Alltägliches und Erlebtes
"Um ein Land richtig kennen zu lernen, muss man die Traditionen kennen und am besten auch beherrschen". Jule_in_Lettland hat in den vergangenen Tagen sehr viel erlebt und sich nebenbei auf den ersten Blick in Riga verliebt.
So ich bin es schon wieder,
eigentlich wollte ich diesen Artikel schon am Sonntag schreiben,
aber da ihr euch so fleißig per Mail und Skype bei mir meldet, komme ich überhaupt nicht dazu, meine Erlebnisse und Gedanken auf virtuelle Weise auf ein Blatt Papier zu bringen.
Außerdem bin ich in Lettland immer sehr schnell müde, was wahrscheinlich an der Kälte und an der Anstrengung, den ganzen Tag Englisch zu reden, liegt.
Zuerst handel ich mal eure FAQ (frequently asked questions) ab:
Ja, ich habe eine Heizung: endlich, ihr wisst gar nicht, was für Glücksgefühle ausströmen können, bei Dingen die mir in der werten Heimat als normal, alltäglich und unabdinglich erscheinen!
Ja, ich habe heißes Wasser in der Küche: hatte dieselbe Wirkung wie Ersteres
Nein, meine Arbeit füllt mich noch nicht besonders aus: ich schreibe gerade nur Powerpointpräsentationen über mich und Deutschland etc!
Nein, ich habe und werde auch keine Mitbewohner haben, die in meinem Alter sind, leider:
Neben mir in einem abschließbaren Raum wohnt eine ältere Dame, die ich kaum sehe und deren Kontakt zu mir nur aus ihrem Lächeln besteht.
Ja, ich genieße das Leben trotzdem so gut wie es geht.
Ja, meine Arbeitszeiten kann ich mir absolut selbst wählen, meistens geh ich gegen eins arbeiten und bin um sieben zu Hause, wenn noch der Jugendklub Mittwoch und Donnerstag stattfindet.
Außer es findet ein "talk about me" statt, dann kommen die Schulklassen zu bestimmten Zeiten, an denen ich natürlich auch anwesend sein muss;-) oder ich gehe in Zukunft zu den Schulen.
Jetzt aber zu den vergangenen Erlebnissen:
Mmmhhhhhh...
Also am Freitag kam eine Freiwillige aus Livani zu mir,
nach dem ich mit meiner Chefin um die schöne Kreuzburg(Krustpils) bei Sonnenuntergang joggen war (WOW!!!!!).
Mit Kristine (fühl dich gegrüßt) habe ich den ELVI Supermarkt gestürmt und die halbe Theke mit nach Hause genommen, die wir dann gegen halb eins nachts in meinem ekligen Ofen(der natürlich mit frischgekauften, deutschen Backpapier ausgelegt war) erwärmt und bei Kerzenlicht verspeist haben.
Vorher haben wir aber den superekligen Teppich aus meinem Flur rausgehauen und den Boden mit Mauer-Imitat-Tapete tapeziert, die mir meine Chefin geschenkt hat: sieht lustig aus, jetzt habe ich Holztapete an der Wand und Mauertapete am Boden: das wird nächstes Jahr bestimmt der letzte Schrei sein…
Dann haben wir die Tapetenfetzen von der Wand gezogen und dort ein Collage aus Lettland-und Türkeibildern befestigt( dank meines ehemaligen türkischen Mitbewohners, lettisch-türkische Völkerfreundschaft forever), eingerahmt von einer Mauertapetenbordüre!
Ich sag euch, das sieht einfach nur improvisiert, einzigartig und deshalb wahnsinnig toll ;-) aus…
Selbst am nächsten Morgen nahm der kulinarische Genuss kein Ende, nach einer eher seichten Joggingrunde um den ganz wundervollen See hier, haben wir uns original russisch-lettischen Haferschleim gemacht: GEIL, sah zwar aus wie zweimal gegessen, aber das war wirklich ein Erlebnis, den haben wir uns dann auch eingepackt und mit auf unsere ereignisreiche Tour nach Auce über Riga genommen, dort fand nämlich eine Freiwilligenparty statt…
Wenn man mir in Deutschland erzählt hätte, ich solle sieben Stunden durchs Land gurken, nur um auf eine Party zu fahren, naja…
Aber hier ist ja eh alles anders, selbst mein Verhalten, außerdem habe ich ja keine anderen Verpflichtungen und im Bus/Zug zu sitzen und in die Gegend zu starren fand ich schon immer ganz entzückend.
So habe ich also die Landschaft an mir vorbei ziehen sehen, diese unvergleichliche Fülle an Farben, Formen, ach ich wär am liebsten aus dem Bus gesprungen und an der Daugava, dem lettischen Schicksalsfluss, entlang gehüpft.
Die Seen hier sind herrlich, diese kleinen schwedisch anmutenden Häuschen (und daneben natürlich die Sowjetblöcke), die Wälder mit sandigem Boden, die Bauernhöfe, die wie Inselchen auf den Äckern und Wiesen schwimmen und von riesigen Eichen und sonst was für Bäumen eingerahmt werden.
Wir hatten dann auch eine kurzen Zwischenstopp in Riga: ich und Riga, sag ich es mal so: Es war Liebe auf den ersten Blick...
