Dreikönige, eine Beschreibung meiner Arbeit, Sintra und ein bisschen Wintergrippe
Nachdem ich zuvor über Weihnachten, Silvester und die ersten paar Tage von 2015 berichtet habe, lässt sich hier lesen, was ich Mitte Januar so erlebt habe.
In der ersten kompletten Woche des neuen Jahres 2015 stand dann dienstags der Dreikönigstag an. Bis vor einigen Jahren war der 6. Januar wie in manchen gegenden Deutschlands oder auch in Spanien in Portugal ein Feiertag. Zur Steigerung der Steuereinkommen wurde dieser Feiertag dann aber abgeschafft. Nichtsdestotrotz pflegen viele Portugiesen Anfang Januar die Tradition „Cantar as Janeieras“ („Die Januare singen“), was in Deutschland wohl den Sternsingern entspricht. So ziehen Anfang Januar feierabends Gruppen von Kindern, älteren Menschen usw. von Haus zu Haus, klingeln und singen den Hausbewohnern bei entsprechender Erlaubnis ein Ständchen, wofür diese i. d. R. ein paar Münzen geben. Ich lernte in den ersten Tagen des neuen Jahres also auch zwei typische portugiesische Dreikönigslieder. Das erste Mal bin ich nämlich tagsüber, während der Arbeitszeit, mit einer großen Gruppe von Behinderten, Musiklehrer und Betreuern von meiner Behinderteneinrichtung aus losgezogen, um die „Janeiras“ zu singen. Hier sind wir dann von Geschäft zu Geschäft gegangen, da diese auch für eine größere Gruppe und auch häufiger mit Rollstühlen zugänglich sind. Das andere Mal bin ich mit einer Gruppe von Freiwilligen des Vereins Louzanimales losgezogen, dessen Ziel es ist, die Lebensbedingungen herrenloser Hunde und Katzen zu verbessern. Da Louzanimales das EVS-Projekt von Sofia und Erdal ist, sind auch Maria und ich gemeinsam mit anderen Freiwilligen, die diesen Verein in ihrer Freizeit unterstützen, gerne ein zweites Mal „die Januare singen“ gegangen, diesmal dann am Feierabend.
Nachdem ich die Jahreswende auch ohne meine deutsche Mitbewohnerin Sofia verbracht hatte, stellte deren Rückkunft am 6. Januar gemeinsam mit einem Freund aus Deutschland hier in unserer Wahlheimat Lousã, einen kleinen Höhepunkt dar. Die Rückkehr von Maria und Sofia, die die Wiedervereinigung unserer Freiwilligen-WG bedeutete, feierten wir am darauffolgenden Freitag schön gemütlich in kleiner Runde, also nur Maria, Sofia, mein türkischer Mitbewohner Erdal, mit dem ich auch Silvester verbracht habe, und ich. Am folgenden Samstag und Sonntag hatte ich nicht besonders viel gemacht, da ich ein bisschen gekränkelt habe, so dass ich meinem Körper einfach die nötige Zeit und Ruhe gegeben habe.
Die sich anschließende zweite Arbeitswoche des neuen Jahres arbeitete ich (wie auch die erste) entsprechend meines Stundenplans, den ich im Folgenden mal etwas ausführlicher beschreiben möchte. Mein Arbeitgeber (oder Hosting Organization wie es im EVS-Vokabular heißt) nennt sich ARCIL, eine recht große und in Lousã und Umgebung sehr bekannte Einrichtung für behinderte Menschen. ARCIL beschäftigt insgesamt mehrere hundert (nichtbehinderte) Menschen Arbeit und ist nach einer Papierfabrik und der Gemeindeverwaltung, zumindest an der Zahl der Mitarbeiter gemessen, der drittgrößte Arbeitgeber des Städtchens. Wie eigentlich alle großen Organisationen ist ARCIL in verschiedene Bereiche unterteilt. Neben dem SAPO, dem Casa das Cores und dem Bauernhof, wo ich überall arbeite, gibt es eine Töpferwerkstatt eine Palettenfabrik, eine Wäscherei, eine Sparte Landschaftsgärtnerei und wahrscheinlich auch noch ein, zwei mehr Zweige, die ich hier vergessen habe.
