Astrid Lindgren - "Schwedin des Jahrhunderts"
Astrid Lindgren ist wahrscheinlich jedem ein Name, ein Gesicht im Kopf. Wir sind mit ihren Geschichten, ihren Figuren, die zu unseren Helden wurden, aufgewachsen. Michel aus Lönneberga, Pipi Langstrumpf, Wir Kinder aus Bullerbü.
Doch wo ich die Freude und Herzlichkeit in Geschichten wie „Madita“ von früheren Tagen noch nachspüren konnte, wurde mir auf schreckliche Weise bewusst, wie wenig ich doch von der Frau hinter diesen Geschichten wusste und mir zwang sich die blöde Frage auf, was sie denn so sehr von anderen KinderbuchautorInnen abhebe und sie in der Welt außerhalb Schwedens so berühmt gemacht hat.
Astrid Lindgren wurde in der Stadt Vimmerby in Smaland als Tochter eines Pfarrers geboren. Sie hatte drei Geschwister, ihre liebsten Spielpartner und noch dazu einen riesigen Hof, auf dem sie täglich turnten, spielten und jede Menge Spaß hatten.
„Gunnar, Astrid, Stina und Ingegerd, so hießen die Ericssonskinder auf Näs. Es war schön, dort Kind zu sein, und schön, Kind von Samuel August und Hanna zu sein. Warum war es schön? Darüber habe ich oft nachgedacht, und ich glaube, ich weiß es. Zweierlei hatten wir, das unsere Kindheit zu dem gemacht hat, was sie gewesen ist – Geborgenheit und Freiheit.“ – Astrid Lindgren, „Das entschwundene Land“
Ihr Talent fürs Schreiben zeigte sich schon in der Grundschule, doch da sie von vielen förmlich dazu gedrängt wurde, Schriftstellerin zu werden, sagte sie trotzig, dass sie niemals ein Buch schreiben werde! Sie hatte ihren eigenen Kopf, ihre eigenen Vorstellungen von sich und der Welt. Früh entdeckte sie ihre Liebe zum Jazz und war die erste junge Dame in ihrem Dorf, die den Bubikopf trug – was als Tochter einer religiösen und traditionellen Familie in einem kleinen Dorf skandalös schien. Jedoch kein Vergleich zu dem Skandal, den sie wenig später durch ihre Affäre mit dem Redakteur der lokalen Zeitung auslöste, bei dem sie als Sekretärin arbeitete. Sie wurde schwanger und da sie nicht verheiratet war, ging sie nach Kopenhagen, um ihr Kind zu gebären und um den Ruf ihrer Familie nicht zu schädigen.
Doch als ihr Weg sie wenig später nach Stockholm führte, um als Sekretärin Geld für ihr Kind zu verdienen, musste sie ihren Sohn Lasse bei einer Pflegemutter in Kopenhagen zurücklassen. Unglaublich, was Astrid Lindgren in ihrem jungen Alter schon alles durchmachen musste und was für eine starke Frau sie war. Es ist ihr dunkles Kapitel, geprägt von Einsamkeit und der Trennung von ihrem Sohn, über das sie ganz lange auch mit niemandem gesprochen hat. Doch selbst in diesen dunklen Zeiten war die Erinnerung an ihre Heimat, Freundschaft und Familie immer ein Lichtblick, der sie schließlich mit ihrem Sohn wieder vereint zurück nach Vimmerby geführt hat.
„Es ist schwer, ein Mensch zu sein, und das muss es vielleicht auch sein.“
Ihre Art, die Dinge so auszusprechen, wie sie sie sieht, ist bewundernswert. Astrid Lindgren war weit mehr als eine Schriftstellerin, sie hat sich im Laufe ihres Lebens zu einer Gesellschaftskritikerin und wichtigen Stimme in Schweden entwickelt. Durch ihre Bücher hatten viele das Gefühl, Astrid Lindgren zu kennen, fast so wie eine vertraute Nachbarin. Doch wie gesagt, Astrid Lindgren hatte eigentlich nie vorgehabt, Schriftstellerin zu werden. Erst 1940 begann sie mehr aus Zufall, verstärkt zu schreiben.
