"Der Ort, an dem man sich trifft"
#Internationale WG #Internationaler Besuch #Internationale Adventszeit #Breslau!
Im Novemger gab es gleich zwei Mal von mir ein: “Witam was we Wrocławiu!“ (Herzlich Willkommen in Breslau!) An zwei Wochenenden hatte ich nämlich Besuch, was ich sehr genossen habe.
Zuerst fand Laura ihren Weg zu mir nach Breslau. Ich hatte sie in Dresden kennengelernt, bei dem EFD-Vorbereitungsseminar und später in Olsztyn beim Vorbereitungscamp waren wir in einem Zimmer und haben uns auf Anhieb sehr gut verstanden. In Olsztyn hatten wir abgemacht, gemeinsam Polen zu bereisen und uns zu besuchen. Wie schön, dass wir es tatsächlich geschafft haben! Am ersten Abend tranken wir ein Bier mit Emilia, Jorge und Mattis. Am nächsten Tag zeigte ich ihr die Stadt, wir stiegen auf den Turm der Kathedrale und bestaunten Breslau von oben und ich zeigte ihr den Weihnachtsmarkt in Breslau, der einer der schönsten in Polen sein soll.
Abends trafen wir uns mit Marcel und Jorge und aßen gemeinsam. Wir hatten an diesem Abend sehr gute Gespräche, vor allem Marcel und ich. Ja, wirklich! Nach einem Bier redeten wir offen über unsere Missverständnisse, über Familienhierarchien, über große Menschen, über Medizin, Krebs, den Tod (wie sind wir da bloß hingekommen?) und später noch über die richtige Bibelauslegung oder Strömungen in der evangelischen Kirche. Als Kirchenvertreter und als Protestant im katholischen Polen hat Marcel sehr viel Ahnung, wenn es um solche Themen geht und es ist interessant, mit ihm darüber zu diskutieren. Erstaunlicherweise denken wir in vielen Dingen sehr ähnlich. Er kritisiert allerdings die Freikirche und meint, dass die Pastoren dort den Gläubigen vorgeben, wie man sich zu verhalten und wie man zu glauben hat. Allerdings ist der Pastor nun einmal ein Vorbild für die Gläubigen und auch eine Art Leitfigur, an der man sich als Gläubiger orientiert. Natürlich muss man jede seiner Aussagen mit seinem Verstand prüfen, das steht so auch in der Bibel. Ein Pastor ist schließlich kein Heiliger, sondern auch nur ein Mensch. Aussagen prüfen, das muss man jedoch überall, auch in der protestantischen Kirche.
Danach ging es in eine Bar, in der es auch eine Tanzfläche gab. Marcel gab uns einen Drink aus, ich bot ihm zwei Mal mein Geld an und ließ ihn dann gewähren. Er scheint einfach ein sehr großzügiger Mensch zu sein. Wir tanzten alle gemeinsam, oder alle mit Marcel, wie man es nimmt :D Er hat viel Rhythmusgefühl und liebt es scheinbar zu Tanzen, mit allem, was er hat :D Inzwischen überfordert es mich auch nicht mehr so, wenn er mich herumwirbelt oder er mal eben so eine „Pose” macht. So nennt man diese Tanzfigur, habe ich nachgeschlagen :D Ein anderer Pole bat mich um einen Tanz und ich sagte aus Reflex direkt „Nein”, weil ich heute keine Lust hatte, mit wem Fremdes zu tanzen. Er ließ nicht locker, meine forsche Antwort tat mir leid, also tanzte ich mit ihm. Er unterhielt sich mit mir, die typische Unterhaltung. Wie ich denn heiße und dann der verdatterte Ausdruck: „Leonie? Diesen Namen kenne ich nicht.” Die Polen kommen nämlich überhaupt nicht damit klar, wenn ein Mädchenname mal nicht auf „a“ endet. Dann kann man ihn nämlich nicht konjugieren. Ich bin da ziemlich froh drüber, denn Mattis Namen kann man durchaus konjugieren und ich lache mich immer kringelig, wenn er mir erzählt, wie ihn seine Kollegen heute wieder genannt haben. „Mattisa“ ist mein absoluter Favorit. Klingt ziemlich weiblich, finde ich. :D Allerdings auf Polnisch logisch, weil jedes lebendiges Objekt im Fall Biernik (Akkusativ) ein „a“ angehängt bekommt. In die saure Zitrone beißen muss der liebe Mattisa, wenn sein Name auch noch verniedlicht wird, weil ihn seine Kollegen so gerne haben. Hehehehe :D Zurück zum tanzen. Als ich dann genug hatte, setzte ich mich zu Laura, aber der unbekannte Herr wollte immer noch nicht locker lassen. Ich sagte, dass sie ihm sagen soll, dass ich müde bin. Ihm war das egal. Ich sagte noch einmal sehr bestimmt und schon fast unfreundlich „nein”, dann gab er endlich auf. Puh...
