Daniel, 15, HIV positiv
Ein Jahr lang hat Juliane in Rumänien, in Bukarest, gelebt und dort ihr EFD verbracht. Nun folgt ein kleiner Rumäniennachtrag: eine kurze, bewegende Geschichte über einen 15-jährigen rumänischen Jungen und sein Leben mit HIV.
Daniel, geboren am 28.01.1989, ist HIV positiv. Wir wollen Kleiderspenden und Essen bringen. Die Strada Argentina ist eine schöne Straße mit großen Bäumen nahe der Piatza Victoriei. Also mitten in der Stadt, unweit von Botschaften und Residenzen.
Nummer 43 ist ein großes schönes Haus – hier wohnen die? Unten an der Tür den Klingelcode eingeben, den Türsummer abwarten, eintreten. Bis ganz nach oben sollen wir gehen, hatte uns Daniels Mutter am Telefon gesagt. Oben, über das Geländer gelehnt, erwartet sie uns jetzt. Eine kleine dünne Frau mit schlechten Zähnen, aber umso größerem Lächeln! Sie hat schon auf uns gewartet. Sie redet laut und schnell auf uns ein. Wir nicken eifrig. Sie führt uns einen Gang nach rechts, am Ende um die Ecke, einen etwas kleineren Gang entlang, durch eine Tür, noch einmal Treppen nach oben, Gang geradeaus, Gang links … .
Links und rechts gehen kleinere Kammern und anscheinend auch Wohnungen ab. Wäscheleinen sind zu sehen, Gerätschaften, ein seltsamer Geruch liegt in der Luft, Waschmittel und Maschienöl. Es gibt kaum Fenster. Schließlich gehen wir noch einmal links um die Ecke – und stehen mitten im Flur der Wohnung der Grigurescus. Von hier geht links ein Raum ab, der ist Waschküche, Werkstatt und Keller in einem. Neben der Tür steht das Aquarium für die Schildkröte.
Gegenüber gibt es zwei Zimmer. Ein Waschbecken hinter der Tür, Sofa, Schreibtisch auf der einen Seite, Kommode, Spiegel und eine Art Schrankwand auf der andern. Durch dieses Zimmer hindurch ins andere, welches Wohn- und Schlafzimmer ist. Einen Fernseher gibt es auch. Alle Wände sind voller Fotos, jede Ecke mit Erinnerungsstücken belegt oder mit Spielzeug. Oder Tablettenpackungen.
Daniel ist da, putzt mit einem Freund das Aquarium. Der wird auch gleich wortreich vorgestellt. Im Kinderheim ist er aufgewachsen und kann ein bisschen Englisch. Wenn wir ein Wort nicht verstehen, versucht er gleich, es zu übersetzen. Er und Daniel kennen sich schon lange. Seine Oma hatte ihm irgendwann gesagt, dass Daniel sehr krank ist. Und da wusste er erstmal nicht, wie er sich verhalten sollte. Eine Sozialarbeiterin hatte dann mit ihm gesprochen und erklärt, dass Dani ganz normal ist, und er, gerade weil er krank ist, Freunde braucht. Nun sind sie beste Kumpel.
Während Daniels Mutter erzählt, sitzt sie auf dem Boden. Das macht sie gern so, sagt sie. Mit 36 Jahren hat sie Daniel bekommen. Er ist wohl bei der Geburt infiziert worden oder kurz danach. Wegen einer Ohrengeschichte ist er dann mit drei Jahren noch einmal ins Krankenhaus gekommen, wo sie unter anderem eine Blutanalyse gemacht haben. Dabei ist es herausgekommen.
Am Anfang wusste sie selbst nicht, was HIV und AIDS bedeutet. Als Daniel 6 Jahre alt war, hat sie es ihm gesagt. Er hat noch nicht alles verstanden, aber später war es dann leichter für ihn. Andere Kinder haben es erst in der Pubertät erfahren oder wissen es bis heute noch nicht genau. Das ist schlimm, sagt sie.
1999 war Daniel mit einer Hilfsorganisation für ein paar Wochen in England, zusammen mit anderen infizierten Kindern und Jugendlichen. Die waren alle schon um die 14, 15 Jahre alt. Manche von denen haben dort das erste Mal erfahren, was mit ihnen los ist. Daniel wusste es schon lange und konnte den anderen Mut geben.
Manch einer wollte sterben, als klar wurde, was es heißt, HIV positiv zu sein. Aber auch denen hat Daniel Mut gemacht, er, der Kleinste. Seine Mutter kennt die Geschichte von jedem Kind auf den Fotos. „Das ist Rodica, die ist 18, mit 17 hat sie es erfahren. Und das hier ist Mihai, der ist am gleichen Tag geboren wie Daniel, im gleichen Spital, der ist auch krank.”
