Diyabakir - Im Zentrum des Kurdenkonflikts
Eine Stadt, in deren Herzen Krieg herrscht: Diyarbakir. Einst ein Kulturzentrum, reich an Geschichte und von großer religiöser Bedeutung, aber heute liegt die Stadt in Trümmern. Ein Portrait über eine verwundete Stadt und ihren Menschen
Wenn Ciwan Haco von Diyarbakir sing, ist seine Stimmer schwer vor Sehnsucht. Während ich mit einem Freund von mir ewige dunkle Felder unter einem leuchtenden Sternenhimmel hinter mir lasse und wir uns langsam der Stadt nähern, hören wir Ciwans Lieder. Und nach meinem zweitägigen Besuch in der südöstlichen Stadt kann ich auch nicht anders als von Diyarbakir mit melancholischer Nostalgie zu schwärmen.
Auch wenn in der Türkei in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte in Fragen der Individualrechte, und insbesondere der Kurdenrechte, gemacht hat. Es ist beispielsweise das Kurdische als Sprache wieder erlaubt wurden, obwohl es immer noch nicht offiziell an Schulen unterrichtet werden darf. Auch wurden kurdische Parteien mittlerweile zugelassen, und so steht Diyarbakir unter kurdischer Verwaltung. All diese positiven Tendenzen sind aber seit dem versuchten Putsch in der Türkei wieder rückläufig: Kurdische Politiker, Schriftsteller und angebliche PKK- Sympathisanten werden rigoros verfolgt und unter fragwürdigen legalen Bedingungen verurteilt.
Auch wenn es in Diyarbakir an allem mangelt, an einem ganz gewiss nicht: An jungen Menschen. Über 60% der Stadtbewohner sind unter 25 Jahre alt, die Mehrheit davon arbeitslos. Diese Generation sowie die davor werden auch "Kinder des Krieges" genannt, sie sind diejenigen, denen der türkische Krieg gegen die Kurden die Kindheit geraubt hat. Zufällig begegnete ich Halil, der Teil dieser verlorenen Generation ist: Mit 22 Jahren arbeitet er ganztägig, geht abends noch zu Schulkursen um seinen Schulabschluss nachzuholen, aber er sieht keine Hoffnung für sich selbst – "Mein Leben bedeutet nichts", erklärt er mich, "und am liebsten wollen sie mich tot sehen, weil ich Kurde bin." Diese Gespräche haben in mir einen tiefen Eindruck hinterlassen.
Seit den 1970/1980er Jahren herrscht im Südosten der Türkei Ausnahmezustand, und durch den Terror auf den Dörfern wurde die kurdische Landbevölkerung vertrieben, viele suchten Zuflucht in den Städten. Diyarbakir wuchs in dieser Zeit von 200.000 Einwohnern auf über einer Million. So fehlt es natürlich an Infrastruktur, an Wohnungen und an Schulen - Aber vielleicht sind es auch gerade all diese Schwierigkeiten, die die Menschen dazu bewegen, sich zu engagieren und ihre Stadt wiederaufzubauen: So existieren alleine in Diyarbakir über 400 ehrenamtliche Vereine und die lokale Politik ist sehr engagiert, wenn es um ihre Bürger geht.
Aber angesichts der massiven Probleme und der Repressionen haben die Mitglieder der terroristischen PKK ein leichtes Spiel, junge Menschen zu rekrutieren. In vielen ist der Hass so angestaut und da es kaum Möglichkeit zum sozialen Aufstieg oder zur Arbeit gibt folgen viele dem Ruf in die Berge. Aber auch in der Stadt ist der Guerilla-Krieg der PKK längst präsent: Innerhalb der historischen Stadtmauern, dem Sur, herrscht Krieg, viele Straßenzüge sind abgeriegelt und werden immer noch bombardiert, weil dort PKK-Mitglieder vermutet werden. Am meisten leidet darunter aber die Zivilbevölkerung: An jeder Straßenecke gibt es Militärkontrollen, viele mussten ihre Häuser verlassen, weil sie attackiert wurden, und oftmals wird willkürlich verhaftet.
Und trotzdem, mitten im Krieg, haben die Menschen ihre Menschlichkeit aufrecht gehalten: Ich könnte viele Geschichten erzählen, wie freundlich mir Menschen begegnet sind, wieviel Liebe sie noch zum Leben haben und wie sie ihren Alltag mit all den Schwierigkeiten meistern. Eine kleine Anekdote zum Schluss: Während meines Aufenthalts in Diyarbakir war es unglaublich heiß und es war mitten im Fastenmonat Ramadan, ich ging also in ein kleines Geschäft um mir Wasser zu kaufen. Als ich mich nach dem Preis des Wassers erkundigen wollte, schüttelte der Verkäufer nur den Kopf. Ich war irritiert und dachte, ich hätte vielleicht etwas Falsches auf Türkisch sagt, und wiederholte meine Frage aber er antworte nur: "Nein nein, das ist ein Geschenk, du bist unser Gast hier. Willkommen in Diyarbakir."