Deutscher Schmetterling
Auch in Deutschland ist der Himmel blau. Dass das nicht selbstverständlich ist, stellt Alessa_auf_Fyn beim Babysitten fest. Außerdem hat ihr Sprachkurs endlich begonnen.
Letzte Woche hatte ich eine eher unliebsame Premiere: Ein erster Arztbesuch in Dänemark wurde notwendig. Zu dem einfach an sich schon unangenehmen Zustand des Krankseins kam dann auch noch eine mehrstündige Wartezeit im Ärztehaus in Noerre Lyndelse. Schließlich wurde ich zum Akutarzt vorgelassen, der mir ein Antibiotikum verschrieb. Allerdings nicht auf einem Rezept, wie man das aus Deutschland kennt. In Dänemark wird die Information, welches Medikament benötigt wird, über das Internet an die Apotheke weitergeleitet. Toll, dachte ich, das ist ja viel einfacher. In der Apotheke in Ringe mussten wir aber leider feststellen, dass die Information nicht im Computer angekommen war. Erst nach einer ganzen Stunde erneuten Wartens konnte die Apothekerin auf die Information zugreifen und mir das Medikament geben. Vielleicht war es doch früher einfacher, als man ein Rezept noch schwarz-auf-weiß hatte und die Information nicht in den unendlichen Weiten des Internets verloren gehen konnte.
Da die Medizin erstaunlich gut half, hatte ich ein recht aktives Wochenende: Mit meiner Gastfamilie besuchte ich DIE Attraktion Odenses: Unser neues IKEA. Wo einst das kleinste IKEA der Welt stand, kann nun das größte IKEA Dänemarks bestaunt werden. Das wurde mit jeder Menge Gratis-Kram, Sonderangeboten und Rabatt im IKEA-Restaurant gefeiert. Abends gingen Fabian und ich zum Faellesspisning bei uns im Projekt. Faellesspisning bedeutet so viel wie 'gemeinsames Essen', jeder ist eingeladen mit seinem Teller zu kommen und ein richtig gutes Essen zu genießen, das von Freiwilligen vorbereitet wird. Für umgerechnet sieben Euro bekamen wir an dem Abend verschiedene Wintersalate, Kalbsfleisch, Kartoffelbrei, Soße und zum Nachtisch Apfelkuchen geboten. Danach ging es weiter in unseren Veranstaltungsraum zum Konzert der Popband 'Souvenirs'. Die in Dänemark richtig bekannte Kombo sorgte für eine ausgelassene Stimmung, so dass auch wir uns schließlich nicht mehr an den doch recht simplen Texten störten.
Samstagabend 'hyggte' ich mit ein paar dänischen Bekannten aus Fabians Orchester. Es ist einfach unglaublich, wie universal einsetzbar das Wort 'hygge/hyggelig' ist. Auf jeden Fall passt es gut zu dem gemütlichen Abend, den wir erst in Ries Wohnung und danach im Jazzclub Dexter verbrachten.
Sonntagnachmittag feierten wir Rikkes 21. Geburtstag mit einem superleckeren Negerkuss-Lagkage und Burgern zum Abendbrot. Nein, ich bin nicht nur mit Essen beschäftigt, auch wenn es manchmal den Anschein erwecken sollte...An dem Nachmittag zumindest hatte ich auch noch eine zusätzliche Funktion als Babysitterin, mit meiner Gastnichte Josefine hab ich gefühlte 120 Schmetterlinge gemalt. Als Fine gerade dabei war, den Himmel um dem Schmetterling blau zu malen, fragte sie mich auf einmal total ernst: "Alessa, welche Farbe hat der Himmel eigentlich in Deutschland?" Ich musste mir mein Lachen schon richtig verkneifen. "Der ist auch blau, so wie hier." "Gut, dann kann das hier ein deutscher Schmetterling sein..."
