Der Reiz des Neuen, Wagnisse und Dankbarkeit
Ein Bericht meiner ersten Wochen in Italien mit internationale Thanksgiving Dinner, Begegnung mit italienischen Klimaaktivisten, Ausflug ins Winterparadies Dolomiten und der feinsten heißen Schokolade.
Den Reiz des Neuen wertschätzen lernen
Drei Wochen nach meiner Ankunft ziehe ich nun eine Zwischenbilanz aus meiner Zeit in Italien und versuche, die vielen Erlebnisse in diesem Blog Post zusammenzubringen. Zur Arbeit möchte ich gesondert einen Post schreiben, hier geht es ausschließlich um das Freizeitleben.
Das Schreiben hilft mir zu reflektieren und mich an die schönen Momente zurückzuerinnern. Das motiviert und gibt Kraft, um weiterhin voll durchzustarten und mich von meiner offensten und aktivsten Seite zu zeigen. Denn als neue Person an einem neuen Ort habe ich gemerkt, dass es essentiell ist, stets zugänglich zu sein für unerwartetes und nicht gleich zu urteilen, wenn etwas anders ist als man es kennt. Die Immersion in eine andere Sprache, Kultur, Stadt, Gesellschaft etc. erfordert ein gewisses Maß an Offenheit und Akzeptanz für das Ungewohnte. Doch nur weil es ungewohnt ist, ist es nicht gleich schlechter.
Die Herausforderung besteht darin, das Neue, das Andere wirklich als Neu statt als weniger gut wahrzunehmen und in seinem Reiz der Neuheit zu schätzen. Hierzu ein kleines Beispiel: Meine Mitbewohnerin ist eine sehr extrovertierte und vernetzte Person. Klingt wundervoll, oder? Zugleich ist sie jedoch nachtaktiv und geht häufig ins Bett, wenn ich gerade aufstehe (keine Übertreibung an dieser Stelle). Anfangs war ich deutlich irritiert von ihrer Art, es war mir zu wild für meine ruhige Seele und meinen „normalen“, Tag – Nacht orientierten Schlafrhythmus. Inzwischen finde ich sie jedoch ganz wunderbar und bin dankbar, dass ich durch sie in bunte Gesellschaft komme und mir zugleich von ihrer selbstbewussten und lebensfrohen, wilden Art angesteckt werde. Da sie schon viele Monate hier ist, kennt sie die halbe Stadt und kann mich dadurch ihren Freunden und Bekannten vorstellen. Somit hatte ich die Gelegenheit zu interessanten Begegnungen:
- Ein internationales Thanksgiving Dinner (Gott sei Dank gab es nicht nur Truthahn)
- Der Geburtstag eines italienischen Freundes (Sehr italienisch mit Pasta, italienischer live Musik, Kartenspiel und lauten Gesprächen. Anekdote: Neapolitanischer Dialekt ist für Italienischlernende so unverständlich wie vermutlich tiefstes Schweizerdeutsch für Deutschlernende)
- Wilde Karaoke Abende
- Wöchentliche Treffen mit dem Sprachclub. Das ist eine Gruppe, die sich regelmäßig in einer Bar trifft und wo man an verschiedensten Tischen verschiedenste Sprachen sprechen kann. Dort kommt man ins Gespräch mit Menschen aus aller Welt, das macht richtig Spaß! Danach wird meistens etwas unternommen, zB gingen wir letztes Mal Schlittschuhfahren und danach wurden eine Sprachkursfreundin und ich von zwei netten Amerikanern zum Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt (vino brrrrrrullée eingeladen)
Winterwunderland Dolomiten: Ausflug zum Lago di Braies
Ein weiteres Highlite war der Ausflug in die Dolomiten zu einem wunderschönen Bergsee, dem Lago di Braies (Prager Wildsee). Der See war zugefroren und es war bitterkalt, aber es war eine traumhafte, weiße Winterlandschaft. Schon der Weg dorthin war atemberaubend. Stück für Stück wurden die Orte und Dörfer immer kleiner, die Landschaft immer alpiner, die Zacken der Dolomiten rückten immer näher. Bei jedem Mal Fensteröffnen wehte ein einige Grad kühlerer Wind ins Auto und erfrischte uns mit Vorfreude auf unser Ziel.
Einmal angekommen haute uns die eisige Kälte fast um, wir waren nicht vorbereitet auf diesen hochbergigen Wintereinsturz da unten in der Stadt (logischerweise) nicht dieselben Wetterverhältnisse herrschten. Eigentlich wollten wir ein Ruderboot leihen und etwas auf dem See fahren. Wir merkten recht schnell nach der Ankunft als wir den See suchten, dass das nichts werden würde. Der See war komplett zugefroren und wie die Natur darum herum von einer glänzenden Schneeschicht bedeckt. Also spazierten wir etwas über die Eisdecke, rutschten (aus), liefen um den See herum und gönnten uns unser Picknick an einem kuscheligen Lagerfeuer, an dem wir zudem unsere Eingefrorenen Gliedmaßen wieder auftauten. Bei dem Spaziergang um den See herum gab es Stellen, an denen wir minutenlang keine anderen Menschen trafen und es herrschte eine spannende und magische Ruhe. Man hörte zeitweise nur das Knirschen unserer Schritte im frischen Neuschnee. Es war ein Traum in Weiß.
