Wie man seine Unterhosen verliert und berühmt wird

Montagmorgen, ich laufe zu meinem Fahrrad, das vor dem Haus meiner Gastfamilie abgestellt ist, will es aufschließen und sehe, dass jemand den Sattel abgetreten und die Kette anscheinend durchgeschnitten (!) hat. Jaui. Guter Start in die Woche, aber keine Zeit, sich aufzuregen, denn, dass mein Fahrrad kaputt ist, bedeutet, ich habe nicht genug Zeit um zum kleinen Bahnhof bei mir um die Ecke zu gehen, sondern ich muss den Bus zum Hauptbahnhof noch schnell erreichen und darf dementsprechend unfreiwilligen Frühsport betreiben.
Nach einem verlängerten Arbeitstag stehe ich um 18:45 Uhr vor der selben Haustür, die ich am Morgen beim Begutachten meines Fahrrads noch ins Schloss fallen hörte, nur hat diese sich nun spontan entschieden nicht mehr aufzugehen. 30 Minuten lang stemme ich mich mit all meinem Körpergewicht (ich bin immerhin 1,87m groß und erzähle hier sehr oft, dass ich viel Pommes esse, das entsprechende Bild darf sich jeder also selbst ausmalen) in die Tür bis sie endlich aufgeht. Glücklich darüber, dass sie anscheinend nur blockiert war und ich sie nicht kaputt gemacht habe, lasse ich den Tag ausklingen mit der Hoffnung, dass sich dieses Glück nicht die ganze Woche lang durchzieht, doch ha ha! Dann kommt der folgende Dienstag und dieser bringt mir mit absoluter Sicherheit die bekloppteste Geschichte, und glaubt mir da gibt es viele, meines ganzen ESKs und sicher eine der Top 10 meines ganzen Lebens:

Da die Waschmaschine, die meine Gastfamilie mir zur Verfügung gestellt hat, kaputt ist, wasche ich meine Klamotten jetzt immer auf der Farm. Das ist ohnehin unumständlicher für mich und ich vergesse so auch nicht, sie rechtzeitig aus der Maschine zu holen. Diesen Prozess habe ich schon mehrere Male gemacht, so weit, so gut.
Wie immer stecke ich meine Wäsche nachdem sie getrocknet ist in eine Sporttasche und nehme sie mit zurück nach Hause. Nur dieses Mal bin ich abgelenkt dadurch, dass ich mit meiner Schwester telefoniere und es passiert, was passieren muss: Ich vergesse die Sporttasche mit all meinen Handtüchern, sehr vielen anderen wichtigen Kleidungsstücken und ganz besonders allen, bis auf die eine, die ich noch anhatte, Unterhosen. In fünf Tagen darauf beginnt meine zehn Tage lange Reise. Ja, geil. 

Eine Viertelstunde nach Verlassen des Zugs sitze ich schon in der Tram, beende grade das Gespräch mit meiner Schwester und realisiere dann, dass irgendetwas fehlt. Gefolgt von einem semi-lauten "Oh, Scheiße", das es vier Leuten in der Straßenbahn wert war, sich umzudrehen, realisiere ich also die Misere, die sich anbahnt: Meine Kleidung ist weg, in fünf Tagen beginnt meine Reise in die Niederlande und nach England und ich hab nie das Geld, um ausreichend Ersatzkleidung so kurzfristig zu kaufen, weil ich eben dieses Geld ja für die Reise ausgegeben hatte. Hervorragend.

Ich überlege also, was ich tun kann. Nach einer kurzen Googlesuche kommt direkt ein Formular der belgischen Bahngesellschaft NMBS, wo man seine verlorenen Gegenstände anmelden kann. Das schnell ausgefüllt, bleibt doch der Zweifel, ob das auch wirklich klappt. Immerhin sind die Züge selbst schon nicht so zuverlässig. Und für den Fall dass es klappt, wie lange dauert es bis ich meine Tasche tatsächlich in den Händen halte? Das ist mir alles zu unsicher. Ich brauche diese Tasche, am besten sofort. 

Immerhin hat die NMBS einen sehr guten Social-Media-Support und so durchforste ich Tweets von anderen Menschen, die auch schon mal etwas im Zug vergessen haben und dann die NMBS auf Twitter kontaktiert haben. Die effektivste Methode, so scheint mir, ist nach der Telefonnummer des Endbahnhofs des jeweiligen Zugs zu fragen. Ich schreibe der NMBS also, ob sie mir die Telefonnummer für den Bahnhof Geraardsbergen geben können, worauf diese meinen, "Hey, schau mal: Wir haben hier so ein cooles Formular, das du ausfüllen kannst!" Bemüht höflich antworte ich, dass ich das bereits getan habe und wirklich jemand direkt kontaktieren möchte. Gibt es denn keine Möglichkeit? Darauf die NMBS: Computer sagt nein. Hmpf.

Für meinen eigenen Gemütszustand war es zu diesem Zeitpunkt ein Gutes, dass ich mich bereits verabredet hatte, um Toy Story 4 (dringende Guckempfehlung) zu schauen und so ging es mir danach ein wenig besser. Nichtsdestoweniger wurde ich selbst vom Kino gemobbt, denn als ich meiner Mentorin, mit der ich im Kino war, von meinem Verlust erzählte, erschien genau in diesem Moment in großen Lettern auf der Leinwand die Errinnerung ja nichts im Kino zu vergessen. Ab diesem Zeitpunkt suchte ich Guido Cantz und seine Kamera.

