Wie die Zeit vergeht
Dielenes einzige Sorge ist, dass sie gar keine Zeit mehr haben wird, alles zu verwirklichen, was sie vorhat. Allein ihr „Mulitkulti-Weihnachten“ hatte es in sich.
Hallo zusammen!
Wie geht’s Euch allen? Weihnachten und Silvester gut überstanden? Bei mir hat sich schon wieder so viel ereignet - wie gesagt, die Zeit hier vergeht wie im Flug! Leider! Denn im Moment gefällt’s mir hier richtig gut! Meine einzige Angst ist, dass ich für all die Sachen, die ich hier noch gerne machen würde, am Ende keine Zeit mehr haben werde! Ich bräuchte einfach viel mehr Urlaub - nicht, weil ich nicht arbeiten wollte, sondern weil ich mir einfach noch so viel anschauen und so viel unternehmen will.
Ich habe die Weihnachtszeit hier super "überstanden". Um ehrlich zu sein, hatte ich die ganze Zeit ein bisschen Angst vor Weihnachten gehabt, weil das eben doch eine ganz besondere Zeit ist, an die so viele Erinnerungen an zu Hause, an die Familie uns so geknüpft sind. Zum Glück habe ich mich unnötig gesorgt, denn Weihnachten dieses Jahr war total schön und mal erfrischend anders als sonst.
Ich habe die Weihnachtstage bei Katharina in Tallinn verbracht. Am 24. bin ich sogar in die Kirche gegangen (leider musste ich alleine gehen, es wollte niemand mit...), und schon das war eine klasse Erfahrung: der Gottesdienst war ganz genau so wie zu Hause! Sogar die Lieder waren genau die gleichen: Ihr Kinderlein kommet, Vom Himmel hoch, Stille Nacht und am Ende natürlich Oh du Fröhliche. Der einzige Unterschied war, dass eben alles auf Estnisch war. Leider konnte ich kein Liedblatt mehr bekommen und so hab ich halt immer die ersten Strophen, deren Text ich auswendig konnte, lauthals auf Deutsch mitgesungen! Es war ein richtig schöner, besinnlicher Gottesdienst, in dem ich meinen Gedanken nachhängen und die Weihnachtsstimmung genießen konnte. Und als ich aus der Kirche kam, schneite es in dicken Flocken - es hat echt alles gepasst!
Aber der Gottesdienst war nur der Anfang, der Abend hatte gerade erst begonnen und als nächstes ging es zum "French Flat", der Wohnung von ein paar französischen Studenten. Dort war ein richtig schönes "Multikulti-Weihnachten" angesagt mit Franzosen, Deutschen, Esten, Belgiern, einem Iren... Alle haben etwas Landestypisches gekocht, so dass wir am Ende ein riesiges Buffet hatten. Es gab reichlich Glühwein (sogar einen speziellen selbstkreierten Estland-Mix mit Vana Tallinn, einem superleckeren Likör) und es stand ein richtiger kleiner Weihnachtsbaum im Wohnzimmer. Zu fortgeschrittener Stunde gab’s eine Schneeballschlacht, die auch gut gegen die Müdigkeit half (ich hatte richtig Muskelkater am nächsten Tag!) und der Ire Tim hat irgendwann seine Gitarre gezückt und gesungen: Wahnsinn! So was hab ich noch nie erlebt: Wir saßen alle mit Gänsehaut da, weil es so schön war - voller Emotionen!
Na ja, der Abend war noch lang, irgendwann haben wir alle gesungen und in der Früh um halb acht war ich dann endlich im Bett... Wie gesagt: Heiligabend mal ganz anders!
Ich bin dann noch die Feiertage über bei Katharina geblieben und wir hatten viel Spaß zusammen. Einmal haben wir uns noch mit Triinu, einer Estin, die gerade ihren EFD in Deutschland macht und über Weihnachten heim nach Tallinn gefahren ist, getroffen. War auch echt nett! Es war ein super Wochenende und dieses Weihnachten werde ich wohl nicht so schnell vergessen, da bin ich mir sicher!
Das nächste Wochenende war ich gleich wieder in Tallinn: Silvester stand vor der Tür. Und wann sonst hat man nochmal die Möglichkeit in der Talliner Altstadt ins neue Jahr zu feiern? Also haben wir zuerst bei Katharina und Jirka (das ist der tschechische Freiwillige, mit dem Katharina zusammenwohnt) ein bisschen gefeiert und sind dann natürlich um Mitternacht ins Zentrum gezogen. War eine super Stimmung und ein schönes Feuerwerk und Katharina konnte sogar noch von Väterchen Frost, dem russischen "Weihnachtsmann", der den Russen in der Neujahrsnacht die Geschenke bringt, eine Mandarine ergattern... Als nächstes ging es zur "Italian Flat", der Wohnung der italienischen Studenten, die allerdings schon total überfüllt war, weswegen wir dann doch lieber eine Kneipe aufsuchten. Irgendwann landeten wir wieder in Katharinas Wohnung, wo wir die Nacht mit leckerem Schokoeis ausklingen ließen. Wir sind hier übrigens schon eine Stunde vor Euch zu Hause in Deutschland ins neue Jahr gerutscht.