Die Maestra in der Sprachschule und das Freunde finden
Glücklicherweise gibt es ganz in der Nähe meines Projektes eine Sprachschule, circa 5 Minuten zu Fuß entfernt. Glücklicherweise – denn ich wohne am Rand von Porcia, das ist eine kleine Gemeinde außerhalb der 50.000 Einwohnerstadt Pordenone in der Provinz Friuli. Deshalb bin ich sehr froh, die Schule in der Nachbarschaft zu haben. Im A2 Kurs sind wir zu Dritt. Die Lehrerin (Maestra Rina), eine andere Schülerin und ich. Quasi Privatunterricht also! Zwei Mal die Woche darf ich morgens 2 Stunden zum Italienischunterricht. Die Atmosphäre ist total entspannt und locker. Wir lernen verschiedene grammatikalischen Themen aber sprechen gleichzeitig über andere Themen, z.B wie es uns gerade geht, italienische Spezialitäten je nach Region, die Mafia und Camorra, Reiseabenteuer und Erfahrungen uvm. Die etwas ältere Italienischlehrerin ist sehr lieb und es macht richtig Spaß, zu lernen und zu quatschen. Nach jeder Stunde gehen Victoria, die andere Schülerin, und ich lachend und zufrieden aus dem Unterricht raus und sind ganz beglückt. Außerdem konnte ich durch die Sprachschule Victoria überhaupt kennenlernen. Sie ist aus Argentinien und wohnt seit einigen Monaten mit ihrem Verlobten in Porcia, ganz in der Nähe von mir. Wir verstehen uns toll und treffen uns gerne zum auf den Markt gehen oder zum heiße Schoki trinken. Man muss wissen, die heiße Schokolade hier ist quasi flüssige Schokolade. KÖSTLICH! Ich bin sehr dankbar, sie kennengelernt zu haben. Es ist wirklich schwierig, Menschen in meinem Alter zu treffen, denn ich wohne alleine auf meinem Projekt etwas abseits und hatte bisher noch nicht viele Kontaktmöglichkeiten mit Gleichaltrigen.
Fridays for Future Italia und der italienische Stolz
Letze Woche scrollte ich auf Instagram und konnte meinen Augen nicht trauen. Ich folge einem italienischen Aktivisten von Fridays for Future, sein Name ist Giorgio Brizio. Er ist eine total interessante Person finde ich, denn er war auf vielen klimapolitisch relevanten Veranstaltungen und an spannenden Orten wie der COP 26 oder einem Sea Watch Schiff. Zuletzt schrieb er ein Buch über den Zusammenhang von der Klimakrise und Migration, das Bucht trägt den Titel „Non siamo tutti sulla stessa barca“. Ich sah also, dass er eine Lesungstour durch Norditalien macht und war überglücklich zu sehen, dass er auch nach Pordenone kommen sollte. Kurzerhand schrieb ich der Organisation, die die Veranstaltung organisierte, und sie baten mir an mich mit zum Veranstaltungsort zu fahren. So saß ich also auch im Auto mit Giorgio, dem Aktivisten, und wir fuhren gemeinsam nach S.Vitello, wo sein Event stattfand. In einer charmanten italienischen Kleinstadt in einer eleganten Vinothek sprach er also über seinen Weg in den Aktivismus, die Dringlichkeit zum Handeln und seine Erfahrungen bei Fridays for Future. Es hat mich bewegt und beeindruckt zu sehen, wie selbstsicher, erfahren und professionell der junge Italiener (er ist 19!!!) vorne saß und mit einem natürlichen Selbstverständnis seine Geschichte erzählte. Er ist in sizilien Aufgewachsen und hat deshlab am Meer gelebt. Eines tages realisierte er sein Privileg, dass er aus reiner Freude mit einem Boot im sizilianischen Meer fahren kann, während andere Menschen aus Angst die gefährlichen Überfahrten wagen. Nach einem Auslandsaufenthalt in Berlin engagierte er sich bei Fridays for Future und kämpft nun mit vielen andere Aktivisten für mehr Klimagerechtigkeit und Maßnahmen für konsequenten Klimaschutz wie auch Seenotrettung. Es war spannend, ihm zuzuhören und ihn sowie eine andere Fridays for Future Italia Aktivistin an dem Abend kennenzulernen. Eine sehr amüsierende Anekdote, die mir unter anderem in einem Gespräch mit dem Aktivisten auffiel: Wenn du einer italienischen Person erzählst, dass du ihre Heimatstadt schön findest weil du z.B. dort hingereist bist, bedankt man sich! Viele Italiener sind durchaus stolze Kreaturen und es ist mir häufig passiert, dass die Menschen sich sehr verbunden mit ihrer Heimat fühlen. Ich finde, das ist eine schöne und heimatwertschätzende Art von Patriotismus.
Fortsetzung folgt..
(PS: der Blogbeitrag ist noch von vor Weihnachten)