Wie alles begann...
Servus zusammen!
(Fun Fact: Eigentlich entspricht „Bună!“ im Rumänischen dem deutschen „Hallo!“. Hier in Transsilvanien ist allerdings aufgrund des hohen Anteils ungarischsprachiger Bürger die vertraut klingende Begrüßung und Verabschiedung „Servus!“ geläufiger.)
Im letzten Artikel habe ich lediglich versucht, die allgemeine Situation zu erfassen, hier kommt nun als Nachtrag was ich - zumindest ausschnittsweise - in den letzten vier Wochen konkret alles erlebt habe.
Gleich am Tag meiner Ankunft am Montag vor vier Wochen durften wir bei einem Abendessen mit ein paar neuen Arbeitskollegen traditionelle rumänische Kost kennenlernen, inklusive des köstlichen Nachtischs Papanaş, wonach wir glücklich über die Freundlichkeit der Rumänen, mehr als gut gesättigt und erschlagen von all den Eindrücken in unserem neuen Zuhause zu Bett taumelten. Die folgenden Tage habe ich als Chaos organisatorischer Dinge und einer Fülle von Bekanntschaften und neuer Informationen in Erinnerung. Neben zig verschiedenen Meetings mit unseren Mentoren, den Supervisors unserer Projekte und dem Präsidenten der Fundaţia Transilvana Alpha höchstpersönlich, lernten wir das Gebäude sowie Teile der Stadt kennen und durften gleich am Mittwoch in unseren zukünftigen Arbeitsalltag mit den Youngsters einsteigen.
Zum Glück ist die Arbeit in der Foundation wirklich so vielseitig und kreativ wie ich es mir zuvor erhofft hatte, weshalb Langeweile bislang ein echtes Fremdwort für mich ist. Ein gewöhnlicher Tagesablauf meiner Gruppe im Projekt ATRIUM dauert von neun Uhr morgens bis etwa mittags um zwei und besteht aus unterschiedlichen Aktivitäten wie dem wöchentlichen Ausflug in den Zoo, Gesellschaftsspielen, Bastelarbeiten, Kochen oder Unterrichtseinheiten zu verschieden Themen (beispielsweise „soziale Kontakte“ oder „Familienleben“), die die Unabhängigkeit der jungen Erwachsenen in Alltag und Arbeitsleben schulen sollen. Wir Neulinge sind hauptsächlich als Begleitung dabei, helfen bei Bedarf mit und schließen uns im Übrigen den Tätigkeiten der Gruppe an, was ich, besonders beim Basteln und in den Kunststunden, natürlich sehr genieße. Zu den von zwei Psychologen und anderen Angestellten beziehungsweise Freiwilligen der Organisation geleiteten Kursen kommen täglich nun noch ein bis zwei Stunden, die Ellen und ich mit Programm unserer Wahl füllen dürfen. Wir versuchen die Zeit möglichst ergänzend zur übrigen Beschäftigung der Youngsters zu gestalten, was sich in der Vorbereitung manchmal als schwierig herausstellt, da sich der „Stundenplan“ regelmäßig unerwartet verändert und wir schon des Öfteren aufgrund eines spontanen Meetings der Angestellten oder wetterbedingt abgesagter Aktivitäten zusätzliche Hohlstunden zu überbrücken hatten. Immerhin ist die Gruppe fast immer mit Begeisterung dabei, egal ob es um Englischvokabeln, Maskenbasteln für Halloween, draußen Blättersammeln und -pressen oder Pantomime-Spiele geht und wir werden in unserem Versuch eines „Unterricht“-Angebots von allen Seiten stets positiv bestärkt.
Auch die Freizeit meiner fünfköpfigen Wohngemeinschaft gestaltet sich sehr abwechslungsreich und neben unseren eigenen Erkundungsgängen, Besuchen in Kaffees, Restaurants oder dem teils englischsprachigen Kino, geben sich die lieben Rumänen unglaublich große Mühe, uns zu einer erlebnisreichen Zeit zu verhelfen. So machten wir gleich zu Ende der zweiten Woche mit unserem Mentor, der Freiwilligenkoordinatorin der Foundation und einer Kollegin aus Elisas und Julias Projekt PERSEVERENTA einen Tagesausflug nach Brașov (deutsch: Kronstadt). Die Stadt liegt umgeben von den südlichen Karpaten malerisch direkt am Fuße des Tâmpa (967 m Höhe, Seilbahn), besitzt etwa 250.000 Einwohner und ist historisch überaus interessant, da sie seit ihrer Gründung durch die Ritterbrüder des Deutschen Ordens im frühen 13. Jahrhundert immer wieder im Einfluss unterschiedlicher Völker, politischer Systeme und Religionen stand. Aufgrund der Altstadt, in der einem übrigens außergewöhnlich oft die deutsche Sprache begegnet, und der Seilbahn auf den Hausberg Tâmpa, von dessen Spitze aus man einen gigantischen Blick über das Tal hat, fühlte ich mich ein wenig an Heidelberg erinnert, selbst wenn Braşov eigentlich schon den Spitznamen das Rumänische Salzburg trägt. Trotz winterlicher Temperaturen verbrachten wir einen wunderschönen Tag dort und durften abends erneut ein geniales traditionelles Restaurant ausprobieren.