Nach diesem amüsanten Wochenende ging am Montag der Ernst des Lebens los: Einstufungstest für die Sprachschule. Fabian und ich sollten jeweils etwas auf Dänisch über unsere Gastfamilien erzählen, danach einen Text lesen und schriftlich Fragen dazu beantworten. Ohne jemals vorher Sprachunterricht gehabt zu haben, gaben wir also unser Bestes um nicht ganz im Anfängerkurs zu landen. Die Mühe wäre aber gar nicht nötig gewesen, die Mitarbeiterin von LaerDansk Odense war restlos begeistert von uns und attestierte uns Modul 4, was Niveau B1 des europäischen Referenzrahmens entspricht. Da kamen mir dann leise Zweifel: In Französisch hatte ich vier Jahre gebraucht, um eben dieses Level zu erreichen. Aber man will sich über so ein Lob ja auch nicht beschweren, dementsprechend nahmen wir uns vor, erstmal die ersten Unterrichtsstunden abzuwarten.
In der folgenden Arbeitswoche hatte ich fast jeden Abend nach der Arbeit Programm: Montag Juniorklub, Dienstag Brettspielcafe im Studentenhaus, Mittwoch Orchesterprobe, die ich einfach mitmachte um mal wieder Posaune zu spielen und nette Leute zu treffen. Außerdem bekam ich jede Menge Post: Einen richtig lieben Brief von einer guten Freundin, meine dänische Krankenversicherungskarte, das dänische Handy, was ich mir bestellt hatte - und den Stundenplan der Sprachschule. Nachdem ich Letzteren genauer betrachtet hatte, musste ich mich erstmal setzen: zwei Mal die Woche sechs Stunden, ein Mal drei Stunden, jeweils vormittags, Beginn: 8 Uhr 15. Vorbei also mit dem angenehmen Arbeitsbeginn um 11 Uhr, dafür jeden zweiten Tag erst Schule, dann Arbeit! Starten sollte das ganze gleich am Freitag.
Donnerstagabend stellte ich zum ersten Mal seit ich Dänemark wohne meinen Wecker auf 6.00 Uhr und schlief nicht unbedingt mit Vorfreude ein. Doch das Aufstehen klappte erstaunlich gut und in der Sprachschule fanden wir auch nach einigen Versuchen das richtige Klassenzimmer. Im Handumdrehen wurden wir mit einem gratis Bleistift und DIN A5-Heft ausgestattet und erhielten drei Bücher: Eine Kurzgrammatik, 'Briefe Schritt für Schritt' und ein Lehrbuch für Fortgeschrittene.
Gleich danach folgte die obligatorische Frage "Könntet ihr ein bisschen was über euch erzählen?" Das konnten wir und was noch überraschender war: Die anderen Kursteilnehmer konnten uns auch verstehen. Die meisten von ihnen kommen aus südlichen Ländern und sind mit einem dänischen Mann verheiratet, es waren aber auch eine Polin und ein Russe dabei. Ausnahmslos alle anderen waren schon mehrere Jahre in Dänemark. Nach der allgemeinen Vorstellungsrunde stiegen wir gleich in die Materie ein und Fabian und mir blieb nichts anderes übrig, als die Antworten zu raten, als wir bei der Grammatik-Übung an der Reihe waren.
Danach schauten wir einen kurzen DVD-Ausschnitt an und mussten, passend zu den Geschehnissen im Film, Sätze in die richtige Reihenfolge bringen. Das fiel mir nicht schwer und auch dem Rest des Unterrichtsgespräches konnte ich gut folgen. In der Pause wurden wir allerdings von einer sehr um uns bemühten Kursteilnehmerin darauf aufmerksam gemacht, dass diese Gruppe schon mit der kompletten Grammatik fertig sei. So etwas hatte ich schon vermutet und mich während des restlichen Unterrichts auch immer wieder still gefragt, was wir hier eigentlich machen. Fabian und ich hatten schließlich beide noch nie zuvor Unterricht und wollen jetzt endlich mal die Sprache von Grund auf lernen.
Als wir unsere Lehrerin Anette zum Schluss mit dieser Erkenntnis konfrontierten, ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. "Macht erstmal die Hausaufgaben bis Montag und dann sehen wir weiter..." Die Hausaufgaben bestehen neben zahlreichen Übungen auch aus einem Leserbrief zum Thema Fettleibigkeit, bei dem wir begründet unsere Meinung einem Zeitungsartikel gegenüber stellen sollen. Ich erinnere mich noch vage daran, dass eine solche Aufgabenstellung in Englisch Abituraufgabe war. Aber wenn Anette am Montag meinen stümperhaften 100-Wörter- Versuch eines Leserbriefes liest, überzeugt sie das vielleicht, dass ich in ihrem Kurs nicht ganz so gut aufgehoben bin…
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