Banlieues - Zeugnisse gescheiterter Integration
In meiner Übergangszeit zwischen Deutschland und Frankreich erlebe ich eines ganz deutlich: Die immer lauter werdende Debatte um Integration, Zuwanderung und Heimat. Ein Einblick in die französische Perspektive
Ein Thema, was die Medien mittlerweile seit 2016 dominiert, ist Zuwanderung. Der Diskurs um die Integration von geflüchteten Menschen, von „Wirtschaftsmigranten“ und Deutschen mit Migrationshintergrund wird dabei zur politischen Spielfläche: Rechte und Linke nutzen diese gesellschaftliche Gruppe, um Stimmung zu machen. Gerade die politische Rechte hat es in Deutschland aber auch in Frankreich geschafft, dem Diskurs einen Rechts-Ruck zu geben und Dinge wie Zuwanderungsgrenze, Assimilation und eingeschränkter Familiennachzug zu normalisieren. Dabei sind viele Rechte der Migrant*innen gar nicht verhandelbar: Sie sind Teil unserer demokratischen Rechtsordnung und müssen jedem Menschen gewährt werden.
In Frankreich hat sich eine ganz andere Geschichte der Migration vollzogen. Gerade in Paris fallen die Banlieues auf, als traurige Beispiele gescheiterte Integration. Aber was bedeutet es, in diesen trostlosen Gegenden aufzuwachsen? Ist das Schicksal der Bewohner*innen damit besiegelt? Meine Recherche führt mich in die Pariser Vororte.
So berichtet beispielsweise der Autor Wilfried N’Sonde, der selber in einem Banlieu aufwuchs und diese Marginalisierungserfahrung in seinen Büchern beschreibt, über die Leere und der Perspektivlosigkeit der Jugendlichen in diesen sozialen Ghettos: “ Es ist ein Gefühl, wie nicht zu existieren, niemand zu sein. Es ist ziemlich schlimm, wenn man jung ist und nicht genügend Geld hat, um an einer kapitalistischen Gesellschaft teilzuhaben, in der alles Geld kostet.“
Gerade in der Hauptstadt Paris: Durch die astronomischen Preise werden ganze Bevölkerungsgruppen nahezu an den Stadtrand gedrängt, während sich das Reichtum im Stadtzentrum mehr. Diese Zentrifugalkraft spaltet die Gesellschaft, und diese soziale Segregation hat verheerende Folgen: Jugendliche, die soziale Exklusion erleben, sind prädestiniert für Radikalisierung, Kriminalisierung und permanente Armut. Wilfried N’Sonde empfiehlt in einem Interview, diese Jugendliche gezielt anzusprechen, ihnen Perspektiven aufzuzeigen und sie einfach wissen zu lassen, dass sie gesehen und gehört werden.
Rassismus ist immer noch ein institutionalisiertes Problem in Frankreich: Sichtbare Migrant*innen werden oft polizeilich kontrolliert, sie werden in den Behörden diskriminiert und ein Arbeite- oder Mietvertrag ist schwer zu bekommen. Das entschuldigt, erklärt aber Frankreichs erhöhte Wahrscheinlichkeit für islamistisch motivierten Terror - Denn der Staat und die Gesellschaft stigmatisieren und bieten damit wenig Alternativen.
In Deutschland und Frankreich sind das gefährliche Tendenzen: Gerade Kinder und Jugendliche müssen optimal integriert werden, an ihnen hängt die Zukunft unserer Länder ab. Und tatsächlich ist eine Entspannung des Diskurses auch unabdingbar: Denn mit Rhetorik werden Feindbilder erschaffen und der Extremfall die Norm.
Eine Rezension zu Wilfried N'Sondes Roman "Das Herz der Leopardenkinder": https://www.buecher.de/shop/buecher/das-herz-der-leopardenkinder/nsond-wilfried/products_products/detail/prod_id/26377273/