Wieso eigentlich Ungarn?
Nachdem ich vor knapp einem halben Jahr meine Sachen gepackt habe und in den Flieger nach Ungarn gestiegen bin, kann ich endlich beantworten, warum Ungarn die richtige Wahl war.
Szenario 1:
Mein Gegenüber: „Was hast du denn eigentlich so nach deinem Abitur vor?“
Ich: „Ich mache einen Europäischen Freiwilligendienst.“
Mein Gegenüber: „Bitte was? Hab ich ja noch nie gehört. Und wo?“
Ich: „In Ungarn.“
Mein Gegenüber: „Was zur Hölle willst du denn in Ungarn?!“
Ja was will ich denn in Ungarn? Das wusste ich zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht so genau. Natürlich zog es mich wie einen Großteil der Freiwilligen eher nach England, Spanien oder Italien. Aber wie man sieht Pläne ändern sich… Mein Projekt hatte mich einfach überzeugt.
Szenario 2:
Mein Gegenüber: „Und warum bist du denn eigentlich nach Ungarn gekommen?“ (leichtes Unverständnis in der Stimme nicht überhörbar)
Ich: „Wegen meinem Projekt.“
Mein Gegenüber: „Und was machst du so?“
Ich arbeite seit August 2019 für Hang-Kép. Das ist eine Organisation in Debrecen, die Freiwilligen wie mir das Fotografieren und Filmen, sowie den Umgang mit den entsprechenden Geräten und Programmen beibringt. Wir fotografieren oder drehen kurze Videos bei verschiedenen kulturellen Events wie beispielsweise Ausstellungseröffnungen, Konzerten oder Sportereignissen und veröffentlichen unsere Arbeiten zu Werbezwecken auf Facebook oder YouTube. Unser neustes Projekt ist der Blog „Enjoy Debrecen“, in welchem wir zeigen, was die Stadt zu bieten hat und wie die Dinge hier ablaufen.
Hört sich cool an? Finde ich auch. Das war mein Grund nach Ungarn zu kommen. Nach einem halben Jahr ziehe ich eine erste Zwischenbilanz und sage trotz einiger bisher nicht zwingend gelöster Herausforderungen war die Länderwahl richtig, aber nicht nur wegen meinem Projekt.
Ihr fragt euch was Ungarn sonst noch zu bieten hat?
Auch wenn Ungarn nie mein Reiseziel Nummer eins war, um ehrlich zu sein stand es überhaupt noch nie auf der Liste meiner Wunschziele, gibt es hier einiges zu sehen. Als erstes hätten wir da natürlich Budapest, die Hauptstadt Ungarns mit ihrer atemberaubenden Architektur. Bei einer der Free Walking Touren werdet ihr vieles über die Stadt lernen und auch ganz neue Orte entdecken. Es gibt tolle Museen, viel Street Art und unzählige Parks wie den Elisabeth Square, an dem sich nicht nur das Michael Jackson Memorial befindet, sondern auch der kleine Bruder des London Eye – das Budapest Eye.
Besonders beliebt insbesondere im Sommer ist auch der Plattensee, auf Ungarisch Balaton. Dort liegt zudem der weltgrößte Thermalsee in Hévíz.
Neben den zwei Hauptattraktionen gibt es aber auch noch zahlreiche andere sehenswerte Orte wie Pécs, Miskolc oder Tokaj. Diese Städte stehen für das nächste halbe Jahr noch auf meiner Reiseliste. Ich muss nämlich leider zugeben, dass ich genau wie fast alle Freiwilligen so sehr damit beschäftigt war andere Länder zu erkunden, dass das Land, in dem ich gerade lebe bisher etwas zu kurz gekommen ist.
Neben den Orten in Ungarn, weiß ich aber auch die Lage des Landes sehr zu schätzen. In Ungarn, genauso wie auf Reisen in Nachbarländer, habe ich begriffen, dass es doch große Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa gibt.
Nehmen wir Budapest einmal aus, merkt man an vielen Orten, dass der Wohlstand und auch der Lebenskomfort viel geringer ist als beispielsweise in Deutschland. In Gesprächen mit Einheimischen habe ich erfahren, dass Leute hier manchmal weniger verdienen als ich bei meinem Freiwilligendienst als Taschengeld erhalte. Zahlreiche Menschen blicken gen Westen mit der Hoffnung auf ein besseren Leben und eine besser bezahlte Arbeit. In den Straßen gibt es zahlreiche Obdachlose und für die Probleme mit den Sinti & Roma scheint eine Lösung nicht in Sicht zu sein.
All diese Erfahrungen haben mich bereits sehr geprägt und meine Sicht auf viele Dinge verändert. Als ich über Weihnachten nach Hause kam, habe ich mich oft gefragt, warum ist es wichtig das neueste Handy zu haben oder warum brauche ich ein Haus, in dem eine Großfamilie ausreichend Platz hätte? Ich habe gelernt was wirklich zählt. Nicht das Materielle, sondern das, was wir erleben, all die Erinnerungen, Erlebnisse und Erfahrungen, die ich nach diesem Jahr mit nach Hause nehmen werde.
Szenario 3:
Ich: „Sprechen Sie Englisch?“
Mein Gegenüber: „Nein.“ (Gespräch beendet.)
Das ist eines der typischen „Willkommen in Ungarn“-Erlebnisse. Ich lebe in der zweit größten Stadt Ungarns und trotzdem muss ich sagen manchmal fühle ich mich wie mitten ins tiefste Hinterland versetzt. Budapest ist wie eine jede Großstadt – laut, hektisch und international. Verlässt man diese vertraute Umgebung, trifft man auf das wahre Ungarn. Tagtäglich erwartet mich eine neue Herausforderung. Habe ich eine Frage an eine Verkäuferin beim Einkaufen, möchte ich ein Zugticket am Schalter kaufen oder auch nur nach dem Weg fragen. Denn gefühlt kaum einer spricht Englisch. Aber keine Sorge mit Händen, Füßen, Google-Übersetzer und ein paar Brocken Ungarisch bin ich bisher immer an mein Ziel kommen. Ungarisch gilt tatsächlich nicht umsonst als eine der schwersten Sprachen. Nichtsdestotrotz habe ich nette Ungarn kennengelernt, die mir gerne dabei helfen das ein oder andere Wort ungarisch zu lernen, um mich besser im Alltag zurecht zu finden.
Wie ihr seht, Ungarn ist sicher nicht die leichteste Länderwahl, aber ich wachse an jeder neuen Aufgabe und Herausforderung und das werdet ihr auch!