oder Stadterkundung. Da ich zunehmend mit der verrinnenden Zeit und der manchmal doch drückenden Einsamkeit zu kämpfen habe, bin ich in umliegende Städte losgezogen, denn Bewegung ist gesund. Genauer gesagt bin ich bloß bis Bydgoszcz gekommen, ja Bydgoszcz – unsere geschätzte Nachbarstadt ohne Uni. Und freimütig gebe ich zu: Bydgoszcz ist nicht wirklich Sunderland. Nein, auf dem nachmittäglichen Spaziergang sah man durchaus einige nette Dinge. Neben grauen Betonblöcken und seelenlosen Straßen gibt es sehr schöne Häuser, sogar einen kleinen Fluss, auch wenn mich dessen Gestaltung an Manchester erinnerte, aber der Altstadtmarktplatz ist hübsch. Zwar nieselte es dröge und alles war leer und geschlossen. Doch auch wenn der im Rahmen des derzeitigen ‚Harmonica Bridge’ Mundharmonika-Zwillingsfestivals in Torun und Bydgoszcz dort ziemlich allein unter seinem Plastedach sitzende Harmonikaspieler etwas Tragikomisches hatte: Sunderland war das nicht.
Mit der Sonne wurde es dann auch noch richtig schön und ich habe mich in einen kleinen Park gesetzt und ein Buch gelesen. Dabei hat mir dann irgendwann Beata, feierfreudige Motykanerin vom Workshop in Krokowa, geschrieben, dass sie nach dem Schreiben ihrer Magisterarbeit wieder in Torun ist und ob ich nicht Lust auf eine Kneipentour hätte. Womit wir beim mit Abstand Erfreulichsten der letzten Zeit wären.
Himmelhoch im Untergrund
Kneipe mit Beata bedeutet: Ernsthaftes Trinken. Wir zogen um neun los, nachdem sonst niemand aufgetaucht war. Ich kenne inzwischen einige Etablissements hier, aber mit Beata trinken heißt vom Meister lernen. Sie zeigte mir Kellerlöcher, auf die draußen noch nicht einmal ein Schild hinweist und wo auch immer wir hingingen kannte man sie. So trafen wir in einem anderen Pub einen alten Mitbewohner, der Freunde aus Israel und Frankreich dabei hatte. Am Ende nahm sie mich mit ins „Pilon“, von dem ich bis dato nur einige gute Dinge gehört hatte, aber dessen unmarkierte, schwarze Stahltür unter der Pilsudski Brücke mir so fies vorkam, dass ich dachte, es ist entweder zu oder das versiffteste Loch voller gewaltbereiter Anarchisten. Zu meiner Überraschung war es ziemlich klein, ein paar Räume in den Katakomben unter den Kaifundamenten, und auch leer. Um fünf Uhr morgens tanzten wir allein durch die leeren Räume durch die dröhnend die Sex Pistols gedroschen wurden. Ich erinnere mich nur aus den Augenwinkeln einen Schäferhund gesehen zuhaben. Es war der Himmel.
Nur nicht stehen bleiben
Ich machte mir nicht mehr die Mühe, nach Hause zu gehen sondern blieb gleich in der Stadt. Den Tag habe ich vornehmlich in Kinos verbracht, im Stary Mlyn und in einem Harmonika-Orgelkonzert. Ich sehe momentan viele Filme, der letzte an diesem Sonntag endete um Mitternacht, sodass ich wieder erst spät im Bett lag. Am nächsten Tag feierte die nächste Motykanerin ihre Magisterparty, wo ich bis um zwei blieb und natürlich auch Beata nicht fehlte. Dort war ein deutsches Mädchen, die hat ihren Europäischen Freiwilligendienst in Bialystok und ihren Erasmus-Austausch in Torun verbracht und spricht jetzt fließend Polnisch.
Weiterhin komme ich spät nach Hause, denn die Letzte-Wochen-Depression setzt ein und ich möchte die Zeit so intensiv nutzen wie möglich. Vokabelstudium und Lektüre finden fast ausschließlich in Bars und Cafés statt, weil mir zu Hause die Wände zu eng zusammen stehen. Gestern Abend war ich im Theater, heute vielleicht wieder Kino, das Wochenende eventuell in Olsztyn und nächste Woche feiern vielleicht wieder einige Leute ihre Magister. Ich dringe weiter langsam aber unheimlich befriedigend in die Sprache vor und habe so wenig Lust, mich um eine Wohnung fürs Studium zu kümmern.
Das ist alles. Nach dem Wochenende ist es schwer, die Abende wieder alleine zu verbringen.