Zuhausen?
Kann man mehr als ein Zuhause finden? Und wenn ja, macht das süchtig?
Es war eine lange Reise. Ca. 2500km. Mit dem Auto durch vier Länder fahren, innerhalb von 23 Stunden. Gott sei Dank gibt es ja Billigflieger.
Gepackt wurde - wie immer - eine Nacht vorher in voller Hektik und die Nacht davor hatte ich auch nicht super geschlafen. Früh ging's dann los. Erstmal 280km mit dem Auto durch die Republik zum nächstgelegenen Flughafen mit Direktflügen. Dann durch die Wolken in den Süden. Das Warten in der Schlange vor der Gepäckabgabe mit der Angst vor Übergepäckt. All das war nun hinter mir und wir liefen aus dem Flughafen in Spanien...
Erste Frage: Wie kommen wir in die Innenstadt und zu der Wohnung, die wir nur aus Bildern aus dem Internet kannten? „Better safe than sorry“ ist die Devise und wir nehmen ein Taxi in Richtung neue Wohnung, neues Leben, neue Erlebnisse.
Durch das Fenster des Taxis beobachte ich die vorbeiziehende Bilder. Erst Warenhäuser, dann Hochhäuser, dann die Brücken, dann die Altstadt....alles so anders, so schön. Die Palmen, die Kathedrale, die Stierkampfarena...alles zieht vorbei, alles erscheint unbekannt - trotz der vorherigen Reisefüherer Begutachtung.
Ankunft vor unserer Wohnung. Wir hieven unsere schweren Koffer, die unsere Habseligkeiten für die nächsten fünf Monate beinhalten, aus dem Kofferraum. Trotz des vorherigen Google-Streetview-Checks erkennen wir erst die Straße nicht wieder in der wir nun wohnen werden. Wir klingeln, der Türsummer, die 50 Stufen hoch in den dritten Stock und wir sind endlich da. Hallo stereotypische Erasmus WG: acht Zimmer, eine Wohnküche, zwei Bäder und fünf Nationalitäten. Es verspricht eine interessante Zeit zu werden.
Wir haben Hunger. Anders als in Deutschland scheint hier zu später Stunde noch alles aufzuhaben. Die Auswahl an der Alameda ist riesig und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich in ein paar Wochen schon ein Lieblingslokal haben werde, in dem ich regelmäßig gehe und später Juan kennenlernen werde.
An diesem ersten Abend gehen wir in besagtes (zukünftiges) Lieblingslokal. Die Tapas sind unaussprechlich gut und ich denke so etwas könnte ich jeden Tag essen. (Natürlich mach ich das dann nicht wirklich, da es einfach viel zu teuer ist. Trotzdem: Solomillo de mostaza! Ich liebe dich!). Mein erster schüchterner Versuch Spanisch zu sprechen: „Quiero pagar, por favor.“ sage ich. Der Kellner lächelt und sagt: „La cuenta, se dice!“ ...
Jetzt, zwei Tage vor meinem Abflug, fünf Monate nach dem Tag, an dem ich zum ersten Mal auf Spanisch nach der Rechnung fragte und von Juan berichtigt wurde, denke ich über das Wort „cuenta“ nach. Konto. Wie sieht mein Erlebniskonto aus nach dem Ganzen hier? Ich fühle mich auf komische Art und Weise Zuhause in dieser Stadt am Fluss.
Wahrscheinlich werde ich mich fremd fühlen, wenn ich nach „Zuhause-hause“ aus dem Flugzeug steige, von meinem Papa abgeholt werde, in die Kleinstadt im Norden fahre und all das vermeintlich bekannte dort sehe. Es wird sich wahrscheinlich nicht viel verändert haben, aber ich mich. Der Spieß hat sich umgedreht und ich merke, eigentlich bin überall fremd und dann aber auch eigentlich nie. In jedem Fall bringt jedes Fremdheitsgefühl auch ein wenig Glückseligkeit für mich. Das Adrenalin, die Eindrücke. Vielleicht werde ich danach süchtig, nach den neuen Zuhausen suchen.
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