Der erste Schnee
Wir haben noch unsere Werwolf-Ohren aus Papier von der Ausstellungseröffnung auf und sobald wir draußen sind bricht eine wilde Schneeballschlacht aus, die anhält bis unsere Gesichter glühen und unsere Finger zu kalt sind, um weiter Schneebälle zu formen.
Schnee im Oktober ist surreal aber auch schön und gibt uns endlich das Gefühl, an einem ganz anderen Ort als zuhause zu sein. Die letzten Stunden im Herbst habe ich damit verbracht, während des open Studios eines kanadischen Künstlers Pancakes nach einem Familienrezept zu backen. Nachdem sich die Veranstaltung in eine Bar verlegt hat, sehen wir die ersten Schneeflocken vor den Fenstern tanzen und begrüßen den Winter, indem wir durch die vereisten Straßen schlittern. Vor einer Woche habe ich noch über den Ratschlag, mir Schneeketten für mein Fahrrad zu besorgen, gelacht und heute frage ich schon, wo ich ein Paar finden kann. Auf dem Marktplatz wird ein großer Schneeberg von Kinderfüßen festgetrampelt und wird vermutlich bis April nicht mehr schmelzen.
So wie es plötzlich kalt geworden ist, hat sich meine Arbeit auch sehr verändert seitdem ich meine erste Tour durch das Museum gegeben habe. Während ich zuvor etwas schuldbewusst herumgesessen habe, während der Babysitter (so nennen wir denjenigen, der für die Besucher verantwortlich ist) kaum eine Pause zwischen zweit Touren hat, übernehme ich nun selbst die englischen Touren. Die Besucher herumzuführen macht mir auch viel Freude, da die meisten sehr positiv überrascht sind von dem, was sie geboten bekommen. Allerdings merke ich den Unterschied zu früher daran, dass jeder Kaffee, den ich mir mache, kalt wird bevor ich ihn trinken kann, da man zu jeder Zeit von Besuchern unterbrochen werden kann.
Alles in allem ist es aber sehr schön, ein wichtiger und hilfreicher Teil des Museums zu sein, da es definitiv zu viel Arbeit für zu wenige Mitarbeiter gibt. Dennoch fehlt es nicht an neuen waghalsigen Projekten. So haben wir eine Kickstarter-Kampagne gestartet, um den kleinen Prinzen als unser erstes Buch in dem Museum zu drucken. Dabei wird der gesamte Text von Hand zusammengesetzt, die Illustrationen geschnitzt und die Bücher gebunden. Ich werde jedoch in der nächsten Zeit vor allem mit Praktikanten von lettischen und isländischen Design Schulen zusammenarbeiten, für die wir uns unterschiedliche Projekte überlegt haben. Dass ich mich wirklich im Museums Alltag eingefunden haben, merke ich daran, dass ich immer viel zu tun haben und man dann beim nächsten Teamtreffen trotzdem Schwierigkeiten hat, zusammen zu fassen, was man wirklich gemacht hat.
Allerdings kann ich von einigen konkreten Dingen berichten, die mich in letzter Zeit beschäftigt haben. Zum einen habe ich öfters die Dokumentation der Arbeit unserer Künstler in ihren Studios übernommen und dabei gelernt, eine möglichst ungezwungene Stimmung für natürliche Bilder zu verbreiten. Mit Jazmina, der einzigartigen Werwolf Künstlerin, haben ich viel Zeit verbracht und ihr zum Beispiel geholfen, für alle Besucher der Vernissage Werwolfohren mit traditionellen estnischen Mustern auszuschneiden. Außerdem habe ich mit einer litauischen Studentin ein Brain battle über Estland in dem Buchladen Fahrenheit 451 organisiert und wir haben triumphiert, sobald die estnischen Teilnehmer die Antwort nicht kannten. Zum Beispiel wusste kaum jemand, dass der erste Weihnachtsbaum in Tallin aufgestellt wurde, Schulkindern bereits in der ersten Klasse die Grundlagen zum Programmieren beigebracht werden oder dass die Geldstrafe dafür, keinen Reflektor zu tragen, 400€ ist.
Da all das sehr schöne und inspirierende Arbeit ist, ich aber doch ziemlich gestresst war, kam mir die Einladung eines Freiwilligen nach Saue, einem kleinen Dorf in der Nähe von Tallin, sehr gelegen. Zusammen mit 18 anderen Freiwilligen haben wir ein 5 Kilo Paket Nudeln gekauft und es uns mit Brettspielen und Schlafsäcken im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Am nächsten Morgen hat Romara, die ein Jahr als Friseurin gearbeitet hat, einer Französin und mir auf dem sehr frostigen Balkon die Haare geschnitten und wir hatten noch einmal Nudeln zum Frühstück. Auf unserem Rückweg haben wir ein paar sehr schöne Stunden in der Altstadt Tallins verbracht und danach vier weniger schöne Stunden im Busbahnhof. Ich wurde daraufhin belehrt, dass alle Busse von Tallin nach Tartu an einem Sonntagabend schon Tage zuvor ausgebucht sind. Da ich in Romara und Olivier mittlerweile jedoch wirklich gute Freuende gefunden habe, war es auch nicht so schlimm, vier Stunden gemeinsam auf einen Bus zu warten.
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