Wirbelwind und Welle
Tatiana zieht Bilanz über ihr EVS: Die schwierige, sorgenvolle Anfangszeit, in der alles neblig und dunkel schien, und die guten Monate zum Schluss, die doch zu den besten ihres Lebens wurden.
Das Flugzeug hat mich, mit einem großen schwarzen Sorgen-Wirbelwind über dem Kopf, im Januar an diesem nebligen Ort ausgespuckt, an dem die Zeit langsamer vergeht und an dem jede Bewegung durch diese träge Masse Kraft kostet.
Als ich in Slowenien angekommen bin war der einzig klare Gedanke den ich hatte, dass ich ganz bestimmt keine sechs Monate in diesem tristen Nichts verbringen werde, weshalb ich mir selten die Mühe machte, wirkliches Interesse für die im Nebel versteckten Dinge aufzubringen. Ich wusste nur, dass ich hier ganz allein war mit meinem Wirbelwind und bestimmt nicht stark genug, um die Gedanken mit mir herum zu tragen, die immer schneller um meinen schwer kranken Vater, mein gebrochenes Herz und generellem Weltschmerz herum, ihren eigenen Schwanz jagten.
Wenn mich die Leute, nach einem Kompliment für ihr junges, kleines Land strebend, aufgesetzt erstaunt fragten, wie ich denn auf die dumme Idee gekommen sei ausgerechnet nach Slowenien zu kommen war ich immer etwas ratlos. Sollte ich ihnen gestehen, dass ich hier bin, weil mich dieses Projekt eben akzeptiert hat und ich auch viel lieber in Spanien am Strand liegen und die ganze Nacht Party machen oder in Rumänien die Welt verbessern würde, als ganz allein in einer winzigen Stadt zu sein, kein Wort zu verstehen, vor Einsamkeit fast erdrückt zu werden und keine richtige Aufgabe in meinem Projekt zu haben. Nach ein paar ehrlichen Versuchen, ersparte ich mir die enttäuschten Gesichter und beließ es bei einem „I've always wanted to come to Slovenia!“.
Als ich mich heute nach der Arbeit den Hügel zu meinem Haus hoch schleppte und die Aussicht auf mein kleines Dorf genoss, habe ich mich, wie schon so oft, gefragt was wohl erstaunlicher ist: Dass ich diesen dunklen Ort jemals so unheimlich lieb gewinnen konnte oder wie ich durch meinen egozentrischen Nebel nicht sehen konnte, wie wunderschön es hier ist, wie viel Glück ich hatte.
Es fällt mir schwer zu erklären, wie ich ausgehend von dieser unsympathischen, unglücklichen Person, die den ersten Absatz dieses Textes geschrieben hat, das zufriedene, motivierte ICH gefunden habe, dass gerade einen der besten Monate seines Lebens hinter sich hat.
Es hat mich diese große Welle erwischt. Angefangen mit den slowenischen Spezialitäten, die mir Slavica Sonntags auftischte, während sie versuchte ihren dreißigjährigen Sohn Igor dazu zu überreden mehr zu essen, und Diskussionen über Politik bei türkischem Kaffee, die neben meinem Bauchspeck auch meine Seele pflegten.
Die Mitarbeiter im Jugendzentrum, die es mir unmöglich machten, die Entscheidung hierher zu kommen zu verfluchen. Da war meine - wohlwollend ausgedrückt - sehr gemütliche Chefin, die so unkompliziert hilfsbereit und ehrlich freundlich war, daneben ihr weiser, witziger Kollege, meine einfühlende Slowenischlehrerin und die verdrehte, mir so fremde wie nahe, liebenswerte Sophia, die so eine gute Freundin geworden ist.
Um es ganz kitschig auszudrücken, kann man sagen, dass meine Welle ihre ganz große Kraft in dem klaren, reinen Wasser in Bohinj geschöpft hat. An diesem See, der so schön ist, dass man sich schon ziemlich anstrengen muss, um sich schlecht zu fühlen, habe ich die fünfzehn anderen Freiwilligen kennen gelernt. Wir haben Stunden lang Pantomime-Tabu und Karten gespielt, gesungen, französische Crêpes mit portugiesischen Nudeln gekocht, getanzt, getrunken, Parties gefeiert, geredet und vor allem gelacht.
Wir sind von da an füreinander da gewesen, über so viele gute Wochenenden hinweg und in diesem Bild, in dem der Himmel vielleicht ein bisschen zu rosa gezeichnet ist, treffen sich noch unsere Kinder jährlich in Ljubljana. Tatsächlich haben wir zumindest ganz feste Pläne, dass wir uns nächstes Jahr alle wieder treffen.
Es kamen durchgemachte Nächte, viel Burek, das Meer, lila Haare, blonde Haare und ganz schnell wieder braune Haare, besondere Zugbekanntschaften (wobei ich der Typ „schnell Buch raus holen bevor jemand versucht mich in ein Gespräch zu verwickeln“ bin), viele, viele Kaffeepausen, Pfannkuchen backen und Tischtennisturniere mit den Kindern im Jugendzentrum, Matschbäder im größten Rockfestival des Landes, tapsige erste Versuche im per Anhalter fahren, neue Musik, Zeit für Bücher, Theater, Ausstellungen und Fahrradfahren.
Meine EVS Zeit hatte, wie auch alle anderen, Höhen und Tiefen, aber am Ende der Achterbahn, als der Nebel sich gelichtet und die große Welle einfach meinen schwarzen Wirbel fort gespült hatte, habe ich ein großes Stück von mir selbst gefunden.
Slowenien ist wunderschön, hat so viel zu bieten und ich hoffe wenn sie die neuen Freiwilligen hoffnungsvoll fragen, wie sie hier gelandet sind, dass diese nicht lügen müssen wenn sie antworten „ I heard so many great things about Slovenia, that I always wanted to come here!“
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