Laura und ich unterhielten uns noch gut am Abend. Wir planen zusammen Silvester zu feiern. Das wird sicher gut :)
Am zweiten Wochenende besuchte mich meine Freiwilligen-Freundin Agi, die ich auf dem On-Arrival-Training in Warschau kennengelernt hatte. Sie brachten ihren spanischen Kumpel Fran mit, der auf Gran Canaria geboren wurde. Welch ein Traum! Den ersten Abend verbrachten wir in einer Bar und ich lud Jorge ein, dazuzukommen. Wir vier verstanden uns echt gut und verbrachten den nächsten Tag auch gemeinsam. Nach einer Free-Walking-Tour über die Geschichte Breslaus kochten wir gemeinsam Nudeln mit Gemüse und Tomatensoße. Oder eher gesagten, unsere „spanischen Jungs” kochten. Freiwillig und mit großer Ambition.
Nach einem guten Mahl entbrannte ein Gespräch über Politik. Jipppiie! Demokratie und Flüchtlinge waren das Thema. Mit einer Ungarin in der Runde, war das höchst interessant. Tatsächlich hatte sie einen komplett anderen Blick auf diese Dinge als ich. Sie meinte, sie sieht die Flüchtlinge, teilweise mit den neusten I-Phones und Markenklamotten. Ihrer Meinung nach gibt es viele Wirtschaftsflüchtlinge, gegen die angegangen werden müsse. Die wirklichen Flüchtlinge müsse man schützen, da waren wir einer Meinung, aber die anderen sollen gefälligst in ihre Länder zurückkehren. Sie erzählte, dass vielen Ungaren ihr Land verlassen, ihrer Meinung nach „im Stich lassen“, um im Ausland zu arbeiten und viiiel Geld zu verdienen. Sie lassen die ungarische Regierung für ihre Ausbildung bezahlen und geben nichts in Form von Steuern zurück. Ungarn ist kein reiches Land so wie Deutschland. Sie hat sich in einem Cafe neben ihrem Studium etwas dazu verdient und 2,50€ pro Stunde erhalten. Für mich schockierend wenig. Die Demokratie sieht sie als, ich zitiere: „die größte Lüge auf der Welt”. In mir krampfte sich alles zusammen bei diesen Worten. Sie meinte zu mir, meine Sichtweise sei typisch deutsch. Als sie mich dann darüber aufklärte, dass es in Ungarn hauptsächlich zwei große Parteien gibt, die jede aufkeimende Partei unterdrücken mit Mitteln der Korruption, dass diese Parteien einmal eine Kommunistische ist, mit den gleichen Ansichten wie früher, als Ungarn von der Sowietunion unterdrückt war und einmal eine Nationalistische, inklusive Viktor Orban, fing ich an ihre Sichtweise zu verstehen. Das sei eine Wahl zwischen Pest und Cholera und Viktor Orban sei momentan für sie die einzige einigermaßen wählbare Option. Urrrg. Das System der Demokratie scheint in Ungarn also ausgenutzt zu werden. Angeheizt meldete sich Fran zu Wort und meinte, dass das in Spanien ähnlich sei. Dort gäbe es viele Lobbyisten und viele Menschen würden nur Politiker werden, um firmenfreundliche Gesetze durchzusetzen und dann nach ein paar Jahren in einem großen Unternehmen auf einer hohen Position zu arbeiten... Das brachte mich echt zum nachdenken. Wie könnte eine bessere Alternative für die Demokratie aussehen? Was denkt ihr? Hat die Demokratie eurer Meinung nach ausgedient? Funktioniert sie noch?
