Wirtschaft auf Griechisch 1/3
Erster Teil und Einführung eines dreiteiligen Artikels über die krisenhafte Entwicklung in Europa.
Sie sind jung, sie sind motiviert, sie sprechen zwei Sprachen fließend, sie haben eine akademische Ausbildung absolviert. Junge Ingenieure aus Griechenland finden im fünften Krisenjahr in Folge keine Arbeit – und wandern aus. So wie zum Beispiel Maria, sie hat ein Auslandsjahr im Rahmen des auslaufenden Europäischen Freiwilligendienstes in Belfast gemacht – und ist dort geblieben.
Statistiken sind eine schöne Sache, oder? Es dauert lange, bis man sie versteht, sie werden gerne kreativ gelesen und vermögen es, besorgniserregende Situationen zu verstecken. So wie die statistischen Landkarten von Eurostat, der Statistikbehörde der Europäischen Kommission. Der Arbeitslosenrate in den einzelnen Regionen Europas sind verschieden Farben zugeordnet. Die Werte unter zehn Prozent sind in einem freundlichen Gelb gehalten, die Werte von zehn bis 18,9 Prozent in einem schon weniger freundlichen scheinenden Hellblau, die Werte über 18,9 sind gefährlich Dunkelblau gehalten. Die geografische Mitte Europas ist gelb gehalten, in Frankreich erscheinen einzelne Regionen hellblau. Great Britain, meine Heimat für ein Jahr während meines EFDs, ist in verschiedenen Grüntönen gehalten – die Arbeitslosigkeit liegt hier zwischen sieben und zehn Prozent. Ireland, Spanien, Frankreich, Italien und Griechenland sind in dunklen, gefährlichen Blautönen gehalten – mehr als 18,9 Prozent der Menschen dort sind ohne eine Tätigkeit, ohne eine Arbeit. Viel schlimmer: Ihnen fehlt eine Zeitstruktur, ihnen fehlt eine Aufgabe. Mit Arbeitslosigkeit gehen in der Regel Strukturverlust, Teilnahmslosigkeit und unter Umständen sogar ein Fatalismus einher, der die Ausweglosigkeit für diese Menschen beschreibt.
Marias Heimat, Griechenland, ist von der Krise schwer betroffen. Diese Karte bildet lediglich ab, was wir schon aus den Nachrichten wissen oder ahnen, wenn wir die Bilder aus Athen oder anderen griechischen Städten sehen. Geschlossene Geschäfte, leere Regale und lange Schlagen vor der Tafel. Europa, was stimmt nicht mit dir? Ein jahrhundertalter Mythos, Europa, so schön, dass sie Götter verführen vermag, der Stolz die Wiege der Demokratie zu sein und die Heimat einer der ältesten Traditionen in Philosophie und Theologie. Wie kann es dazu kommen? Wer Griechenland hört, denkt nicht zuerst an Alpha und Omega, an siegreiche Helden, schöne Strände, an die kritischen Begleiter der Antike, sondern er sieht Fernsehaufnahmen von Demonstrationen – die Nazi-Kostümierung aus Athen haben sich mittlerweile auch in deutsche Augen eingebrannt. Um diese Entwicklung zu verstehen, hilft nicht ausschließlich eine Statistik weiter – wenngleich sie nützlich sein können, weil sie die Realität versuchen konkret abzubilden. Wer diese Entwicklung nachvollziehen will, muss versuchen den Menschen zuzuhören – und parallel dazu in wirtschaftlichen Prozessen denken. Wir wollen gemeinsam beides in drei Artikeln versuchen.
Ich habe Maria in Worcester auf dem Arrival-Seminar getroffen. Sie hat letztes Jahr ebenfalls ein EFD in Belfast absolviert und ist anschließend nicht nach Hause gekommen, sondern lebt seitdem in Belfast und ist auf der Suche nach einem Job als Ingenieuren, ist seit gut einem Jahr auf der Suche nach einer Stelle, findet aber keine. Auf dem Seminar hat sie uns über ihre Erfahrungen als Volunteer berichtet, später habe ich mich dann noch mit ihr über die ökonomischen Entwicklungen in Europa unterhalten. Marias Fazit möchte ich gerne wiedergeben, es beschreibt eindrücklich, was eigentlich offensichtlich ist. „I always like explaining things with rates and numbers but really human stories are more important. The reality is that at the minute, people in Greece are losing their jobs, the salaries are getting less and less, taxes increasing without any reason and for young people, even if they have got good degrees and are full of energy it is impossible to find any job. If you even like to try to open a business or social enterprise in that environment, you will have zero support from the government and it will almost impossible to do it legally. The black market is still active, social services and the government are corrupted or supply not exist. If you are unemployed you will likely receive zero support from the government and your parents will have to feed you, probably from their old age pension, which is reduced in the half. I don't know what is the role of Europe in all that? More loans? More Bank involvement? I don't think that this is the way. There were many sad suicide stories during last years too.“
Ein Teil der „Role of Europe“, wie Maria sagt, ist die deutsche Rolle in Europa. „The Guardian“, eine links-intellektuelle Zeitung in Großbritannien, hat diese Situation als „postmodernes Weimar“ beschrieben – die Konsequenzen der Republik ohne Republikaner sind bekannt. Not frisst Demokratie. Diesen Eindruck teilt auch Maria, sie berichtet von der Verzweiflung und der Wut der Menschen auf die Regierung. Bei der Parlamentswahl im Mai 2012 haben die beiden großen Volksparteien Nea Dimokratia (ND) und PASOK massive Verluste eingefahren und konnten keine gemeinsame Regierungsmehrheit erreichen. Dafür zogen zwei rechtsextreme sowie eine linksextreme Partei neu ins Parlament ein. Alle Versuche, eine Regierung zu bilden, scheiterten. Deshalb gab es einen Monat später wieder Neuwahlen. Insofern ist es vielleicht gar nicht verwunderlich, wenn man die Situation heute mit der Situation der Weimarer Republik vergleicht – die Krisenjahre 1923 und 1929 waren Sargnägel für die noch jungen Demokratie. Die aus der Geschichte entstandene Verantwortung Deutschlands für den Frieden in Europa ist eine Herausforderung, Maria berichtet von Griechen, die sich von Deutschland diskreditiert und missverstanden fühlen.
Im zweiten Teil des Artikels wollen wir einen Blick auf die Ursachen der Entwicklung werfen.