„Doch dann kam dieser Schnee, der die Straßen glitschig wie Schmierseife machte. Ich fiel hin, verstauchte mir den Fuß, musste liegen und hatte nichts zu tun. Was tut man da. Schreibt vielleicht ein Buch. Ich schrieb Pippi Langstrumpf.“
Ursprünglich war die Geschichte von Pippi Langstrumpf, der frechen Seemannstochter für ihre Tochter Karin gedacht: „1941 lag meine Tochter Karin krank im Bett, und eines Abends sagte sie: ‚Erzähl mir was von Pippi Langstrumpf.‘“
Doch selbst als sie das Manuskript bei verschiedenen Verlagen einreichte, traf die Geschichte vorerst auf Ablehnung und Pippi Langstrumpf war auch nachdem das Kinderbuch gedruckt wurde eine weiterhin sehr umstrittene Figur. Sie wollte einfach nicht in die damals vorherrschenden Stereotypen passen, wie Kinder sich zu verhalten hatten! Doch Astrid Lindgren schrieb schließlich nicht für die Eltern der Kinder, sie schrieb ausschließlich für die Kinder. Und ihre Vorstellung von einem guten Kinderbuch war ganz einfach:
„Wenn mich jemand fragt, was fordert man von einem guten Kinderbuch, dann antworte ich immer: Dass es gut ist.“
Mit ihren Kinderbüchern begleitet sie das Kind in die Welt von Freundschaft, Zusammenhalt, Güte und großen Abenteuern. Doch auch im Erwachsensein hat sie hat immer zu dafür argumentiert, das Kind in sich zu bewahren, das kindliche Träumen und die Abenteuerlust und Neugierde nie zu verlieren.
Doch zwischen all den idyllischen Landschaften und spannenden Abenteuern versteckt Astrid Lindgren in ihren Büchern ganz heimlich eine Note von Moral.
„Wenn Pippi Langstrumpf jemals eine Funktion gehabt hat, außer zu unterhalten, dann war es die, zu zeigen, dass man Macht haben kann und sie nicht missbraucht. Und das ist wohl das Schwerste, was es im Leben gibt.“
Und die Liste geht weiter, Astrid Lindgren konnte sich einfach nicht raushalten! So erkennt man in „Die Brüder Löwenherz“, dass sie das Recht auf einen würdigen, selbstbestimmten Tod befürwortet. Mit ihrem Gedicht „Pomperipossa in Monismanien“ wendete sie sich gegen die schwedische Steuerpolitik, als sie erkannte, dass sie 102% Steuern bezahlte. Aktive demokratische Beteiligung, ein faires Tierschutzgesetz und die Gesetze der Kinder waren ihr besonders wichtig und standen oft in ihrer Kritik. Doch wie man sich vorstellen kann, befand sich auch Astrid Lindgren mit ihren modernen Ideen nicht selten in der Kritik – wogegen der Zuspruch, den sie bekam, natürlich deutlich überwog: zahlreiche Auszeichnungen und Preise hat sie verliehen bekommen, nicht nur für ihre Bücher sondern auch für ihr außergewöhnliches Engagement für die Gesellschaft und vor allem für die Kinder. 1999 wurde sie zur „Schwedin des Jahrhunderts“ gewählt.
2002 starb sie im Alter von 94 Jahren mit ihrer allzeit behaltenen kindlichen Keckheit und ihrem besonderen Sinn für Humor. In Vimmerby, ihrem Geburtsort, wird ihre Lebensgeschichte zusammen mit ihren nie enden wollenden Meinungen und Geschichten auf dem Grundstück ihres Elternhauses auf wunderschöne Art und Weise dargestellt. Sie war – und ist noch – eine inspirierende Persönlichkeit und ein großes Stück der schwedischen Identität.
In einer Gesellschaft, in der gerne unangenehme und problematische Themen unter den Tisch gekehrt werden, sollten wir uns umso mehr von ihr inspirieren lassen, Mut fassen und den Mund aufmachen, um das Unausgesprochene auszusprechen! Um aktiv Meinungen zu bilden und Demokratie zu betreiben!
„Es ist gefährlich, zu lange zu schweigen. Die Zunge verwelkt, wenn man sie nicht gebraucht.“
Manchmal ist es so, als ob das Leben einen seiner Tage herausgriffe und sagte: 'Dir will ich alles schenken! Du sollst solch ein rosenroter Tag werden, der im Gedächtnis leuchtet, wenn alle anderen vergessen sind.“ – Ferien auf Saltkrokan
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