Ein Europäisches Wochenende in Redon
Die Freiwilligen in Redon laden die Einheimischen drei Tage lang dazu ein, Europa zu entdecken
Finnische Zimtschnecken reihen sich an türkisches Strudelgebäck, eine große Schüssel deutscher Spundekäse drängt sich zwischen italienische Pizzetti, Tiramisu und rumänische Polenta. Der portugiesische Milchreis verteilt sich in kleine Becher, daneben steht ein großer Teller mit Salat und kleinen türkischen Linsenbällchen. Um das bunte Buffet sammelt sich eine große Gruppe Menschen, sie füllen Tellerchen, probieren unbekannte Köstlichkeiten aus fremden Ländern und reden hier und dort in kleinen Gruppen mit den europäischen Freiwilligen und Freunden, Bekannten aus der Stadt und neu Kennengelernten. Ein paar Mädchen wuseln von Tischen zum Buffet und in die Küche, holen Teller und Gläser und füllen Schüsseln nach. Und ich stehe mittendrin und atme auf. Die „Journées de l’Europe“, das europäische Wochenende, das wir Freiwilligen in Redon organisiert haben, ist sehr gut gelaufen und wurde reich besucht.
Zu zehnt sind wir europäischen Freiwilligen im Moment in Redon. Jeder arbeitet in einer anderen Struktur, doch seit nun schon mehreren Jahren organisiert die kleine Gemeinschaft zusammen diese europäischen Tage für ihre Aufnahmeorganisationen und die Einwohner von Redon. Mit der Vorbereitung dieses aktionsreichen Projekts haben wir schon im November begonnen. Ideen sind gesammelt, Workshops und Veranstaltungen geplant und Partner für die Ereignisse gesucht worden. In wöchentlichen Treffen haben wir uns als Gruppe zusammengesetzt, Planungen besprochen und Aktionen entworfen. So ist ein buntes Programm entstanden, das wir auf Flyern und Plakaten in der ganzen Stadt publik gemacht haben.
Am Freitag, den 18. März, geht es für uns dann los. Die Gruppe trifft sich im Centre Social, wo gemeinsam alles für den ersten Workshop aufgebaut wird: EBRU, eine türkische Kunst, die Sera und Meryem, die beiden türkischen Freiwilligen, mit Begeisterung ausüben – und heute einem bunten Publikum zeigen wollen. Und tatsächlich kommen die unterschiedlichsten Menschen. Wir beginnen zusammen mit den Jugendlichen mit körperlicher Behinderung der Schule, in der Franziska, die deutsche Freiwillige arbeitet. Die haben sichtlich ihren Spaß an dieser so ganz anderen Kunst: Auf einem speziell vorbereiteten Wasser werden Farben mit Pinseln Farben aufgetupft und gespritzt, später legt man ein Blatt Papier darauf – und wie mit Magie kopiert sich die Farbe komplett darauf. Und das faszinierte nicht nur die Kinder, sondern auch Jugendliche wie Erwachsene, Freunde wie Organisationspräsidenten. Gleichzeitig wurden im Foyer alle möglichen Dinge getauscht, die die Teilnehmer nicht mehr brauchten und gegen etwas Nützliches daließen. Und in der Spielerei gab es allerhand Neues zu entdecken.
Mit den Werken des Tages ziehen wir abends weiter ins „Ciné Manivel“, das Kino der Stadt, wo wir eine kleine Ausstellung vorbereiten und Anastasia, die ukrainische Freiwillige, und Alexandra, die Rumänin, treffen, die einen bunten Aperitif gekocht haben. Nach und nach tröpfeln die Leute ein, bekannte Gesichter vom Nachmittag, aber auch zufällig Vorbeikommende, die sich auf ein Glas Saft einladen lassen und sich schließlich begeistert vom Europäischen Freiwilligendienst erzählen lassen. So schließen wir den ersten Tag ab – und gehen für den nächsten Abend kochen.
