Ein Land im Aufschwung
Was assoziiert man mit Rumänien, wenn man nichts über das Land weiß? Frauqui sieht sich von allerhand Vorurteilen umgeben und lässt sich in Bukarest eines Besseren belehren.
Noch vor wenigen Jahren assoziierten die meisten Deutschen Rumänien mit Armut, Zigeunern und illegalen Gastarbeitern. Ähnliche Stereotypen begegneten mir, als ich meinen Entschluss, ein Jahr in dem osteuropäischen Land zu verbringen, Freunden und Familie mitteilte. Ob es denn da überhaupt fließendes Wasser gebe, wurde ich gefragt, und viele warnten mich vor Diebstahl und anderen Gefahren, denen ich als blondes Mädchen möglicherweise ausgesetzt sein würde.
Nach diesen eher ablehnenden Reaktionen war ich eigentlich noch gespannter auf dieses mir (und allen, die mich warnten, ebenfalls) unbekanntes Land, und in gewissem Sinne trotzig, Rumänien in all seinen Facetten kennen zu lernen, um es anschließend besser zu wissen.
Bukarest war für mich eine große Überraschung. Leuchtende Reklametafeln soweit das Auge reicht, Praktiker, Billa, VW, Hornbach. Von osteuropäischem Exotismus keine Spur, Rumänien begrüßte mich im Gewand einer ostdeutschen Großstadt.
Tatsächlich finden sich hier viele Einflüsse der deutschen, aber vor allen Dingen der österreichischen Industrie. Die meisten deutschen Bewohner der ehemaligen Siedlungen wie Sibiu (Hermannstadt) sind mittlerweile zurückgekehrt, natürlich nicht, ohne Spuren zu hinterlassen. Aber auch wenn das Bild der Rumänen von den Deutschen grundsätzlich ein positives ist, so sind sie doch vor allem stolz auf ihre eigene Kultur, auf rumänische Musik und Lebensart.
Doch seit den Jahren des Kommunismus hat sich einiges verändert im Land der Vampire. Vor allem die Jungend wird, wie überall in Europa, von der Amerikanisierung des Alltags ergriffen. Rumänische Popsänger versuchen sich mit englischen Lyrics, die Tänzerinnen in den Videos tragen wenn möglich noch weniger Kleidung als ihre amerikanischen Vorbilder und nächste Woche gibt Madonna ihr aller erstes Rumänienkonzert in Bukarest.
Die Menschen erleben den Aufschwung, und sie feiern ihn - auf dutzenden Festivals mit verschiedenen Hintergründen, in Diskos und Bars im ganzen Land. Doch genauso wenig, wie sie dabei ihre eigene besondere Kultur vergessen, gelingt es ihnen, die schmutzigen Gesichter der Zurückgelassenen zu ignorieren - in Bukarest, aber auch in jeder anderen Stadt, in den Straßen, auf den Bahnhöfen.
Die Rede ist von Bettlern, die meisten von ihnen Roma, also Zigeuner. Viele Rumänen hassen sie regelrecht, augenscheinlich aus genau diesem Grund. Denn sie sitzen vor dem leuchtenden "M" des amerikanischen Traums, den viele in diesem Land träumen, sie bitten in schicken Cocktailbars um Zigaretten und Kleingeld und verkaufen Obst auf den frisch geteerten Straßen, die in eine Zukunft des Wohlstands führen. Viele halten sie für faule Diebe und beschimpfen sie auf offener Straße, werfen ihnen vor, dass sie ihre Kinder ausnutzen, um Mitleid und so einige Lei zu ernten.
Für mich repräsentieren die eigenwilligen Roma in ihren bunten Kleidern die Wildheit und Lebenslust der Rumänen. Neben traditionellen Musikern und altertümlichen Bauwerken geben sie dem Land seine Würze und erhalten den Traum von Abenteuer und Freiheit. Und ich gehe tausend Mal lieber auf ein Folklore-Festival in Făgăraş, wo man Jugendliche trifft, die mit Gitarrenbegleitung alte rumänische Lieder singen, als auch nur eine Minute MTV România zu sehen.
Rumänien erlebt eine Zeit des Aufschwungs, daran besteht kein Zweifel. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass die Menschen darüber nicht die Dinge vergessen, die diesem Land seine besondere Lebensart verleiht, und dass Jugendliche in Baggypants nicht auf Dauer die brillianten Geschichtenerzähler mit ihren Gitarren ersetzen werden.
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