Wenn Sachen nicht immer zusammen passen
Wenn verschieden Mentalitäten aufeinander prallen – davon berichtet Christoph Maurer aus einem internationalen Jugendcamp in Deutschland.
Wenn verschieden Mentalitäten aufeinander prallen – davon berichtet Christoph Maurer aus einem internationalen Jugendcamp in Deutschland.
Es gibt Sachen, die sehr gut zusammenpassen, Bier und Pizza zum Beispiel. Und es gibt Sachen, die passen nicht so richtig zusammen. Auf den ersten Blick zumindest nicht, zum Beispiel Feuer und Eis oder Jugendliche aus ganz Europa, aus Island und aus Italien, aus Österreich und Bulgarien. Und wir Deutsche mittendrin, bei uns war ja das Camp. Mit 70 jungen Menschen, je zehn aus einem Land und zwei Team-Leitern waren wir alle zusammen in Mammendorf, einem Dorf zwischen München und Augsburg.
Mammendorf verfügt über einen Campingplatz für Jugendgruppen mit einem angeschlossenen Freibad. Und das schien uns ein sinnvoller Ort für ein Zusammentreffen solch unterschiedlicher Kulturen. Drei Rettungsorganisationen (ICE SAR, die Österreichische Wasser-Rettung und die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft, LV Bayern) und noch zwei Schwimm- und Sportverbände aus Italien und Bulgarien.
Unser erstes Wochenende galt also Beschnuppern, teilweise sogar innerhalb der Nationen. So hatten sich weder die Österreicher noch die Isländer vorher untereinander gekannt. Unterstützt von Sprachanimationen versuchten wir erste Schritte aufeinander zuzugehen. Aber merk Dir mal „Guten Tag“ in vier anderen Sprachen... Camp-Sprache war also Englisch, was hin und wieder erstaunlich gut funktionierte. Dank der geringen Verbreitung isländisch synchronisierter Filme (gibt’s dort nur für Vorschulkinder) sprechen die Isländer ein sehr schönes Englisch.
Bei den Italienern war es eher abhängig, um was es ging. Flirten konnten die Jungs prima, hatten wir etwas zu arbeiten, verstanden sie leider kein Wort. Und da gingen die Konflikte los. Als eine öffentlichkeitswirksame Maßnahme dachten wir als Wasserretter an eine Badeparty im angrenzenden Freibad. Plan war, dass alle Nationen mitmachten und alle Besucher völlig hin und weg sein sollten von unserer Kooperation.
Aus terminlichen Gründen war die Party dann aber einige Tage zu früh. Die ganze Truppe war noch nicht so weit, dass wir richtig hätten zusammen arbeiten können. Und so bekamen wir mittags erstmal richtig italienische Spaghetti. Und das bedeutet zum einen, dass sie wunderbar „al dente“ sind. Zum anderen, dass sie eine halbe Stunde zu spät auf dem Tisch stehen.
Hätten wir nicht die anderen Wasserretter gehabt, wären wir völlig untergegangen: Arbeit für uns ohne Ende (im Urlaub) und nur ganz wenige helfende Hände in Sicht. Die Stimmung war kurz vor dem Überkochen. Der Nord-Süd-Konflikt spitzte sich dramatisch zu, was auch in den abendlichen Runden einen Ausdruck fand.
Und dann kam der Tag in den Bergen. Ursprünglich war er geplant mit einer dreistündigen Wanderung durch das Höllbachtal und Abseilen von einem Felsen auf der Alpspitze. Nach Zweifeln der Südländer, ob das alles in der Hitze zu bewältigen sei, einigten wir uns zähneknirschend auf eine ganz banale Wanderung. Doch auch die hatte es in sich. Auf dem Weg nach oben gab es keine Probleme, aber der Weg nach unten war gepflastert mit Zwischenfällen. Zum Schluss durften wir noch ein Mädchen aus unserer Gruppe eine Dreiviertelstunde nach unten helfen. Ihr hatten einfach die Beine versagt, nichts ging mehr. Fix und fertig kamen wir im Camp an, aber irgendwie stolz, dass alle dabei gewesen waren.
