Der Lieblingsmensch
Während meinem Aufenthalt in den Niederlanden durfte ich einen ganz besonderen Menschen kennenlernen.
Es begab sich einst, dass sich zwei junge, lebensfrohe Mädchen bei einer Entsendeorganisation für ein Auslandsjahr beworben und wie später vermutet wird, wurden die zwei aufgrund des perfekten Zusammenspiels ihrer Namen in die Niederlande auf den Deutschen Soldatenfriedhof entsandt.
Lissy&Leslie: Das klingt sowohl nach einem spritzigen, innovativen Schlagerduo, als auch als würden sich diese Namen sofort in die lange Reihe tiefer Freundschaften einreihen, wie wir sie von Tom&Jerry, Bibi&Tina oder Hanni&Nanni seit frühester Kindheit an kennen.
Nun wurden diese zwei Mädchen zusammen in einen Wald gesteckt, zwei Mädchen wie Tag und Nacht, Yin und Yang oder Vogel und Otter, sie waren sehr verschieden. Das Leben im Wald jedoch, ist ein außergewöhnliches. Fernab von der Zivilisation und 3 km vom nächsten Dorfe entfernt entwickelt man eine eigenen Lebensweise, vergleichbar mit der der letzten Naturvölker, die tief im Regenwald Papua-Neuguineas völlig autark leben. Da die Räumlichkeiten der Jugendbegegnungsstätte auf der sie arbeiteten keine Privatsphäre zuließ, lernten sich die Mädchen zwangsläufig Tag für Tag besser kennen.
Bereits nach einem Monat stand für sie fest, dass es für sie bei einer Zombieapokalypse kein Entrinnen gibt. Die Vorstellung, dass 32.000 Soldaten auf sie zu torkeln, nicht wissend, dass der zweite Weltkrieg längst verloren ist machte ihnen Angst. Sie hatten sehr viele Besuchergruppen und waren ständig auf Trab. Jedoch sollte es für sie nach diesem Jahr keinerlei Schwierigkeiten darstellen sich fortzupflanzen, da sie im Stande waren sowohl Schlafentzug als auch einen ständigen Lärmpegel wegzustecken.
Einen Monat später hatten sie endlich ihre wahre Bestimmung gefunden: Sie wollten professionelle Rasenmäher werden. So brauchten sie sich nicht länger Gedanken über potenzielle Studienplätze zu machen. Vielleicht überspringen sie ja auch den Lebensabschnitt, indem man so viel arbeitet, denn die Beiden waren so unglaublich schnell verrentnert. Um 18 Uhr gab es Abendessen, danach ging es ins Bett. Party ist nichts. Die Damen brauchten Schlaf und Ruhe. Außerdem erschienen sie augenblicklich hinter der Gardine, sobald sich ein Fahrzeug ihrem Wald nähert. Auch Essgewohnheiten verändern sich, Lissy hatte sich innerhalb eines Monates aus einer Vegetarierin, in eine Person, die Fleisch in rauen Mengen zu sich nimmt verwandelt. Und noch etwas, nach zwei Wochen des Zusammenlebens erreichten sie im Bad den Status des Kommunismus. Lediglich zwei Monate dauerte es, bis sie mit Stolz verkünden konnten, dass sie im totalen Kommunismus leben.
Bald hatte Leslie die Lissy vom Reiz des Tatorts überzeugt, woraufhin sie des Öfteren auf den Sonntagabendklassiker der ARD zurückgriffen. Spannung, aktuell politischer Bezug, gesellschaftskritische Dialoge und Spaß für Mittel bis super Alt! Außerdem hatte Leslie der Lissy das Stricken gelehrt. Nun kam es im Januar auch zu aufregenden Nachmittagen, an denen sie sich schweigend gegenüber saßen und Schals produzierten. Beim Anfertigen eines leckeren Dinners stellten die Ladys fest, dass ihre Vorratskammer einen Mitbewohner hat, eine Maus. Zwar sind sie krasse Kommunisten, aber das heißt natürlich NICHT, dass sie ihren Zucker mit jedem Wesen auf diesem Planeten teilen wollten oder müssten. Daraufhin stellten sie dem Mitbewohner eine Falle und töteten ihn kaltblütig. Auch dies ist ein Teil des autarken Lebens, erwachsen zu sein bedeutet auch seine Mäuse in der Speisekammer selbst zu töten.
Wenn ich heute an meinen europäischen Freiwilligendienst zurück denke, denke ich an Lissy, denn sie war sowohl am ersten, als auch am letzten Tag da, von ihr habe ich gelernt und unglaublich viel mit ihr erlebt. Ich habe in diesem Jahr meinen Lieblingsmenschen getroffen. Ich habe gelernt, dass wir Menschen uns mit immer denselben Leuten umgeben, denjenigen, die uns am ähnlichsten sind. Doch genau das ist es, was uns davon abhält andere Sicht- und Lebensweisen kennenzulernen. Sie hat mich zu einem besseren Menschen gemacht und dafür bin ich ihr sehr dankbar.
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