Abends besuchten wir den Weihnachtsmarkt, wo uns Breslau bewies, dass es sein Motto verdient hat: „Die Stadt, in der man sich trifft.” Jorge (Spanien), Fran (Spanien), Agi (Ungarn) und ich (Deutschland) trafen uns mit Davy (Italien), um eine ungarische Süßigkeit (Kurtoszkołacz) auszuprobieren und anschließend einen (Breslauer) Glühwein zu trinken. Die Breslauer hatten die geniale Idee, kleine Unterstände zu bauen, unter denen man auf Bänken zusammen an einem kleinen Lagerfeuer sitzen und sein Getränk genießen kann. Wir setzten uns also an so einen Platz und nach kurzer Zeit quatschte mich ein Typ von hinten an. Na, wer war das wohl? Es war Albeeerrrto. Der Spanier, den ich auf dem „Friday Travel Meeting” von Couchsurfing kennengelernt hatte. Und er war nicht allein. Bei ihm waren ein Spanier, eine Spanierin und eine Italienerin, allesamt Freiwillige hier. Die Spanier und die Italiener unterhielten sich angeregt auf italienischem Spanisch, während Agi und ich nur Bahnhof verstanden. Ihre Sprachen und offensichtlich auch ihr Humor waren so ähnlich, dass sie sich auf Anhieb verstanden und man das Gefühl hatte, die kennen sich schon seit Jahren. Kunterbunt wurde es dann, als sich ein italienisches Ehepaar zu uns setzte und sich herausstellte, dass der Mann eigentlich in Polen geboren wurde und beide Sprachen spricht. So saßen also an einem Unterstand 5 Spanier, 3 Italiener, eine Ungarin eine Deutsche und ein Pole, welche alle nicht wirklich in Polen lebten.
Der Ehemann aus Italien interessierte sich für unsere Tätigkeit, aber vor allem für unsere Sprachkenntnisse. So kam es dazu, dass er schelmisch grinsend und mit einem Gewinner-Blitzen in den Augen in die Runde fragte, ob denn jemand auf Polnisch einen Glühwein bestellen könne? Das war das, was ich jedenfalls verstanden hatte. Da ich vor zwanzig Minuten brav mich gezwungen hatte, meinen Glühwein nicht auf Englisch zu bestellen, war das kein Problem für mich. Als ich dann also „Poproszę jeden grzaniec malinowy” heruntergeleiert hatte, rief die gesamte Gruppe triumphierend: „OOOOooh!!”, und der Mann wollte plötzlich meine Tasse haben. Ich verstand gar nichts mehr. Schließlich klärte man mich auf, dass er um einen Glühwein GEWETTET hatte. Und so bekam ich einen zweiten Himbeerglühwein. Hihi. Ich unterhielt mich noch etwas mit ihm und er erzählte, dass sein Onkel Deutscher sei, aber im selben Ort wie er geboren wurde. Schon verrückt. Aber so ist nun mal die Geschichte der Polen. Höchst kompliziert, immer wieder war ihr Land geteilt und 123 Jahre lang hat das Land gar nicht mehr existiert, nur noch im Untergrund! Einer der Gründe, warum Breslau auch geschichtlich eine extrem interessante Stadt ist. Ich bin sehr dankbar, hier leben zu dürfen. Und ich bin sehr dankbar dafür, wie freundlich die Menschen mir entgegentreten, trotz der schlimmen Geschehnisse zwischen den Deutschen und den Polen in der Vergangenheit. Hier habe ich die Chance neue Brücken zu bauen, zwischen mir, einer Deutschen, und den Polen. :-)
So, wenn wir schon mal bei der Sentimentalität sind, kann ich ja gleich das Thema „Advent in Polen“ ansprechen. Meine Freundin Malin hat mich letztens gefragt wie das hier so ist. Für mich und meine Mitbewohner hat die Weihnachtszeit schon Mitte November angefangen. Mattis und ich habe ganze !drei! Mal zusammen Kekse gebacken und Weihnachtssongs gehört, vom „Weihnachtsoratorium“ bis zur „Weihnachtsbäckerei“, über Jazz- bis zu Remix Versionen, auf Deutsch, Englisch und natürlich auf Polnisch. Dank uns gab es bis jetzt immer entweder Plätzchen mit Zuckerguss oder mit Marmelade Füllung. Später half ich Jorge noch mit seinen spanischen Zitronen-Zimt „Keksen“, die man auf spanischer Art in einer Pfanne frittiert! Verrückt! Sowieso hat Jorge nicht so viele Weihnachtstraditionen wie wir. Sie haben kaum Weihnachtsmärkte in Spanien und er wusste nicht, was ein Adventskalender ist. Auch den Nikolaus kannte er nicht...doch das sollte sich ändern...
Am 06.12.17 um 01:00 morgens war jemand noch wach in einer breslauer Straße, obwohl diese Zeit eigentlich zum Schlafen bestimmt sein sollte...im Dunkeln huschte die Person durch den Flur wie ein Verbrecher. Auf einmal waren zwei Schuhe verschwunden. Wer ist das bloß? War das ein Dieb? Schritte, das Knarzen einer Tür. Wer stiehlt denn bitte Schuhe?! Und dann auch noch Einzelne? Nach zehn Minuten war wieder alles still in der Wohnung. Am nächsten Morgen sollte ein gewisser „Mattisa“ aufwachen und voller Verzweiflung, (ungelogen!!), ganze zehn Minuten seinen Schuh suchen. Bevor er jedoch völlig am Ende war, kam er auf die Idee, seine Zimmertür zu öffnen und siehe da! ...