Jeder war oben, alle hatten das gleiche Gischtwasser der Klamm abbekommen, alle hatten die gleichen Stufen genommen, alle hatten gleich geschwitzt. Das Klima wurde besser. Am nächsten Abend hatten wir Snacks vorbereitet, jedes Land eine Spezialität aus seiner Küche. Und dann kam der für mich schönste Moment des Camps. Die Italiener brauchten Glut für ihren Grill (Bruchetta vom Feinsten!) und für die eine Schaufel Glut arbeiteten drei Nationen zusammen. Das war das, was ich mir vorgestellt hatte. Darauf hatte ich fünf Tage gewartet. Das waren helfende Hände! Vergessen war der Stress der letzten Tage, die Schwierigkeiten mit der Kommunikation, die Zweifel, wie sinnvoll der ganze Spaß eigentlich sei. Der Abend war unser Abend! Wir tanzten, das Feuer wurde höher und höher, isländische Trinklieder mischten sich mit bulgarischer Folklore. Und nach dem harten Programm der ersten Tage ging jetzt, in der zweiten Hälfte des Lagers, richtig der Spaß ab. Wir kannten uns, wir hatten sehr viele Gemeinsamkeiten festgestellt und über die Unterschiede gelacht. Zum Beispiel war es für uns sehr nervig, dass wir arbeiteten und daneben Italiener rumsaßen und Däumchen drehten. Später erklärten sie uns, dass es für sie ganz normal sei, dass einer arbeitet und die anderen zuschauen. Ihre Austausch-Programme waren meist eher so, dass sie bis abends am Strand lagen und dann für eine Stunde in irgendein Museum gingen. Dass unser Programm sie da hoffnungslos überrumpelt hatte, war uns dann auch klar.
Der bei uns wohl bekannte Brauch des Fahnenklauens bei Camps ist in Bulgarien völlig unbekannt. Und die Nacht, als einer der Österreicher die an sich witzige Idee hatte, die bulgarische Flagge vom Zelt zu klauen, war für einige der Beraubten der blanke Horror. Chrisztu saß die ganze Nacht am Feuer und malte sich in blutigen Farben aus, was böse Menschen wohl mit der Flagge alles anstellen könnten (die in den letzten hundert Jahren wohl noch nie irgendwo von irgendwem gestohlen worden sei...). Mit Tränen in den Augen erklärte er mir, was die Farben bedeuten und warum so viel Emotionen in dem Stück Stoff stecke. Hm, ich habe keine Ahnung, was schwarz-rot-gold bedeuten. Als er am nächsten Tag im Deutschen Museum die Kriegsspielsachen sah und realisierte, dass die nur gebaut werden wegen solchen Fahnenehrengeschichten, wurde er ziemlich ruhig und der Geschichtsstudent in ihm arbeitete sichtlich.
Für mich selber hat das Camp zwei sehr wichtige Komponenten gehabt. Bedingt durch meinen Beruf und das Studium war ich recht schnell der „First-Aid-Guy“ (Erste-Hilfe-Kerl). Und selten hatte ich so viel Erfolg mit so wenig Mitteln. Improvisation ist alles. Und dann kam auch die Isländerin, die gleichzeitig Sonnenbrand, Sonnenstich und Hitzeerschöpfung hatte, wieder auf die Beine. Als unser Koch sich den Fuß an einem Zelt-Hering aufriss, war ich schon so an die Aufgabe gewöhnt, dass Dreiecktuch und Untersuchungshandschuhe gleich in meiner Hosentasche steckten.
Noch viel wichtiger aber ist für mich die Bekanntschaft mit den Isländern gewesen. Einen Großteil meiner freien Zeit verbrachte ich mit dem Erlernen der ungewohnten Laute und schönen Worte, die diese Sprache bietet. Wir werden wohl einen Isländisch-Kurs anbieten müssen, der auf Lagerfeuer, Bier und Lippenlesen basiert. Und sobald meine Zwischenprüfung fürs Studium bestanden ist, werde ich wohl für ein Jahr in den hohen Norden gehen müssen. Und die eineinhalb Jahre bis dahin werd ich mit einer Romantifizierung meines neuen Traumes und dem Erlernen dieser wundervollen Sprache verbringen.
Thakke Thier (das heißt „Danke Dir“. Ratet mal in welcher Sprache...)