Wow, der Trubel, die Häuser, die eleganten Menschen, die tolle Universität, das Licht, die breiten Boulevards, die Parks, der Sonnenuntergang, die angenehme Großstadtluft, dieses Metropolenhafte…
So dann sind Kristine und ich in den etwas ältlich wirkenden Zug gestiegen, in der festen Überzeugung, dass sich dort noch zehn weitere Freiwillige befinden, wir haben geguckt und geschaut, aber nix da, keine nicht-lettisch erscheinenden Jugendlichen weit und breit, als der Zug dann los fuhr, hat Kristine ihre Bekannte angerufen und deren Reaktion war wohl wie folgt: "was der Zug ist schon losgefahren? Ach Mist, wir stehen hier noch am Bahnhof…."
Ja, da standen sie, zehn Leute aus allen Herren Ländern und wir beide saßen in dem letzten und ersten und einzigen Zug nach Auce zu einer Party, bei der vielleicht noch drei andere Leute mit uns feiern würden…
Was tun? sprach Zeus: Aussteigen, zurückfahren, mit denen in Riga oder sonst wo feiern, sitzen bleiben?
Wir entschieden uns für letzteres, weil wir keine Ahnung hatten, wo wir uns befinden, wann ein Zug wieder zurückfährt und was die Zurückgeblieben machen…( die haben dann ihre Party nach Juramla verlegt).
So sind wir also in dieses Winzdorf ins Nirgendwo gefahren und hatten eine wirklich schöne Zeit:
Am Sonntag nämlich haben wir eine Wandertour zu irgendwelchen Quellen gemacht, dabei das Schloss von Auce, einen See und die tolle, farbenfrohe Natur bewundert und mindestens hundert Birnen, Kastanien und Äpfel aufgesammelt, wir wurden von einem älteren Paar das letzte Stück nach Auce mitgenommen und haben abends Eintopf und Pfannkuchen zusammen gemacht und ich habe beschlossen mit Kristin und Ulli (einer Österreicherin) vom 27.10 bis zum 02.11 nach Stockholm zu fliegen, (die Flüge sind schon gebucht)….
Am Montagmorgen ganz in der Früh haben wir uns dann wieder auf den Heimweg begeben und habe den Nebel, die Dunkelheit und Kälte mal ganz bewusst genießen dürfen.
Ja auf den Rückweg von Riga nach Jekabpils hat der Bus leider nicht wie gewöhnlich am Busbahnhof gehalten, somit hab ich vergessen auszusteigen und noch eine weitere Nacht in Livani bei Kristin verbracht und mir ihre Wohnung und ihre Schule angeschaut, sowie das Kantinenessen dieser auch ausprobiert.
Gott sei Dank musste ich Montag eh nicht arbeiten und ich bin am Dienstag gleich zum Jugendhaus gefahren, wo ich einen Vortrag über mich meine Arbeit etc. halten sollte, wie ich dachte für kleinere Kinder, aber leider gab es da kleinere Kommunikationsschwierigkeiten zwischen mir und Lilija und die "Kleinkinder" waren etwa vierzehn Jahre alt.
Mist, das war mir peinlich, weil die Präsentation sehr simpel und halt für Kinder ausgelegt war, naja, so kann ich mich steigern;-). In der Mittagspause war ich das erste mal in einem lettischen Restaurant oder Bistro ( hätte nie gedacht das es hier so etwas gibt), welches total kühl und kahl eingerichtet war, aber wahrscheinlich zu einem bessere Etablissement hier zählt.
Das Essen hat auf alle Fälle geschmeckt, war vergleichsweise (also zu Deutschland) günstig und ich hatte ein sehr nettes Gespräch mit Lilija über Lettland, die Korruption, die Frauen, die Männer und deren Beziehung zueinander hier…).
Am Abend war ich in einem sehr überteuerten und kleinen Schwimmbad schwimmen, mit einer Horde trainierender Jugendlicher, also die werden mich so bald nicht mehr sehen, das Bad hatte wirklich so überhaupt kein Charme.
Mittwoch war dann meine erste Begegnung mit der Folktanzgruppe, in die ich eintreten werde, das hat mir super gefallen, nur leider haben die Mädchenüberschuss und arbeiten auch schon seit einem Monat an einer Choreographie, so dass ich mich im zweiten Teil immer langweile, aber naja, ich bleib da auf alle Fälle dran, es ist einfach nur genial so rumzuhüpfen und das ist sozusagen Lettland life, um ein Land richtig kennen zu lernen, muss man die Traditionen kennen und am besten auch beherrschen und ich bin eindeutig ein Naturtalent ;-).
Gestern war ich spazieren und Alnatura-Rossmann-produkte shoppen, ist zwar alles teuerer hier, aber die hiesige Drogeriekette Drogas hat echt alles was ein deutsches Mädchenherz begehrt.
So jetzt aber genug geschrieben, ich muss auch langsam mal zur Arbeit,
ach eins noch, ich hab mir gestern das erste Mal in meinem Leben Kartoffelbrei gemacht…zwar mit angebrannten Zwiebeln, naja.
Jaja Kleinjule wird erwachsen,
VISU LABU
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