Bitte dreimal hüpfen
Wie junge Polen die wohl wichtigste Nacht ihrer Schullaufbahn verbringen, wo es mit der Kommunikation noch nicht so recht klappt und wie der erste Schritt unserer WG in die Volljährigkeit aussah.
Moin, alle zusammen, da bin ich wieder und ja, es hat ne Weile gedauert. Wie ja schon beim letzten Mal erwähnt, gibt es von der Studniówka, dem Abiball, recht viel zu erzählen, aber auch sonst war es nicht langweilig. Abiball um die Jahreszeit, fragt ihr? Traditionell findet er in Polen 100 Tage vor der Matura, also dem Abi statt. Warum das so ist, kann ich nicht genau sagen, ich bin aber immer noch Verfechterin des deutschen Systems, bei dem man eher selten in Strumpfhosen durch den Schnee stöckelt und sich dabei eine Erkältung zuzieht. Aber na ja, ein schöner Lichtblick im doch ziemlich trüben Januar ist das auf jeden Fall. Ich habe mich diesmal für ein kurzes schwarzes Kleid mit Spitze entschieden (das klingt jetzt, als würde ich mehr als zwei Kleider besitzen), weil es ja nicht mein eigener Ball ist. Was im Übrigen sehr angenehm war - abgesehen von der Fahrt hat mich das Ganze nichts gekostet und der Druck, dass es ein perfekter Abend wird, war einfach nicht da - sehr schön war es trotzdem.
Vorher kam natürlich wieder Stress auf, deutsche Pünktlichkeit trifft auf polnische Spontaneität, und Asia, eine Freundin von Krzysztof, die echt toll mit Makeup umgehen kann und versprochen hat, mich zu schminken, war dann doch erst kurz bevor wir loswollten da. Aber beschweren kann ich mich nicht, sie hat es toll gemacht! Und selbst hätte ich mich nie so ins Zeug gelegt (abgesehen davon, dass mir Material und Talent dazu fehlen). Was sind die Unterschiede zwischen einem deutschen und einem polnischen Abiball? Ich muss zugeben, dass ich erst auf jeweils einem war und das deshalb wahrscheinlich auch nicht so genau sagen kann. Auf jeden Fall war der polnische vom Ambiente her noch deutlich schicker und wohl auch teurer. Dafür sehr viele Bedienungen und auch die Bilder der Fotografin waren im Preis schon enthalten. Das Motto war Casino Royale und die Deko bestand zu einem großen Teil aus Spielkarten. Am Eingang wurden Euromünzen aus Schokolade verteilt, was etwas Spott von mir hervorrief ("Was, die gibts nicht als Złoty?") Familien waren nicht dabei, nur die Schüler plus Partner. Aber der Jahrgang ist auch deutlich größer als unserer, mit neun Klassen! Und der Druck, irgendwo jemanden als Begleitung, bevorzugt des anderen Geschlechts, aufzutreiben, war wohl auch recht groß: Krzysztofs Freunde sind auf jeden Fall alle mit einem Freund oder einer Freundin gekommen, obwohl außer uns keine richtigen Pärchen dabei waren. Es wurde lange und viel geredet, die Lehrer waren da auch stark beteiligt, erst ab Mitternacht (also nach sechs Stunden) war das Programm vorbei. Dazu gehörten auch Auftritte von musikalischen Schülern, die meist dem Motto entsprechend Songs aus Bond-Filmen sangen. Auch Krzysztof und seine Freundin Ewa waren dabei!
Ein weiteres Highlight war die Polonaise, wie ich ja schon beim letzten Mal geschrieben hab. Im Walzerschritt tanzen alle Schülerpärchen hintereinander eine bestimmte Choreographie aus Tunneln, Kreisen und sonstigen Figuren. Davor war ich etwas nervös, aber es hat doch gut geklappt und auf jeden Fall viel Spaß gemacht. Im Gegensatz zu meinem eigenen Abiball, nach dem meine Füße mehrere Tage lang schmerzten, habe ich diesmal flachere Schuhe mitgenommen und recht bald gewechselt. Das Tanzen hat sehr viel Spaß gemacht, das mach ich hier ja viel zu selten. Inzwischen kenne ich auch viele der polnischen Lieder (und bin davon begeisterter als die meisten Polen). Eine Gemeinsamkeit konnte ich auf jeden Fall feststellen: In beiden Ländern ist High School Musical Pflicht! Außerdem habe ich mich gefreut, die anderen wiederzusehen, auch, wenn ich mich wieder hauptsächlich nur mit Kacper und Patryk unterhalten habe, die gut Englisch können. Ich muss mich echt trauen, mehr Polnisch zu sprechen. Alkohol war offiziell verboten, aber die Lehrer selbst waren schon bald ziemlich voll, da war das auch egal. Jeder Tisch hatte ein paar Flaschen unter der Tischdecke stehen, in unserem Fall Whiskey und Jägermeister (was ich mit voller Begeisterung den ganzen Abend im polnischen Akzent der anderen aussprach). Ein bisschen enttäuscht war ich schon, als alle von unserem Tisch schon um kurz nach drei gehen wollten. Bei uns haben wir damals bis fünf durchgehalten, da war es wieder hell und wir wurden rausgeschmissen!
