Der Burren - Trotz karger Landschaft ein wahres Paradies
Burren? Noch nie gehört? Das sollte sich ändern. Der Burren ist nämlich einer
der faszinierendsten Landschaftsformen in ganz Irland. Wo sonst könnten mediterrane neben alpinen Pflanzen gedeihen ...
Der Begriff „Burren“ leitet sich von dem irischen Wort „boireann“ ab, was schlicht und einfach „steiniger Ort“ bedeutet und diese Beschreibung passt haargenau auf die sich im County Clare erstreckende Landschaft. Fährt man nämlich in den Burren Nationalpark hinein, fragt sich der von dem im Reiseführer abgedruckten Bildern geblendete Tourist, wo den nun die ganzen Steine seien. Bisher sieht es doch so aus wie immer: Eine liebliche sanft gewellte Hügellandschaft erstreckt sich bis zum Horizont, die in den verschiedenste Grünschattierungen und -nuancen ausgemalt daliegt. Dort steht ein einzelnes Haus, aus dessen Dach sich ein junger Baum in den in Irland raren Sonnenstrahlen räkelt, dort träumt eine verlassene Kirchenruine von den Zeiten, als die Menschen noch ehrfurchtsvoll durch ihre heilen Pforten zum Beten gingen, da ist ein kleines Dörflein, weit entfernt von jeder Einkaufsmöglichkeit einfach in die Landschaft gesetzt. Alles liegt idyllisch, eine Ruhe ausstrahlend da, die im krassen Kontrast zur Geschwindigkeit der die engen Straßen entlangbretternden Fahrzeuge steht.
Doch wo ist jetzt der Burren? Die in jedem Reiseführer als einmalig und sehenswert hervorgehobene Karstlandschaft? Vielleicht hinter der nächsten Kreuzung? Und so geht es mit dem Auto tiefer und tiefer in den 250 Quadratkilometer großen Nationalpark hinein, immer sorgfältig darauf bedacht, sich in dem einem unaufgewickelten Wollknäuel gleichendem schmalen Straßennetz der sogenannten „Backroads“ nicht zu verfahren. Da, da hinten erheben sich langsam die ersten Berge, die mit ihrem einem Glatzkopf ähnelndem Bergrücken anmutig durch die typisch irische Wolkenwand grüßen. Das muss es sein!
Nur noch ein paar Straßen und dann – plötzlich ist man da - inmitten einer kargen Landschaft, deren Aussehen von dem unübersehbaren, sich in seiner ganzen grauen Schlichtheit präsentierendem porösem Kalkstein geprägt ist.
Man steht mitten in einem Lehrbuch der Erdgeschichte. Diese kahlen zerklüfteten Steinterrassen, diese formenreichen glatten Steine wurde unter der ungeheuer gewaltigen Krafteinwirkung der Gletscher und später deren Schmelzwassers während des Pleistozäns in ihre Erscheinungsformen gepresst, um später über Jahrtausende hinweg wieder durch die unermüdlich arbeitenden Kräfte der Elemente abgetragen zu werden. Welch ein Gefühl hier stehen zu dürfen, mit den Augen gierig jedes Detail der Landschaft in sich aufsaugend.
Und je nach Jahreszeit präsentiert sich der Burren einer stolzen Diva gleich in einem anderen bezauberndem Gewand – ohne dabei jedoch seinen individuellen felsigen Charakter zu verlieren.
Im Herbst laden die von Nüssen vollbehangenen übermannshohen Haselsträucher zu einem kleinen Imbiss ein, so lange sie noch ihre Aufenthaltsgenehmigung besitzen. Seit einiger Zeit versucht man nämlich den überhand nehmenden Wuchs dieser Pflanzen mit verschiedensten, nicht immer nur ökologischen Mitteln einzudämmen, um die einzigartige natürliche vegetative Vielfalt des Burren zu erhalten. Aufgrund des Einflusses des warmen Golfstroms und der durch die letzte Eiszeit heran transportierten Samen kann man hier nämlich sowohl arktische und alpine Pflanzen wie Silberwurz und Enzian, aber auch beispielsweise Orchideen und sogar Farne finden, die eigentlich nur im mediterrane Klima und teilweise auch lediglich bei extrem sauberer Luft gedeihen. Das lässt die beeindruckend felsige Karslandschaft im Frühling und Sommer in ein fulminantes Farbenmeer von feingliedrigsten, zarten, winzigen Blüten tauchen. Es ist unfassbar, was Mutter Natur so alles geschaffen hat.
