Das estnische Leben
Über die letzte Zeit, typsch estnische Sachen und das Eingewöhnen
Tere õhtust!
Zufälligerweise sind es heute genau zwei Monate, die ich schon hier bin. Der Alltag ist natürlich eingekehrt, aber auch sonst kenne ich mich mit dem Leben hier schon ganz gut aus. Ich weiß, wie ich mich informieren kann, welchen Bus ich nehmen soll, welche Supermärkte die billigsten sind (merkwürdigerweise gibt es in einem der teuersten Supermärkte das beste und billigste Müsli ;) ), ich weiß, wo ich Superkleber kaufen kann, um all die Sachen zu reparieren, die hier schon kaputt gegangen sind (Handtasche, Portemonnaie, Handytasche etc.). Selbst ist die Frau! Meine Kochkünste verbessern sich, die aufgefaltete Wäsche sieht nicht mehr aus wie sonst was, sondern halbwegs ordentlich. Wie das halt so läuft, wenn man nicht mehr im Hotel Mama wohnt....
Ansonsten vermisse ich aber ein bisschen das Privatleben. Ich muss mir ein Zimmer teilen, wenn Freiwillige uns besuchen, unternehmen wir natürlich den ganzen Tag Sightseeing mit ihnen, dann abends ein Bier/Cider trinken. Das ist auf die Dauer ganz schön anstrengend. Wenn ich wenigstens mein eigenes Zimmer hätte mit einer Tür, die vernünftig schließt, wäre das alles wahrscheinlich halb so schlimm. Denn auch die Zimmertür zum Flur schließt nicht richtig und ich höre die Geräusche aus dem Wohnzimmer.
Bis letztes Wochenende hat nämlich immer jemand dort geschlafen. Im anderen Zimmer gab es ein paar Probleme mit dem Teilen und am Wochenende ist eine andere Freiwillige dort eingezogen und die andere ausgezogen. Somit waren alle Zimmer hier in der Wohnung besetzt und man hatte wirklich gar keinen Raum, um mal alleine zu sein.
Zu den Aktivitäten der letzten Wochen: ich war mit Eva in Tartu, um Freiwillige von unserem On-Arrival Training zu besuchen und uns Tartu anzuschauen. Am Samstag haben wir die obligatorische Sightseeing Tour gemacht. Da Tartu trotz 100.000 Einwohner (und somit die zweitgrößte estnische Stadt) nicht so groß ist, waren wir nach ein paar Stunden schon fertig. Aber wir haben in einem supercoolen Café namens Werner Kuchen gegessen und das war wirklich superlecker. Abends waren wir in dem Pfannkuchenhaus mit der Spiegeldecke, auch absolut empfehlenswert.
Später am Abend haben wir uns mit anderen Freiwilligen aus Tallinn getroffen und sind zu einem Englisch-Estnischen Comedyabend gegangen. Davon existiert ein sehr lustiges Video: http://www.youtube.com/watch?v=O8i1QQZU3i8&feature=youtu.be . Falls der Scherz darin nicht verständlich ist: der Mann hat auf Estnisch geredet und alle lachen, weil es wahrscheinlich richtig lustig war. Wir, die in der ersten Reihe stehen, sehen aus wie auf einer Beerdigung, weil wir natürlich nichts verstehen. Wir haben den armen Kerl wohl sehr verwirrt...
Am Sonntag waren wir dann im Estnischen National Museum. Das ist wirklich sehr interessant, wenn man gerne etwas über die estnische Geschichte lernen möchte.
In der Woche danach sind wir in den Kinofilm „Ainult aja küsimus“ gegangen. Wundert euch nicht, warum wir in einen estnischen Kinofilm gehen: hier sind die meisten Filme auf englisch mit estnischem und russischem Untertitel. Für ca. eine Million Sprecher der estnischen Sprache lohnt es sich nicht, die Filme zu synchronisieren ;-) Auf deutsch heißt der Film glaube ich „Alles eine Frage der Zeit“.
Am Mittwoch war ein deutsches Gedichtcafe bei der Arbeit (klingt blöd, wenn man es von Estnisch in Englisch und von Englisch in Deutsch übersetzt). Ich habe nur eine kurze Präsentation über deutsche Landschaften und Erfindungen gemacht, aber wir haben zum Beispiel auch den Ententanz getanzt, die deutsche Hymne gehört, Nussecken gegessen und die Gruppen haben kurze Präsentationen über deutsches Essen, deutsche Städte, die Nachbarländer Deutschlands, deutsche Vogelarten etc. gemacht. War ganz lustig, aber ein bisschen unorganisiert.