Ich hatte wirklich alles dafür getan, dass mich niemand entdeckt. Ich hatte mir sogar selbst einen Schuh hergerichtet und gehofft, dass sie rätseln würden, wer das bloß war. Stattdessen fragte mich Mattis am nächsten Tag mit Kleiner-Jungen-Stimme: „Duu, darf ich dich mal was fragen? Hast du gestern den Nikolaus gespielt??“ Und als Jorge mich erblickte, strahlte er mich an, begrüßte mich mit den Worten: „Hey Święty Mikołaja!!“ und umarmte mich. Auch Marcel kam zu mir und meinte: „Du warst das oder? Ich denke, dass du das warst!“ Ich bestand darauf, dass das natürlich nicht ich war, sondern der echte wahrhaftige Nikolaus. Wie kann man denn bloß nicht an ihn glauben?! Glücklicherweise änderte Marcel seine Meinung und erzählte mir am Nachmittag, dass er den Nikolaus getroffen hat und er mir etwas bringen soll...heute waren sie echt süß, meine „Jungs“. :D
Nun, wie ihr jetzt wisst, haben wir auch einen schönen Weihnachtsmarkt hier und ich war schon einige Male dort. Allerdings ist er auch etwas kitschig, mit all den LEDs und dem riesigen weißen, mit Bombkis vollgestopften, Weihnachtsbaum und moderner Pop-Musik. („Bombki“ heißt Weihnachtskugel, ich liiiebe dieses Wort!) Außerdem erinnert es mich immer wieder daran, wie ich mit meinen Freunden über den Hannoverschen Weihnachtsmarkt laufe, nach Geschenken suchend und am Ende doch nur irgendeine Leckerei futternd, weil ja doch alles so teuer ist oder man es eben für nichts gebrauchen kann. Ich vermisse den Markt an sich, meine Stadt. Des Weiteren ist die Adventszeit nun mal ja auch die Zeit, in der man an die Menschen denkt, die man liebt. Und die meisten davon sind nicht hier bei mir, was mich immer mal wieder etwas traurig werden lässt. Aber ich lasse mich nicht unterkriegen. In der Seniorengruppe haben wir schon einen schönen Weihnachtsbaum zusammen geschmückt und ich habe ein Weihnachtsquiz für die Senioren vorbereitet. Meine liebe Mama hat mir einen Schoki-Adventskalender geschickt und ich bin schon auf zwei Mitarbeiter-Weihnachtsfeiern eingeladen. Das wird sicher auch sehr schön.
Apropos Arbeit; als Repräsentantin der Deutschen Kultur konnte ich die Adventskalender-Tradition natürlich nicht ignorieren. Daher habe ich mir einen kreativen und interaktiven Adventskalender ausgedacht für die Senioren und die Kinder. Bevor ich den Kalender jedoch umsetzen konnte, musste ich ihn erstmal von Pani Dyrektor höchst persönlich genehmigen lassen. In der Vergangenheit hat sie an jedem meiner Pläne kritische Veränderungen vorgenommen, was für mich ziemlich deprimierend war. Dementsprechend war ich echt etwas angespannt, bevor ich in ihr Büro ging. Zu meiner Überraschung musste sie bei einer meiner Ideen herzlich lachen und segnete meinen Plan ohne auch nur eine einzige Veränderung mit „bardzo fajnie“ ab. Ich war den Rest des Tages bestens gelaunt. Er hat mich nämlich sehr viel Zeit gekostet. In meinem Kalender gibt es jeden Tag eine Aufgabe, vom „Weihnachtslieder-Stoptanz“, über Weihnachtsgeschichten bis zum Weihnachtskarten basteln ist alles dabei. Für jeden Tag habe ich eine schöne Einleitung verfasst, wie zum Beispiel für das Weihnachtsmandala ausmalen: „Der Weihnachtsmann ist gerade sehr beschäftigt damit, Kinderträume zu erfüllen. Seine Elfen haben die Aufgabe, die gesamte Welt mit weihnachtlicher Farbe zu verzaubern. Da das sehr viel Arbeit ist, brauchen sie deine Hilfe!“ Da wir vier Kindergartengruppen und dann noch die Seniorengruppe haben, bedeutet das viel Planung, Stress, aber auch viel Freude. Und die werde ich mir von nichts und niemandem verderben lassen. Eine schöne Adventszeit euch allen!