20 Freiwillige, 5 Monate und 3 Saunen…
Wo liegt eigentlich Transnistrien? Lockenjule hat es herausgefunden, denn genau dort fand ihr Mid-Term-Training (Bergfestseminar) statt. Es waren drei sehr aufregende Tage.
Diesen Bericht schiebe ich jetzt schon seit fast einer Woche vor mir her. Es ist nicht so, dass ich keine Lust oder Zeit zum Schreiben hätte. Nur immer, wenn ich diesen Bericht anfange, schreibe ich im Endeffekt über irgendetwas anderes und ändere dann den Anfang. Denn ich drifte bei meinen verzweifelten Berichtversuchen immer in Richtung der dort entstandenen Gedanken, Reflektionen und Ideen ab, komme aber nie zum Verlauf und Geschehen selbst. Das liegt natürlich daran, dass der wesentliche Sinn und Zweck dieses Seminars ja hauptsächlich darin besteht, den bisherigen Verlauf kritisch zu beurteilen und Zukünftiges ins Auge zu fassen. Aber es ist natürlich noch so viel mehr als das. Schon allein die Tatsache, dass dieses Seminar in einer großen Gruppe und einem wahrhaft entlegenen Ort stattgefunden hat, macht es zu etwas Besonderem und auch als Ereignis an sich Erzählenswertem. Wer dies nicht findet, kann ja jetzt einfach aufhören mit lesen.
Das Seminar war leider nur drei Tage kurz, es begann am sonnigen Morgen des 24. Februar, letzten Mittwoch also. Mit mir fanden sich auch noch um die zwanzig anderen Freiwilligen ein, einige davon neu angereist (sie würden parallel zu uns ihr Ankunftsseminar haben). Es hatten natürlich noch weitaus mehr Freiwillige Bergfest gehabt, aber gerade aus diesem Grund war unsere 'Community' in zwei Gruppen geteilt worden, wovon die erste Gruppe jenes Seminar bereits bestritten hatte. Ab ging es also in den Bus, eine deutscher alter Van natürlich, sogar mit einem der guten alten 'Blaupunkt'-Fernseher drin. Anstatt uns also die Landschaft des spätwinterlichen Moldawiens anzusehen, glotzten wir zwanzig Freiwillige halb fasziniert, halb abgestoßen auf das unscharfe Bild, welches uns in Dauerschleife zehn Musikvideos darbot. Fünf davon westeuropäische neunziger Jahre Sünden, fünf davon moderne, aber ebenso sündhaft schlechte russisch-rumänische Musikvideos mit viel zu wenig Melodie und richtiger Tonlage, dafür aber ordentlich Pornografie.
Unsere Aufmerksamkeit wurde erst dann der hochspannenden Medialunterhaltung gen Realwelt entrissen, als wir an der Grenze zu Transnistrien ankamen. Obwohl, es kam mir auch nicht wirklich real vor, eher wie eine Reise in die Geschichte. Zur Erklärung: Transnistrien ist der Teil von Moldawien, der einst nicht zu Rumänien gehörte, sondern zur Ukraine. Zu meiner eigenen Sicherheit verkünde ich auch jetzt schon im Vornherein ausdrücklich, dass alles jetzt geschriebene lediglich subjektive Eindrücke beschreibt oder Erzählungen anderer wiedergibt.
Transnistrien also (westlich des Grenzflusses 'Niester/Nistru' gelegen), in dem vorwiegend russischstämmige bzw. -sprechende Menschen leben forderte die Abspaltung von Moldawien und erklärte sich für autonom. Es wird aber von keinem Staat als solches anerkannt; bis auf Russland und die Ukraine. Transnistrien, so munkelt man, ist eigentlich nichts weiter als eine Mafiahochburg, die sich aufgrund wirtschaftlich äußerst rentablen Waffen- und Alkoholexports sowie militaristischer Führung aufrechterhält. Übrigens, Microsoft-Word kennt das Wort 'Transnistrien' nicht. Ebenso wenig erkennt ein anderer Grenzbeamter nach dem Besuch Transnistriens, dass man tatsächlich da war: Man macht dort zwar ein riesen Brimborium bei den Grenzkontrollen (unser Busfahrer musste sich gleich noch mal hinten an der Autoschlange anstellen, weil er, der böse Bube, doch tatsächlich meinte, sich mit seinem 20-Personen-Bus vorne hinstellen zu können, da die Busse eh extra abgefertigt werden…), jegliche Bitte um rumänische Verständigung wird ignoriert, die Posten kontrollieren ewig lang die Pässe… aber im Endeffekt ist es ihnen nicht mal erlaubt, einen Einreisestempel in den Pass zu machen.