Drei sind sie in dieser Wohnung, Daniel, seine Mutter und sein Vater. Zwei Millionen Lei haben sie im Monat, das sind ungefähr fünfzig Euro. Dazu noch das Geld vom Staat für Daniel, weil er krank ist. Kindergeld gibt es in Rumänien nicht. Die Mutter ist arbeitslos, putzt das Haus, damit sie weniger für Strom, Gas und Wasser zahlen müssen.
Der Vater hat Gelegenheitsjobs, mit 34 war er schon zu alt, als er nach der Revolution seine Arbeit verlor. Sie haben schon mal Geld leihen müssen, um Essen kaufen zu können. Der Vater zeigt an unserer Unterhaltung kein großes Interesse, aber er ist freundlich. „Er ist ein guter Vater und ein guter Ehemann, er verlangt nie etwas, sagt nie, er hat Hunger…”. Beim Hausputzen hilft er auch.
Daniel ist klein und schmal, sieht überhaupt nicht aus wie 15. Wie 13 vielleicht. Höchstens. Er möchte gar nicht viel erzählen. Rapid Bucuresti ist sein Lieblingsfußballclub („este nebu” sagt seine Mutter, „er ist verrückt” und lächelt.). Auf Manele-Musik steht er und auf Andreea Balan, eine Sängerin, die war an seiner alten Schule.
Daniel lernt in einem Programm namens „back to school“, einer Art Nachschul-Schule. Die normale hatte er verlassen müssen, der Direktor hat ihn aus der Schule geworfen, wegen seiner Krankheit. Vor fünf Jahren war das. Es gab sogar einen Zeitungsartikel darüber, über Daniel und wie sich seine Mutter beschwert und an die Zeitung gewandt hat. Aber genutzt hat das nichts. Zwei Jahre ist er inzwischen im Programm. Es gefällt ihm, sagt er. Bio und Physik mag er am liebsten. Acht Kinder unterschiedlichsten Alters sind es pro Klasse. Es waren mal sechzehn. Aber Manche hören irgendwann einfach auf, wollen nicht mehr, gehen weg ohne Abschluss. Daniel würde gern im öffentlichen Verkehr arbeiten, als Busfahrer, aber für ihn ist es nicht erlaubt. Infizierte dürfen nicht im Öffentlichen Verkehr arbeiten.
Das Telefon klingelt. Alina ist dran. Seine Mutter erzählt, dass das seine Freundin ist, die ist auch HIV positiv und er telefoniert immer stundenlang! Er rauft mit seiner Mutter, aber nur aus Spaß. Meistens ist er in einer Gruppe, in der alle HIV positiv sind. Grup de support, Unterstützungsgruppe. Dort lernen sich die Kinder kennen, haben ihre Freundschaften. Es ist einfacher unter sich. Die Leute reagieren sehr schlecht, auch aggressiv, sie musste schon mal die Polizei herrufen. Daniel spielt kaum im Hof des Hauses.
Sein Freund fragt: „Gibt’s in Deutschland auch Diebstähle?” - „Na klar.” – „Echt, ich dachte, sie klauen nur in Rumänien.” – „Nee, geklaut wird überall.” Daniel darauf: „In England klauen sie nicht, dass weiß ich, da war ich schon!”
Er mag sein Leben, sagt er, seine Familie. Er liebt das Meer. Letzten Sommer haben sie einen Ausflug ans Meer gemacht mit einer Hilfsorganisation. Aber eigentlich war er immer froh, egal wo er war. Sein Leben sei wie jedes andere, er fühlt sich normal. Nur eben die Medikamente, die er immer nehmen muss. Für die Zukunft wünscht er sich Gesundheit.
Auf die Frage, ob wir ihn in der Schule besuchen können, antwortet die Mutter: „Ach, ich habe Euch doch alles erzählt.” Dann: „Na wisst ihr, das lenkt die Aufmerksamkeit so auf Dani, und dann wollen sie wissen, wieso ihr hier seid.” Auch dort wissen sie also nicht, dass er infiziert ist. Ob sie noch andere Kleidung braucht? „Jaja, für den Jungen, der wächst so schnell, ja der braucht. - Ich, nee, nee ich nicht, ich hab was. Na, vielleicht so einen Rock oder eine kurze Hose, wo man die Beine sieht.” Sie zeigt ihre Beine und freut sich wie ein kleines Mädchen. (Einige Kleiderstücke, die wir für sie ausgesucht hatten, hat sie später zurückgegeben. „Wenn ich es eh nicht anziehe, was soll ich dann damit, nicht?”)
„Va ibuesc!” Ich liebe Euch, sagt sie zum Abschied. Wenn wir mal eine Unterkunft brauchen, sind wir bei ihr immer willkommen.