Denn am Samstag geht es weiter, Franziska und ich ziehen morgens los in den nahegelegenen Gemeinschaftsgarten. Dort bieten wir einen kreativen Armbänder-und-Anhänger-und-was-uns-sonst-noch-einfällt-Workshop an, daneben eine große Box mit Samen zum Tauschen. Gleichzeitig veranstaltet meine Tutorin im Garten einen Workshop im Weidenflechten. Ein Vater mit zwei kleinen Kindern kommt vorbei, der nach ein paar Minuten begeisterter vom Bänder aus Schilf erstellen ist als seine Jungs, eine Gruppe Gärtnerinnen schaut vorbei und drei der anderen Freiwilligen stürzen sich in das Knüpfen. Auch im Garten ist bei dem trockenen Wetter nicht wenig los und am Ende des Vormittags schwimmt dort ein Schiff am Zaum und eine halbe Hütte schaukelt im Wind. Stefania, die italienische Freiwillige, ist währenddessen dabei mit Nicolò, dem Italiener, und Martha, der Portugiesin, mindestens 100 Bleche Pizza vorzubereiten.
Während Tiina, die finnische Freiwillige, im Rahmen der „Gesundheitswoche“ des Centre Social den Tanz NIA präsentiert, und dann mit ein paar anderen am gemeinsamen Marsch durch die Stadt, auf dem gesungen und Musik gemacht wird, ziehe ich schon los zur Musikschule, um das Theater vorzubereiten. Mit den ältesten meiner Theaterkinder habe ich gemeinsam einen „Europäischen Theaterworkshop“ vorbereitet, mit vielen Spielen. Zuerst stehen wir dort allerdings mit wenig Publikum, bis eine Gruppe der Erwachsenen aus der Wohngruppe für geistig behinderte Erwachsene ankommt. Aus dieser bunten Mischung an Menschen entsteht ein für alle Seiten neuer und interessanter Workshop, auf dem wir spielen und uns verstehen lernen.
Fast nahtlos gehen wir davon in die Theatervorstellungen über. Im großen Konzertsaal sammeln sich immer mehr Menschen, bis wir Stühle dazustellen müssen. Die Theatergruppe des Centre Social spielt das selbstentworfene Stück „Merci la vie“, in dem sie davon erzählen, wie ihnen die kleinen Dinge des Lebens die Freude am Leben geben. Danach gibt die Jugendtheatergruppe von La Fédé eine Vorstellung im Improvisationstheater. Aus jeweils zwei Worten, die vom Publikum auf kleine blaue Zettel geschrieben wurden, improvisieren sie in Paaren kurze, lustige Sketche zu allen möglichen Themen. Außerdem erzählen sie Geschichten aus von den Zuschauern zugeworfenen Worten. Beide Vorstellungen ernten viel Applaus und die Menge unterhält sich fröhlich bei einem bunten Buffet, für das unsere türkischen Mädels die ganze Nacht und den Tag gekocht haben – mit Erfolg, denn danach ist nichts mehr übrig davon.
Daran schließt der Höhepunkt der Wochenendes: Ein Konzert aus vier Gruppen. Zuerst spielen drei Jugendbands, die in der Musikschule betreut werden, die Mädchenband „Cannibal Queens“, die „Black Cherries“ und „Sweet Jerk“. Sie präsentieren eine bunte Mischung aus bekannten Songs, die die Besucher immer begeisterter mitsingen und –tanzen. Nach ihnen betreten „The Bloyet Brothers & Lourychords“ die Bühne, eine Rockband aus drei Brüdern und einem E-Gitarristen, die in Redon aufgewachsen und im Moment in der Gegend auf Tour sind. Mit viel Bühnenpräsenz reißen sie die Jugendlichen und jungen Erwachsenen zum Tanzen mit. Wir feiern unser Wochenende in der Sprache, die jeder, egal welcher Abstammung, versteht, der Musik. Perfekt beendet wird der Abend für uns schließlich mit einer von allen Bandmitgliedern signierten CD, einem gemeinsamen Pizzaessen im Backstage und einem langen Abend in unserer Lieblingsbar.
Sonntagmorgen stehen wir dann noch einmal in der Küche und bereiten mit landestypischen Köstlichkeiten ein großes Brunch-Buffet vor. Italienisches aus dem Ofen, deutsches aus dem Kühlschrank, finnisches Gebäck, türkischer Auflauf. Mit einer unerwartet großen Besuchermenge, die wie erhofft selbst jeweils ein kleines Gericht beisteuern, essen und reden wir Freiwilligen, und schließen unser europäisches Wochenende sehr zufrieden ab. Verschiedene Menschen treffen, europäische Ideen verbreiten, bunte Aktionen veranstalten – Ziel erreicht.