Ich habe einen wöchentlichen Stundenplan und bin jeden Tag woanders: Montags und donnerstags arbeite ich in einem Gebäude, dass sich SAPO nennt (ist wie der Name ARCIL ebenfalls ein Akronym dessen genaue Ausschreibung ich mir nicht merken kann). Dort verbringen behinderte, erwachsene Menschen den Arbeitstag, der hier zwischen 9.30 Uhr und 16.30 abläuft. Ich unterstütze in einer der Gruppen die Betreuer. Von Ende September bis kurz vor Weihnachten bestand die Arbeit im Falten von Pralinenverpackungen für die hiesige Beirão-Fabrik. In der Vorweihnachtszeit erhielt man diese mit Likör Beirão gefüllten Pralinen nämlich als Werbegeschenk beim Kauf einer Flasche des gleichnamigen, international bekannten Likörs.
Seit Anfang Januar ist der SAPO aber sozusagen wieder (erwerbs-)arbeitslos. Wir beschäftigen uns dann oft mit Handarbeiten, Basteln, Brettspiele spielen, Malen usw. Außerdem nehmen die Behinderten wöchentlich an bestimmten Aktivitäten wie Tanz-, Musik-, Sportstunde etc. teil. Leider wird auch viel Zeit mit Nichtstun und Fernsehgucken verbracht, was Maria (meiner Freiwilligenkollegin) und mir überhaupt nicht gefällt. Sicherlich ist es auch nicht einfach dies zu ändern, da viele unserer Behinderten es auch gar nicht gewohnt sind, von den Mahlzeiten mal abgesehen, einen Tag mit zahlreichen Aktivitäten zu haben. Dazu kommt, dass das Fernsehen in Portugal leider einen ganz anderen (noch höheren!) Stellenwert als in Deutschland hat. Als Freiwillige versuchen wir gerade deswegen ein bisschen „frischen Wind“ mitzubringen. So habe ich z.B. Kuchen oder auch schon Weihnachtsplätzchen gebacken oder wir gehen auch öfters mal spazieren. Mittlerweile werden für dieses Jahr auch einige Ausflüge geplant. Wir sind aber sozusagen immer auf der Suche nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten, wollen unsere Heimatländer besser präsentieren, mehr und neuartige Ausflüge machen usw.
Dienstagabends arbeite ich im Casa das Cores, was ein Heim für Kinder und Jugendliche ist, die entweder eine bestimmte Behinderung haben und/oder nicht bei ihren Eltern wohnen können bzw. dürfen. Am Dienstagabend übernehme ich den Fahrdienst für verschiedene Freizeitaktivitäten, d.h. ich bringe und hole verschiedene Kinder im Auto zum/vom Tanzkurs und vergleichbaren Aktivitäten. Einen Jungen bringe ich auch zur Hydrotherapie, wo ich auch fürs Umziehen, Duschen und Wiederanziehen verantwortlich bin. Seit einigen Wochen begleite ich auch einen Autisten im Hallenfußballtraining, eine Arbeit, die mir auch viel Spaß macht, obwohl ich noch immer nicht (nie?) richtig Fußball spielen kann. Ohne meine Begleitung würde dieser Junge sonst wohl nie Sport treiben. Danach esse ich in der Regel auch gemeinsam mit den Bewohnern dieses Heimes zu Abend.
Gelegentlich arbeite ich auch am Wochenende (ohne bestimmte Regelmäßigkeit) dort, wobei es oft gar nicht einfach ist, auf gute Ideen zu kommen, was man mit den Kindern/Jugendlichen machen könnte. Hier ist es nämlich ähnlich, wie im SAPO. Wenn kein Programm vorgegeben wird, wird ein Großteil des Wochenendes auf der Couch vor dem Fernseher verbracht. D. h. ich bin sozusagen auch Animateur und immer auf der Suche nach Aktivitäten, die möglichst nichts kosten, wenig Aufwand (bzw. Betreuer) benötigen und auch möglichst noch allen gefallen. Letzteres ist aber nicht so schwierig. Im Allgemeinen sind unsere Behinderten nämlich sehr dankbar, wenn man sich Zeit für sie nimmt, die Art der Aktivität spielt eine recht untergeordnete Rolle.