Diesen Winter hatte ich hier die einmalige Gelegenheit, Weihnachten zweimal zu feiern, denn bei den orthodoxen Russen ist Weihnachten erst am 6./7. Januar. Das Weihnachtsfest scheint allerdings nicht von großer Bedeutung für die Russen zu sein. Neujahr, beziehungsweise Silvester, wird bei ihnen ganz groß gefeiert; da bekommt man die Geschenke, man trifft sich mit Familie und Freunden. Viele Russen scheinen dann sogar von Silvester bis zum orthodoxen Weihnachtsfest durchzufeiern, so viele Besoffene wie mir in dieser Woche auf der Straße begegnet sind.
Zum orthodoxen Weihnachtsfest waren Peggy und ich bei Natascha eingeladen; ihr Bruder und ein paar Freunde von ihr waren noch da, aber es war eigentlich kein besonderer Abend: wir saßen ganz normal zusammen, haben gegessen und geredet... Hatte aber absolut gar nichts mit Weihnachten, wie ich es kenne, zu tun!
Wir haben jetzt endlich angefangen, zusätzlich zu unserer Arbeit im Waisenhaus im Kindergarten zu arbeiten und auch dort hatte die Weihnachtsfeier in meinen Augen wenig mit Weihnachten gemeinsam: Die Erzieher führten als Teufel und Hexe verkleidet durch die Feier, die Kinder spielten ein paar Spiele, sangen und tanzten. Na ja, aber der Kindergarten ist echt klasse! Ich glaube, da könnten sich sogar viele Kindergärten in Deutschland noch was abgucken! In "unserem" Kindergarten sind etwa 160 Kinder im Alter von 1 bis 6. Es gibt natürlich viele verschiedene nach dem Alter getrennte Gruppen; manche haben sogar spezielle Profile: es gibt eine "Sprachgruppe", in der die russischen Kinder Estnisch lernen; es gibt ein "Musikprofil", ein "Kunstprofil" und in einer Gruppe lernen die Kinder, wie man sich gesund ernährt. Es gibt sogar einen großen Musiksaal, in dem die Kinder Musikunterricht haben, und ein kleines Schwimmbad! Die Kinder sind den ganzen Tag im Kindergarten, das heißt sie essen dort und halten dort ihren Mittagsschlaf.
Ich bin jetzt in einer Gruppe mit Vorschulkindern. Mir gefällt’s dort total gut und da kann ich glaube ich auch sprachlich viel lernen. Ich spiele mit den Kindern, ziehe die Schlitten, wenn wir rausgehen… Letzte Woche hab ich ihnen beim Skilanglauf zugeschaut - war echt lustig anzusehen, weil sie natürlich alle drei Schritte hingefallen sind. Die Kinder in unserer Gruppe im Waisenhaus hab ich sehr liebgewonnen. Ich vermisse sie richtig, wenn ich sie ein paar Tage nicht sehe. Gestern haben wir Obstsalat mit ihnen gemacht und ich glaube, die Kinder haben zum ersten Mal Kiwi gegessen. Krass, oder?
Vor kurzem waren wir mit ein paar von ihnen am Strand Schlitten fahren. Hier gibt es ja keine Berge und so muss man sich halt mit dem kleinen Hügel zum Meer hin begnügen Man muss nur aufpassen, dass man rechtzeitig bremst und nicht im Wasser landet...
Letztes Wochenende war ich dann mal wieder unterwegs: Ich bin ins Camphill nahe Kohila, südlich von Tallinn, gefahren und habe andere Freiwillige besucht (Camphills sind anthroposophische Einrichtungen: große Bauernhöfe irgendwo in der Natur mit verschiedenen Werkstätten, in denen Behinderte arbeiten). Ich muss schon sagen, die Freiwilligen dort führen ein total anderes Leben als wir hier: früh um 5 Uhr aufstehen und Kühe melken, Käse machen, und was weiß ich nicht noch alles. Es gibt eine Weberei, einen Kerzenworkshop... Echt interessant! Und schon die Busfahrt hin war lustig: Ich habe wie immer aus dem Fenster geschaut, erst in die wunderschöne weiße Winterlandschaft, der zugefrorene See, die weißen Wälder, dann die Plattenbausiedlung der Nachbarstadt, bin irgendwelchen Gedanken nachgehangen, als der Busfahrer plötzlich das Radio anstellte und mich jäh aus meinen Tagträumereien riss: Deutscher Schlager! Echt seltsam, dass da in jenem Moment ganz ohne Bierzeltkulisse zu hören. Aber genau diese Kleinigkeiten sind es, die das Leben hier so interessant machen.
Auf der Rückfahrt durfte ich dann das silbernschimmende Meer im Vollmondlicht bestaunen - da wird doch das stundenlange Sitzen im engen Bus richtig erträglich! Als ich heimkam waren gerade Jirka und Vera, die zwei Freiwilligen aus Tschechien, zu Besuch.
Ihr seht, ich habe hier volles Programm! Von Langeweile ist im Moment keine Spur. Und übermorgen geht’s ab nach Riga.
Okay, das soll’s von mir für heute gewesen. Nächstes Mal werd ich dann wohl einiges von Riga zu erzählen haben, freu mich schon total drauf!
Macht’s alle gut und lasst von Euch hören!
Eure Lene