Diary of a little girl / Tagebucheintrag eines kleinen Mädchens
on reality / über die Realität
Liebes Tagebuch,
machmal weiß ich nicht, was ich falsch mache, aber es scheint, als wäre das jeden Tag wieder und wieder der Fall. Wenn ich in den Bus steige, schauen mich die Menschen komisch an. Sie weichen vor mir aus, als ob sie Angst vor mir hätten. Aber ich möchte mich doch auch nur wie alle anderen hinsetzen. Ich bin doch erst sechs.
Andere dürfen nicht mit mir spielen, selbst wenn sie es wollen, aber die älteren Kinder in der Schule schauen mich schon genau so an wie die Leute im Bus. Meine Oma sagt, so sind die Menschen eben. So gehen sie halt mit dir um.
Im Unterricht denken einige Lehrer, ich sei dumm und ich würde Dinge nicht verstehen. Dabei gebe ich mir genauso viel Mühe wie meine Klassenkameraden, ich versuche ebenso, alles richtig zu machen. Aber irgendetwas mache ich immer falsch.
Wenn der Unterricht dann vorbei ist, bin ich jeden Nachmittag mit den anderen in der Betreuung. Dann kann ich endlich spielen und unbeschwert sein - aber wenn wir in unserer Runde miteinander reden, dann fühle ich mich manchmal so ausgeschlossen. Als wäre ich ganz alleine.
Ich habe unsere Betreuerin wirklich sehr lieb, sie singt mit uns und sie spielt mit uns. Wenn ich ihr helfen kann, dann bringe ich ihr Sachen, die sie braucht. Wenn jemand klingelt, dann gehe ich zur Tür. Das einzige, was ich will, ist dass mir so zugehört wird, wie den anderen Kindern zugehört wird.
Aber so ist es nicht für mich und meine Familie sagt mir, dass Menschen so sind. Menschen sind so, Menschen vertrauen mir nicht. Und wenn etwas passiert, denken alle, dass ich schuld sei. Es gibt nichts, was ich sagen oder tun kann, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Ich muss so leben, aber ich will es nicht. Ich verstehe nicht, was ich falsch mache. Warum vertraut mir niemand hier?
Ich gehe hierher, damit ich viel lernen kann und später etwas aus mir wird. Aber ich weiß nicht, ob ich es hier so lange aushalte. Ich weiß nicht, ob mich hier jemand vermissen würde.
Ich will doch nur, dass jemand hier an mich glaubt. Aber weiße Menschen verstehen dich nicht, sagt Oma, und sie glauben nicht an dich. Und Oma scheint recht zu haben, aber ich möchte das nicht.
Dein kleines Romamädchen
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Dear diary,
sometimes I don’t know, what I’m doing wrong, but it seems like there’s something wrong each and every day again. When I get onto the bus, people look at me in a weird way. They are avoiding me as if they were afraid of me. But I just wanna sit down like everyone else. I’m only six.
Others are not allowed to play with me even if they want to, but the older kids at school are already looking at me the same way as the people on the bus. My granny says people just are that way. That’s just the way they treat you.
Some of the teachers in class think that I am dumb and I don’t understand what they’re saying. But I’m just trying my best like all of my classmates, I’m just trying to do everything right. But there’s something I’m always doing wrong.
Every day when class is over I go to some activities with other kids. Then we can finally play and don’t have to worry about studying - but when we’re all talking together I feel like an outcast from time to time. As if I was all on my own.
I really love our teacher there, she sings and plays with us. When I can help her, then I bring her stuff that she needs. When the doorbell rings, I go to answer it. The only thing I want is to be listened to like the the other kids.
But this is not my reality and my family tells me people just are like that. People are like that, they don’t trust me. And if something happens, everyone thinks it’s my fault. There’s nothing I can say or do to convince them of the opposite. I have to live this way, but I don’t want to. I don’t understand what I’m doing wrong. Why does nobody trust me here?
I go here so I can learn a lot and later I’ll become someone. But I don’t know whether I can take this for this long. I don’t know if anyone here would miss me.
I just want somebody here to believe in me. But white people don’t understand you, says my grandma, and they don’t believe in you. And grandma seems to be right, but I don’t want her to be right.
Your little Roma girl