Dass das Essen in Rumänien einen besonders hohen Stellenwert einnimmt, weshalb angeblich die erste Frage aller Eltern an ihre Kinder „Hast du gegessen?“ noch vor „Geht es dir gut?“ ist, zeigt sich uns immer wieder, so zum Beispiel auch auf dem Wein- und Most-Festival von Targu Mureș, auf das wir letztes Wochenende von unseren Kollegen mitgenommen wurden. Neben leckeren Spezialitäten, original ungarischem Gulasch, Baumkuchen und einer Art Glühwein, kamen wir dort in den Genuss volkstümlich rumänisch-ungarischer Musik, sowie einer aktuell populären ukrainischen Band namens „Carla´s Dream“ - ich weiß nicht, ob sie auch schon internationale Bekanntheit erlangt hat, hier in Rumänien kennt sie jedenfalls jeder.
Ein weiteres Großereignis der letzten Zeit stellte für uns ein Flashmob dar, den die jungen Erwachsenen von ATRIUM zusammen mit einer ganzen Menge an Schülern aus Targu Mureș sowie uns internationalen Freiwilligen als besonderes Projekt der Fundaţia Transilvana einstudierten, um damit auf die Arbeit der Foundation aufmerksam zu machen. Das Training war für Ellen, Julia, Elisa, João und mich ehrlich gesagt immer ein etwas anstrengender Zusatztermin, da wir uns jede Woche ohne sichtbaren Fortschritt mit den Hip-Hop- Tanzschritten abmühten, daher waren wir alle erleichtert als die Aufführung letzten Montag im Stadtzentrum doch recht anständig verlief und sogar Spaß machte. Nur ein paar Tage später fielen Ellen und ich allerdings aus allen Wolken, da sich herausstellte, dass der Flashmob letzte und kommende Woche noch mehrmals an unterschiedlichen Orten gezeigt wird und wir in einem ungarisch-sprachigen Dorf auf einmal wieder tanzen sollten, obwohl wir nur erwartet hatten, der Aufführung der dortigen Schule zuzuschauen.
Abgesehen von derartigen Kommunikationsschwierigkeiten wird es glücklicherweise täglich einfacher, sich mit den Kollegen und unseren Youngsters zu verständigen. Selbstverständlich klappt es nach den wenigen Terminen Sprachkurs noch nicht gerade reibungslos mit dem Rumänischen und ich hätte nicht erwartet, wie schwierig es ist, einer Gruppe von Jugendlichen, die teils Ungarisch, teils Rumänisch als Muttersprache haben, ein unkompliziertes Spiel oder eine Bastelarbeit zu erklären. Eigentlich wäre es wirklich sinnvoll, zusätzlich auch Ungarisch zu beherrschen, doch zwei neue völlig unterschiedliche Sprachen parallel zu erlernen (noch dazu über den Umweg des Englischen), überfordert mich momentan dann doch etwas, weshalb es vorerst wohl bei den paar Brocken bleibt, die wir im Umgang mit den ungarischen Rumänen aufschnappen.
Nichtsdestotrotz lernen wir ständig von all den Herausforderungen – beispielsweise Unterhaltungen ohne Sprachkenntnisse zu führen - und unerwarteten Situationen, die uns im Alltag begegnen. Wir gewöhnen uns auch immer mehr an unser neues Zuhause, den kleinen Raum der ATRIUM-Gruppe (für fünfzehn Personen doch recht klein, aber dennoch gemütlich), in dem es nach einigen Stunden oft gelinde gesagt etwas müffelt, die Pilgereisen zum Großeinkauf bei Kaufland und die kulturelle Umstellung. Ich hatte, wie gesagt, tatsächlich einen größeren Kulturschock bezüglich der Unterschiede zwischen Rumänien und Deutschland erwartet als er sich bislang anfühlt. Stattdessen stellen wir oft zu Hause fest, dass auch die österreichischen, deutschen und portugiesischen Gepflogenheiten überraschend stark voneinander abweichen, was angeregte Diskussionen („Was, das kennt ihr nicht??“), verwirrte "What?"´s und manchmal leichte Spannungen hervorrufen kann, etwa wenn fünf hungrige Leute in der Küche stehen und unterschiedliche Auffassungen zum Kochen vertreten.
Zu unserem ohnehin schon gut ausgefüllten Alltag gesellte sich letzte Woche übrigens noch ein zusätzliches Mitglied, als Julia auf dem Heimweg einen ausgesetzten Hundewelpen fand und wir es nicht übers Herz brachten, den kleinen Kerl einfach wieder seinem Schicksal zu überlassen. So wohnte unser goldiger haariger Freund einige Tage in unserer Küche, wo er in Zusammenarbeit mit dem kaputten Wasserkocher und dem tropfenden Kühlschrank Chaos und nasse Füße verbreitete, wenn man dumm genug war, sich auf Socken in sein „Revier“ zu begeben, bis wir dank einer Facebookseite für Straßenhunde eine neue Besitzerin für ihn organisieren konnten.
Während die Haustierhaltung also schon einmal nicht zu unseren Spezialgebieten gehört, freuen wir uns nach einem entspannten Wochenende mit Wellnessbad und selbstgekochtem Curry nun umso mehr auf unseren spanischen Mitbewohner, der Montagnacht ankommen wird und sicher noch ein wenig mehr Multikulturalismus in die Wohngemeinschaft einbringen wird.
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