Mittwochs und freitags arbeite ich auf dem Bauernhof von ARCIL. Dort gibt es zwar einige Felder, Gewächshäuser und auch ein paar Nutztiere (Kühe, Ziegen und Schweine), jedoch sind die teilweise gar nicht Eigentum von ARCIL oder fallen einfach überhaupt nicht in meinen Aufgabenbereich. Die meiste Zeit verbringe ich dort in der Küche mit dem Backen von Keksen, Kuchen für das Café von ARCIL (i. d. R. gemeinsam mit Behinderten). Manchmal machen wir auch Gelee oder Marmelade. Wie in eigentlich allen Bereichen sind meine Kollegen auch dort sehr nett und aufgeschlossen, so dass ich meinen Wortschatz auch täglich vergrößern kann.
Nach dem ich also die Woche ab dem 12. Januar normal gearbeitet habe, bin ich am folgenden Wochenende mit meinen Mitbewohnerinnen Maria und Sofia wieder aufgebrochen, um ein bisschen mehr von unserem Gastland Portugal zu sehen. Da Sofia am Samstagmorgen arbeitete, sind wir dieses Mal, recht ungewöhnlich, erst am Samstagnachmittag in Richtung unseres Zieles Lissabon aufgebrochen. Dort haben den geselligen Abend gemeinsam mit zwei anderen Freiwilligen, die wir beim On-Arrival-Training im September kennengelernt hatten, verbracht. Für den Sonntag hatten wir uns Sintra vorgenommen, was ein Lissabon vorgelagertes Städtchen ist, etwa in der Mitte zwischen Lissabon und dem Cabo da Roca, dem westlichsten Punkt des europäischen Festlandes, gelegen. Sintra kann als die Stadt der Paläste bezeichnet werden. Anfangs mit der Idee aufgebrochen, in der knappen Zeit, die ein Tag bietet, wenigstens zwei Paläste zu besichtigen, haben wir letztendlich aber lediglich die Quinta da Regaleira mit dem zugehörigen Park besichtigt. Dieser Palast und v. a. dessen tropisch anmutender Park mit zahlreichen Höhlen, Galerien, Türmchen, (teilweise begehbaren) Brunnen usw. war die Zeit aber auf jeden Fall wert. Leider mussten zumindest Maria und ich uns abends von den andern beiden Freiwilligen und Sintra schon wieder verabschieden und auf den Heimweg machen.
Die sich anschließende Woche spielte sich für mich hauptsächlich zwischen meinem Bett und unserer Küche mit dem so wertvoll gewordenen Wasserkocher ab. Zuvor hatte ich schon bemerkt, dass mein Immunsystem ziemlich beschäftigt war, aber ab Montag hatte ich dann ordentlich mit der Grippe zu kämpfen, so dass ans Arbeiten nicht mehr zu denken war. Im Verlauf der Woche verbesserte sich meine Verfassung nur ganz allmählich, so dass ich auch den Sketch, den unsere Theatergruppe an diesem Samstag aufführte, auch nur als Zuschauer erleben konnte. Der Sonntag, 25. Januar war dann der erste Tag, an dem ich wieder normal einsatzfähig war, weswegen ich auch gleich das wundervolle Wetter für einen kleinen Ausflug in unsere Serra da Lousã ausnutzte.
Seit dieser Woche bemerke ich aber erst, wieviele Menschen in ARCIL, aber auch sonst in meinem Bekanntenkreis in Lousã im Winter eigentlich krank sind. Bis dahin war mir dies nie aufgefallen. Seitdem verfolge ich auch viel bewusster die Nachrichten über die Situation in den portugiesischen Krankenhäusern, wo in den letzten Woche sogar Patienten aufgrund von Personalmangel auf dem Flur gestorben sind. Grundsätzlich liegt im Gesundheissektor ein großer Geldmangel vor, zu dem die aktuelle Krise sicherlich auch ihren Teil beiträgt. So kommt es auch hin und wieder zu Engpässen, was die Versorgung mit medizinischem Material anbelangt und z. B. Impfungen gegen Hepatitis C, die in Deutschland Standard sind, können sich in Portugal nur Reiche leisten, da der Staat diese nicht finanzieren kann. Daneben mangelt es auch an Personal. Da die Arbeitsbedingungen insbesondere in den Notaufnahmen aber äußerst schwierig sind, streiken die vorhandenen Ärzten immer wieder, was natürlich andererseits unmittelbar zu einer Verschlechterung der Situation in den Krankenhäusern führt.
Soweit mal ein paar Zeilen zu mir und meiner Situation…, ich bin schon recht schreibmüde.