Am Freitag haben wir hier die Halloweenparty veranstaltet. Trotz des wenigen Geldes, das wir haben, waren die meisten cool verkleidet :) Hat also Spaß gemacht!
Am Wochenende war ich in dem Shoppingcentre von Rocca al Mare, habe geputzt, war mit anderen Freiwilligen auf einem palästinensischen Kulturabend und habe dies und das gemacht ;)
Mal so allgemeine Sachen über Esten, die mir so im Alltag auffallen: Esten sind schüchten, zurückhaltend und haben einen sehr großen persönlichen Raum. Die meisten bleiben im Bus stehen, anstatt sich neben einen zu setzen.
Andererseits werden sie schnell böse: ich habe schon zwei mal vergessen, etwas im Supermarkt abzuwiegen, weil ich einfach nicht wusste, dass man es machen muss. Einmal hat mich eine Frau angeschimpft, das andere mal habe ich sehr böse Blicke geerntet. Der Fairness halber muss ich aber sagen, dass die Frau, die mich angemeckert habe, Russisch geredet hat.
Der Verkehr ist eigentlich sehr gut hier. Die meisten Autos halten bei einem Zebrastreifen an. Allerdings sieht man fast jeden Tag einen Autounfall. Es gibt hier wie in jeder Großstadt viele mehrspurige Straßen, auf denen meiner Meinung nach zu schnell gefahren wird. Man sieht ständig Auffahrunfälle, wenn Autofahrer die Spur wechseln wollen und dann aneinander crashen. Ich habe auch schon mal zwei Busse gesehen, die frontal aneinander gekracht sind. Deswegen warte ich eigentlich nur auf den Moment, wenn ein Bus mit einem Auto zusammencrasht und ich im Bus sitze. Aber macht euch jetzt bitte keine Sorgen: der Verkehr ist wie gesagt sehr human, es passieren nur viele Spurwechselunfälle ;)
Die estnische Sprache ist sehr lustig, aber auch kompliziert. Unser sowieso schlechter Sprachkurs ist jetzt zu Ende. Die Lehrerin hatte es einfach überhaupt nicht drauf. Ich habe so gut wie gar nichts bei ihr gelernt. Somit muss ich mir jetzt alles selbst beibringen.
Aber die Schreibweise ist sehr lustig! Ratet mal, was diese Wörter bedeuten: antikvariaat, sümfoonia, kokteil ja steik (ei=äi). Oder wenn man das deutsche Wort „Quatsch“ in der estnischen Schreibweise schreiben würde, würde es so aussehen: kvatš.
Andere lustige estnische Wörter mit Übersetzung: jäääär – Eiskante, öötöö – Nachtarbeit, kaksteis kuu – zwölf Monate, erinnert einen aber an „kack tastes good“ xD Das sind so die gängigen Witze über die estnische Sprache.
Was außerdem noch erwähnenswert ist, ist, dass ich hier Deutschland gar nicht zu vermissen brauche. Es gibt erstens viele, die Deutsch fließend sprechen und zweitens hat mehr als jeder zweite irgendwann einmal in der Schule oder in der Uni deutsch gelernt. Sogar ein paar von den Freiwilligen können ein paar Worte deutsch. Wenn wir etwas mit den Freiwilligen machen, besteht die Gruppe meist aus ca. 40 – 50 Prozent Deutschen, manchmal ist sogar nur eine Nichtdeutsche dabei. Da ich ja nicht ins Ausland gekommen bin, um die Zeit mit Deutschen zu verbringen, nervt es mich schon ein bisschen. Aber nun gut, es kann ja keiner was dafür. Wenn die Deutschen nun mal die engagiertesten und motiviertesten sind, dann sollte man das auch nicht ändern.
Zudem findet man hier im Supermarkt auch sehr viele deutsche Artikel. Backwaren, Thermoleggings, Hygieneartikel etc. In Estland würde es sich einfach nicht lohnen, eigene Produkte herzustellen, also werden sie importiert. Das ist auch der Grund, warum das alles so teuer ist. Hygieneartikel oder Schminke kostet zum Teil doppelt so viel. Was mich dabei nur wundert, ist, dass die meisten Artikel aus Deutschland kommen. Sie könnten ja auch aus Russland kommen. Wäre ja auch viel logischer, denn hier in Tallinn sind gefühlt 50 Prozent oder mehr Estland-Russen.
Das war's dann erstmal wieder von mir. Tehtud ja lõpetame!
Head aega!