Bevor wir den endgültigen Heimweg antraten, musste aber noch eine wichtige Sache erledigt werden: Nach dem Ball muss jeder Schüler drei Runden auf einem Bein um eine Statue am großen Platz hüpfen, das bringt scheinbar Glück für die Prüfungen. Also sind Krzysztof, Patryk, Gosia und ich mit dem Taxi hingefahren, wo die beiden Abiturienten ihre Pflicht erledigten. Das Ritual gilt wohl für beide Geschlechter, da habe ich aber nur Jungs gesehen. Allerdings hätte ich mich selbst mit meinen recht niedrigen Absätzen nicht getraut, durch den Schnee zu hüpfen. Es war schon so schwer genug, nicht auszurutschen! Mysteriöserweise war ich nach der Aktion zwei Wochen lang erkältet. Das war jetzt genug davon, zumindest eine Sache muss noch erzählt werden. Letzte Woche Donnerstag sind meine Eltern zu Besuch nach Żary gekommen! Obwohl wir uns nur einen Monat lang nicht gesehen hatten, kam es mir schon wieder so lang vor. Ich hab mir den Freitag freigenommen und wir sind für zwei Tage nach Breslau gefahren. Sogar das Wetter hat mitgespielt und die Stadt ist einfach sehr schön. Auch Weihnachtsbäume standen noch, was ich eigentlich ziemlich cool finde. Wer sagt denn, dass die Weihnachtszeit im Februar vorbei ist? Wie üblich bei unseren Städteerkundungen sind wir eigentlich die ganze Zeit herumgelaufen, bis wir ein ungefähres Bild, zumindest von der Altstadt, hatten. Begegnet sind uns dabei: viele Zwerge, die einzige Brücke, die man dank massiver Beleuchtung auch vom Weltall aus sehen kann (Kommentar meines Vaters) und ein Mann mit Tochter, der nach Geld für Essen gefragt hat. Als wir ihm dies gaben und er erfuhr, dass wir Deutsche sind, sagte er "Oh, Germany. Many refugees. Very dangerous." Warum glauben alle Polen immer, dass sie damit bei uns punkten können?
Anmerken an dieser Stelle muss man aber auch, dass die Bedienungen in sämtlichen Restaurants und Pubs absolut freundlich waren, selbst ein paar deutsche Wörter hervorzauberten und sehr entzückt waren, wenn ich mal was auf Polnisch sagte. Einmal bestellte meine Mutter einen Kaffee und sagte mir, ich solle noch eine Waffel für sie auf Polnisch bestellen. Dass die nette Frau statt "gofry" "coffee" verstanden hatte, ging uns erst auf, als meine Mutter keine Waffel, aber dafür zwei Tassen Kaffee bekam. Ja ja, die komischen Deutschen. Auch bei unserer Rückkehr nach Żary war das Wetter noch fantastisch. Am Sonntagmorgen unternahmen wir noch einen Ausflug in den Wald, bevor meine Eltern wieder aufbrachen. Aber wir sehen uns ja schon nächsten Monat wieder. Noch ein erwähnenswertes Ereignis: Am Dienstag ist dem ersten WG-Mitglied der Sprung aus der Grauzone gelungen! Heißt: Sonja ist jetzt 18 Jahre alt - das musste erstmal gefeiert werden. Von uns gab es Brownies, ein Pizzaessen und viel nützliches Zeug von Johanna und unnützes von mir. Aber vor allem aus dem Kindergarten hat sie tolle Geschenke bekommen. Die Eltern haben sich abgesprochen und es gab unter anderem ein bedrucktes T-Shirt mit einem Foto von ihr und den Kindern, Blumen, eine Torte und selbst gemalte Bilder von den Kindern. Da hat sie es gut! Bei mir ist es ja in anderthalb Monaten soweit, während die arme Johanna erst einen Tag nach offiziellem Ende des Freiwilligendienstes Geburtstag hat. Aber 17 ist auch ein schönes Alter. Wort der Woche ist also Geburtstag, oder auf Polnisch urodziny (etwa ausgesprochen wie urodschine, wobei das sehr unschön aussieht). Dazu singt man das Lied Sto lat, also hundert Jahre, die das Geburtstagskind alt werden soll. Ich frage mich gerade, was man dann ab dem 101. Geburtstag singt... Eine schöne Woche!
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