Als wir dann endlich weiterfahren konnten, zog an uns im wesentlichen tristes Grau, ausschließlich russischer Schriftzüge und unzählige Stromleitungen vorbei. Bis wir schließlich erneut Grenzposten erreichten, die wir aber einigermaßen schnell passieren konnten, und dann waren wir endlich da: Wieder in Moldawien, und doch noch in Transnistrien. Unser hübsches Hotel lag in einem der Dörfer in Transnistrien, die sich wie das Dorf von Asterix und Obelix strikt gegen die Zugehörigkeit zu Transnistrien weigerten. Leider war es ziemlich kalt und inzwischen auch neblig-bedeckt, aber trotzdem vermittelte das hellgelbgetünchte Hotel mit Sonnenterasse und (vereistem) Pool ein Gefühl von Sommer und Wärme. Noch dazu lag es sehr idyllisch direkt am Ufer des Nistru, der noch vereist war und mit seinen Nebelschwaden und dichten Wäldern am anderen Ufer ganz verwunschen aussah.
Auch unsere Zimmer ließen nichts zu wünschen übrig: Jeweils Wohnungen mit zwei Doppelzimmern mit großem Bett und Fernseher, großes Bad mit Wanne (!) und heißem Wasser den ganzen Tag (!!!). Rosis und mein Plan für den Abend war sofort klar: Baden!
Zunächst aber ging es in den leider im Keller gelegenen Seminarraum, wo wir ein erstes Kennen-Lern-Spiel machten und uns anschließend von allen Neulingen verabschiedeten, die ihr Ankunftsseminar in einem anderen Raum hatten. Dann begann das eigentliche Seminar; mit vielen Stuhlkreisdiskussionen (bitte, dieses Wort soll keinen negativen Klang haben, es war wirklich interessant), Kirschbonbons, Arbeit in kleineren Gruppen, Zootierkeksen, Erstellung diverser Veranschaulichungen, Apfelbonbons, Informationen über den zu schreibenden Abschlussbericht, Lebkuchen, Erläuterungen des Youth Pass (eine Art Zertifikat), Zitronenbonbons, unzähligen Fragen, vielseitigen Antworten und, und, und. All diese Themen wurden innerhalb der Seminarstunden des gesamten Aufenthalts dort besprochen. Aufgelockert wurde die ohne ungezwungene und entspannte Atmosphäre durch diverse lustige Spielchen, zu denen auch schon mal gern die Gruppe der Neuankömmlinge dazugeholt wurde.
Am ersten Abend saßen wir alle in noch recht zurückhaltender Runde zusammen, irgendwie fehlte es an Gesprächsstoff und Alkohol. Allerdings setzten Rosi und ich dem Abend dann doch noch sein verdientes Sahnehäubchen auf, als wir gegen Mitternacht zusammen in die Badewanne gingen und mit unserem Gegacker alle umliegenden Zimmer unterhielten. Insbesondere das an unser Bad angrenzende Nachbarbad war ein einziges Hörspielhaus. Das bekamen wir aber erst mit, als Romi, eine gute Freundin von uns, nebenan auf dem Klo saß und sich parallel mit uns durch den Abzug unterhielt. Irgendwann schlich sie sich dann auch noch kichernd ins unsere Wohnung und erschreckte uns in der Wanne. Leider war sie nicht dazu zu überzeugen, noch mit reinzukommen.
Am nächsten Morgen quälte ich mich ziemlich aus dem Bett. Nicht nur, dass wir erst ziemlich spät das unter Wasser gesetzte Bad verlassen hatten. Rosi hatte aufgrund ihrer Erkältung in der Nacht auch noch alle Bäume Transnistriens abgesägt… und zwar in jeder Lage, in die ich sie drehte. Aber nun ja, die Lebensgeister kehrten schnell wieder in mich zurück, und in der Mittagspause spazierte ich schon wieder mit vielen anderen Freiwilligen durch das nahegelegene Dorf. Am Abend dann kickerte ich in diversen „Geschlechterkampf-,Völkerfreundschafts- und weiß-ich-nicht-was-Tischfußballspielen, eher es dann endlich in die heiß erwartete Sauna des Hauses ging. Genauer gesagt waren es drei Saunen, eine mit knisterndem Ofen, eine Dampfsauna und eine Heizsauna. Dazu gab es einen großen Kaltwasserpool (vor dem ich anfangs noch etwas Respekt hatte, dank meiner letzten Poolerfahrung, die ja im Krankenhaus endete), einen Entspannungsraum, einer Massagedusche und natürlich diversen Litern Bier. Der Abend verging schnell und feucht-fröhlich, und anschließend fanden sich die noch halbwegs fitten von uns zum heiteren Weintrinken zusammen. Diesmal waren die Gespräche schon gelöster, man kannte sich besser, und wir hatten auch im dörflichen Tante-Emma-Laden für ausreichend hausgemachten Rotwein gesorgt.
Am letzten Morgen, gemeiner Weise schien genau dann wieder die Sonne, fanden wir uns nach dem Frühstück nur noch mal kurz zusammen, dann ging es auch schon wieder in den Bus zurück nach Chisinau. Natürlich wieder begleitet von tiefgründigem Liedgut aus dem Blaupunkt-Fernseher, und diesmal konnten wir schon alles mitsingen. Also, wem das Training an sich nicht gefallen hat, der hat wenigstens ein paar neue Lieder gelernt. :)
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