Als ich dann kurz vorm Schlafengehen, nochmal überlegte, was ich jetzt tun kann, denn gelöst ist die Situation ja noch lange nicht, schreibe ich in all meiner Verzweiflung auf Reddit einen Beitrag, dass ich meine Unterhosen verloren hab, die NMBS mir nicht weiterhelfen kann und  ich für jeden Tipp dankbar bin. 
Innerhalb kürzester Zeit sammelte der Beitrag Upvotes ohne Ende, was für ein kleines Subreddit wie das Belgiensubreddit zu so einer späten Zeit außergewöhnlich ist, und nach den ersten Witzen wie "Hast du entweder besorgniserregend wenig Unterhosen oder einfach lächerlich viele in einer Sporttasche mit dir rumgetragen?", begonn das ganze Ding seinen Lauf zu nehmen. 
Ein Typ, der bei der NMBS arbeitet fängt um 23 Uhr für mich, jemanden, den er nicht kennt und über den er nichts weiß außer, dass ich meine Unterhosen verloren habe, an, rumzutelefonieren bei Mitarbeitern, die bei den entsprechenden Zugstrecken aktiv sind.
Ein anderer meldet sich, der früher bei der NMBS arbeitete, mir den ganzen Vorgang in so einem Fall erklärt und nennt, in welchen Bahnhöfen ich am besten suchen sollte. Beim Schlafengehen hat der Beitrag mir schon wahnsinnig viel gebracht und vor allem die Gewissheit durch viele Menschen, dass es zwar lange dauert, man seine Gegenstände so gut wie immer aber zurück bekommt. Puh. Doch hier sind wir noch nicht am Highlight.

Am nächsten Morgen kriege ich eine Direktnachricht. Mehrere Menschen haben für mich in unterschiedlichen Bahnhöfen einfach so, ohne, dass ich das explizit gefragt habe, nachgefragt, ob eine Sporttasche gefunden wurde und tatsächlich - in Geraardsbergen, der Endstation gibt es einen Treffer, der auf meine Sporttasche zutrifft.
Den ganzen Tag bin ich nun also aufgeregt, nach der Arbeit endlich nach Geraardsbergen zu fahren (dieser Satz funktioniert auch ausschließlich in diesem Kontext, jeder, der schonmal in Geraardsbergen war, wird es verstehen). Als ich dann um 17:30 Uhr da bin und nachfrage, gibt die Frau am Schalter mir einen skeptischen Blick und kommt dann aber doch mit meinem Objekt der Begierde zurück. Meine Unterhosen und ich, wir sind innerhalb von 24 Stunden wieder vereint! Alles durch Reddit, das mir wortwörtlich den Arsch gerettet hat.

Um mich für all die Hilfe zu bedanken (mein Post steht zu diesem Zeitpunkt bei 450 Upvotes, was sehr sehr viel für das Subreddit von Belgien ist), poste ich ein Bild von meinen gefundenen Unterhosen. Jetzt kommentieren noch viel mehr Menschen als unter dem ersten Beitrag, gratulieren mir zu meinen zurückgefundenen Unterhosen, sagen wie sehr sie das freut, das zu lesen und der Beitrag steht bei über 1.300 Upvotes, 50.000 (!) Menschen haben ihn gesehen und ich werde dort nur noch "Underpants guy" genannt. Ich hab mein Unterhosen zurück von daher ist mir das auch recht. Jemand hat mir sogar für 15€ Reddit Gold gekauft, das ist so eine Art Premiumfunktion auf Reddit, weil er den Post so wahnsinnig toll fand. 15€ sind bei günstigen Anbietern vier bis fünf Unterhosen, ich will es nur mal erwähnt haben.
In der Zwischenzeit läuft die Freude über das Finden meiner Unterhosen in den Kommentaren aus der Hand und eine heftige Diskussion darüber entsteht, ob nun Boxershorts oder enganliegende Unterhosen besser sind (Jeder vernünftige Mensch weiß, es sind Boxershorts).

Ich kriege nun noch immer durchgehend Benachrichtigungen darüber, das ist der Post mit den viertmeisten Upvotes im ganzen Subreddit von Belgien und da dachte ich mir, das muss ich jetzt schon mal ein paar meiner belgischen Freunde erzählen.
Jetzt wird's erst richtig lustig, denn die konnten nicht glauben, dass ich das war. Fast alle Freunde von mir, die auch auf Reddit sind, hatten den Beitrag gelesen, dachten sich, dass sei ein Witz und haben sich dann schier nicht mehr eingekriegt als ich durch das Zeigen meiner Unterhose und der Sporttasche beweisen konnte, dass ich tatsächlich der "Underpants guy" bin. Direkt musste ich mit meiner Unterhose für Fotos posieren, die dann an wiederum Freunde meiner Freunde verschickt wurden mit der Bemerkung "Schau mal, ich kenne den Underpants guy!".

So ist es also gekommen, dass meine Unterhosen im belgischen Internet eine kleine Berühmtheit geworden sind und ich morgen gut ausgestattet meine Reise beginnen kann. Die Macht des Internets sollte man wirklich nie unterschätzen und es ist schön zu sehen, worin ein paar motivierte Belgier ihre Zeit stecken.