Die erste Woche ist geschafft
"Hier im Heidelberg-Zentrum, wo ich wohne und arbeite, ist jeden Tag Bewegung". Jule_die_kuhle ist in der Ukraine angekommen - kurz darauf kam überraschend hoher Besuch...
Erste Eindrücke!
Gut eine Woche ist geschafft und ich habe bereits etliches erlebt, gelernt und gesehen.
Nach gut 43 Stunden Zugfahrt sind meine Mitfreiwillige Kassandra und ich am Nachmittag im Simferopoler Bahnhof angekommen. Anschließend ging's mit dem Taxi, was ein halb zerfallender Lada war, in unser neues Zuhause.
Eigentlich war ich richtig k.o., sodass ich nicht mehr viel mitbekommen habe, weder von den Geschäften am Straßenrand, noch von den Leuten, die mir vorgestellt wurden.
Mein Zimmer ist klein aber fein. Ich bin ständig dabei Ideen zu sammeln, um es gemütlicher zumachen. Ich habe ein Fenster, was allerdings nicht viele Licht bringt, da etwa nur ein Meter entfernt das nächste Haus steht. Im Moment funktioniert nur eine meiner drei Lichterlampen im Zimmer. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn so oft bin ich hier eh nicht drin.
Am Mittwoch, meinem ersten richtigen Tag, habe ich dann doch fast die wichtigsten Leute auf einmal kennengelernt. Dann durften wir auch gleich im Garten helfen und Unkraut zupfen. Dabei schien uns die Sonne mit 25 Grad auf den Rücken. Am Abend hat uns dann unsere Chefin ein Stück durch die Stadt geführt und uns den Supermarkt gezeigt, in welchem wir bisher fast jeden Abend waren.
Unser Essen müssen (können) wir selber machen, worüber ich sehr froh bin. So muss ich mir keine Pellmini & Co. aus Höflichkeit reinzwängen. Im Supermarkt gibt es alles, was mein Herz begehrt. Auch auf Milka-Schokolade muss ich nicht verzichten. Allerdings sollte man bei jedem Produkt das Haltbarkeitsdatum überprüfen. Irgendwie nehmen die das hier nicht so genau.
Was die Leutchen hier aber sehr genau nehmen, ist ihr äußeres Erscheinungsbild. Die Frauen sind zum Großteil übelst aufgebretzelt, wobei man zwischen stilvoll und nuttig unterscheiden muss. Mittlerweile kann selbst ich sagen, wer aus dieser Gegend kommt und wer nicht.
Auf mich scheint die ganze Sache schon abzufärben, denn bevor ich in die Stadt gehe, muss ich mich erst zurechtmachen. Wenn man in die Stadt geht, dann muss man auch auf den Verkehr achten. Das hier kann man kein Autofahren nennen, es ist willkürliches Gerase und Gehupe. Ich will nicht wissen, wie es in Kiev oder Petersburg ist. Als Fahrradfahrer ist man da wohl gleich tot, hier kann es aber bestimmt auch nicht lange dauern.
Hier im Heidelberg-Zentrum, wo ich wohne und arbeite, ist jeden Tag Bewegung. Es werden Deutschkurse angeboten und es gibt einen Computerclub. Außerdem wird hier täglich für sechs ehemalige Zwangsarbeiter gekocht, die es aus eigenen Kräften wohl kaum schaffen würden.
Hinzu kommt die eine-Frau-Wäscherei, die ebenfalls deren Kleidung wäscht. Mehrmals pro Woche kommen eine Frisöse und ein Arzt, der auch von anderen Leuten genutzt wird. Meine Aufgabe, die Hausbesuche einiger ehemaliger Zwangsarbeiter, wird Ende Oktober beginnen. Bis dahin bleiben wir hier im Zentrum und sind Mädchen für alles. Holz umstapeln, Bänke streichen, im Garten helfen, putzen, Müll wegbringen.
Heute, am Mittwoch, haben wir jemanden neues kennengelernt. Den Ali. Ali ist 29 und Banker aus Kuwait. Jedes Jahr fährt er für ein bis zwei Monate nach Simferopol in den Urlaub. Mit ihm werden wir jetzt mal die Kneipen ein bisschen durchtesten. Außerdem wollen wir in zwei Wochen gemeinsam ans Meer fahren, weil Ali weiß, welchen Bus wir nehmen müssen.
Bus fahren, hier auch Maschrutka genannt, ist richtig billig. Man zahlt pauschal zwei Griwna (etwa 30 Cent), wenn man einsteigt, egal wie weit man mitfährt. Es gibt hier zwar Haltestellen, aber die Fahrer halten auch sonst überall an. Man muss es nur laut genug zum Fahrer brüllen.
Am Freitag hatten wir dann bereits unseren ersten richtig hohen Besuch, wahrscheinlich den höchsten überhaupt. Der deutsche Botschafter aus Kiev war zu Besuch.
Kurzfristig, einen Tag vorher angemeldet. Er ist neu in seinem Amt und macht eine Rundreise. Da das Heidelberg-Zentrum ein deutsches Zentrum ist, wollte er hier unbedingt hin. Nach einer kleinen Gebäude- und Hofführung haben wir zusammen mit einigen Mitarbeitern bei Tee und Kaffee zusammen gesessen und Probleme besprochen. Bzw. unsere Chefin Luba hat gesprochen, die ganze Zeit.
Nach einem Händeschütteln haben wir zum Abschluss noch von des Botschafters Sekretär, der auch Kultur-irgendwas ist, eine Visitenkarte bekommen. „wenn wir mal Probleme haben sollten“, der Sekretär heißt Jean-Pierre und er hat erwähnt, das seine Handynummer auch auf der Karte steht. Aha. Und warum sagt er nicht, dass sein Name auch drauf steht? Das war ein komischer Kunde, aber nun gut.
Am Samstag haben wir dann mit einigen Mitarbeitern und einigen Rentnern eine kleine Busrundreise gemacht. Wir waren in Bachtschisaray, wo es ein Höhlenkloster gibt und ganz viele andere Höhlen, die ich noch nicht gesehen habe. Anschließend fuhren wir nach Sewastopol, wo wir am Hafen einige der russischen Kriegsboote gesehen haben. Und dann habe ich meine erste Wodka-Erfahrung auf der Krim gemacht.
Es war Tag vier: ein Gläschen Wodka. Einmal ist keinmal. Das zweite Gläschen Wodka. Zwei mal trinken ist nichts Ganzes und nichts Halbes. Man trinkt immer drei Mal, auf den Vater, auf den Gott und auf den heiligen Geist. Da ich eh nicht viel vertrage, haben ich und auch meine Mitmenschen den Pegel steigen sehen.
Kassandra und ich waren nur noch am kichern und konnten uns net mehr einkriegen. Nun ist vielleicht zu erwähnen, dass diese Trink- und Picknick-Runde mit drei weiteren Mitarbeiterinnen auf einer Parkbank am Hafen von Sewastopol auf der Promenade statt fand. Viele Leute kamen vorbei und haben auch geschaut, aber das war uns völlig egal. Wir waren glücklich.
Weiteres Wodka-Trinken gab es dann am Montag, bei einem Besuch einer alten Frau, und am Dienstag. Da allerdings gleich zwei Mal. Zuerst wieder bei einer alten Dame, wobei es kein Wodka, sondern Cognac war, und dann am Nachmittag, als wir den Geburtstag einer Mitarbeiterin feierten und zugleich den Abschied eines Besuchers.
Zukünftige Wodka- und Alkoholerlebnisse sind zu 100% nicht auszuschließen.