Wie können diese zarten Wesen in solch rauer Umgebung überhaupt überleben? Beharrlich trotzen sie den Stürmen, die unwirtlich über die kahlen Felsen fegen und scheinbar gegenseitig wütende Rennen veranstalten. Beharrlich trotzen die Blumen den irischen Regenschauern, die scheinbar unermüdlich kübelweise das Wasser über ihren empfindlichen Köpfen ausschütten. Beharrlich erstehen die Pflanzen auf, nachdem sich die „Turloughs“, also die nach Starkregen auf Weideflächen entstandenen und einsame Wanderwege verschluckenden Seen, endlich wieder in das Reich der unterirdischen Flüsse und Gewässer zurückgezogen haben. Hier nämlich, inmitten dieser beeindruckenden rauen Landschaft des Burrens, direkt hier, unter den Füßen des einsamen Wanderers erstreckt sich das ausgedehnteste Höhlensystem Irlands.
Viele sind noch unerforscht, warten nur auf ihre Entdeckung, um ihre ganze unerwartete Schönheit offenbaren zu können. Ja, der Burren steckt voller Überraschungen. Einst dicht von majestätischen Kiefern und grünen Eiben bewaldet, ließen Rodungen zur Gewinnung von Weideland, starke Beanspruchung des Bodens und eine dichte Bevölkerung den Mutterboden zur Erosion freigeben und formten somit seit den ersten Besiedlungen im 3. Jahrtausend v. Chr. das heutige Aussehen der Landschaft.
Nur noch Teile von langen Bruchsteinmauern, die Ruinen der einst stolzen Kirchen, die Überreste des ehemals einer ganzen Familie und ihrem Vieh Schutz bietenden Ringforde und natürlich der Poulnabrone Dolmen, das Keilgrab, das nahezu jede Postkarte Irlands ziert, erinnern an die einst glorreiche Besiedlung dieses nun ruhigen Fleckchens Erde. Doch die Ruhe ist wohltuend und steckt noch voller Energie. Hier, fernab der touristischen Hauptattraktionen, hier kann man zur Ruhe kommen, seine Seele baumeln lassen und sich auf ausgedehnten Wanderungen von dem Burren in seinen Bann schlagen lassen. Mal führt der Weg über Steine, mal durch kleine tiefgrüne Wälder, die mit ihren von Moosen und Flechten überwucherten Stämmen sofort all die Mythen von Feen, Gnomen und anderen wundersamen Wesen glauben lassen. Wenn nicht hier, wo sind sie dann entstanden? Und da, da ist sogar eine heilige Quelle, ein Ort, der Kraft gibt. Weiter geht es vorbei an den Ufern eines beschaulich daliegenden, in der Sonne wunderbar glitzernden Sees.
Den Elementen völlig frei ausgeliefert kann der Wanderer hier an einem Tag einen alles durchweichenden Regen erleben, der innerhalb der nächsten Stunde von schüchternen Sonnenstrahlen vertreiben wird, die liebevoll auf die frei herumspringenden Lämmer und die wilden Ziegen scheinen.
Diese rapiden Wechsel der Atmosphäre, der gesamten Stimmung der Landschaft innerhalb nur weniger Minuten lassen den Burren immer anders, eben einzigartig erscheinen und das ist es, was seinen unbestechlichen Charme ausmacht. Die Unberechenbarkeit, die Fähigkeit ohne Worte, nur mit seiner Gestalt und seinem Wesen zu überraschen und begeistern. Ich kann es nur empfehlen.