Weltbeergelee
Fünf Monate, zwei Mal pro Woche liefen ein Syrer und eine deutsche Freiwillige abends von ihrem gemeinsamen Sprachunterricht zur Straßenbahnhaltestelle. Doch bevor sie den Heimweg antreten, haben sie noch eine knappe halbe Stunde um zu reden. Über dies, über das, über jenes. Über das Gefühl sich fremd zu fühlen.
Fünf Monate, zwei Mal pro Woche liefen ein Syrer und eine deutsche Freiwillige abends von ihrem gemeinsamen Sprachunterricht zur Straßenbahnhaltestelle um dann mit der Straßenbahn in zwei verschiedene Richtungen „nach Hause“ zu fahren. Doch bevor sie den Heimweg per Straßenbahn antreten, haben sie noch eine knappe halbe Stunde um zu reden. Über dies, über das, über jenes. Über das Gefühl sich fremd zu fühlen. Wie es ist keine wirkliche Heimat mehr zu haben. Von Syrien über Belgien über Saudi-Arabien und den Irak…Fremde überall…
Der Titel ist übrigens die Wortkreation eines belgischen Freiwilligen, der bald nach Berlin gehen wird. Ob er sich da wohl auch fremd fühlen wird? Vermutlich…
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Ein Weg
Mit Müllbeuteln verstellt
In einem Viertel ach so „bourge“
Doch auch die heilste Welt hat manchmal Flecken
Ein Weg
Zwei Personen
Einsam und doch gemeinsam- irgendwie
Einander begleitend
Den Weg beschreitend
In kleinen Schritten gleitend
Gleitend?
Nur eine euphemistische Formulierung
Für
Von Müdigkeit erschwerte Schritte
Sowie von Kälte
„Die Blätter, die gefallenen, sind wunderschön
Wunderschönes Laube
Doch eigentlich trügt dieser Glaube
Denn das Laub ist tot
Mit jedem Zertreten wird es mehr zu Staube
Ja, eigentlich laufen wir durch Leichenteile“
Die Worte einer dieser Personen
Die der Protagonist dieses Textes sein wird-
Fantasievoll und poetisch umgeformt für ebendiesen Text
Ebendiese Person träumt
Den Traum vom Frieden
Geben soll es den scheinbar hier
Irgendwo auf über unter neben dem
Baumleichenteil- und Müllbeutel belegten Weg
Krieg tobt hier nicht
Keine Messer, keine Pistolen, keine Bomben,
Ist zumindest nicht Teil des Alltags
Sticht ein Messer zu
Wird eine Pistole abgedrückt
Explodiert eine Bombe
Kann man es zumindest in den Nachrichten nachlesen
Er
Grammatikalisch richtig wäre natürlich „Sie“ wegen „Person“
Er
Findet hier Frieden
Doch
Es ist nur ein scheinbarer Frieden
Der Krieg ist nicht um Ihn
Sondern
In Ihm
Er ist ein Fremdkörper
In dieser scheinbar heilen Welt
Und ebendieses Gefühl
Ein Fremdkörper zu sein
Schnappt zu, packt, ergreift Ihn
Spielt noch ein bisschen mit Ihm
Gaukelt Ihm vor
Es gäbe realistische Möglichkeiten
Sich
Nicht wie ein Fremdkörper zu fühlen
In der heilen Welt
Während in Seinem Land Krieg herrscht
Und Seine Familie lebt
Ideen gäbe es
Wie Er sich weniger als Fremdkörper fühlen könnte
So könnte Er doch ein Gebäck aus der Heimat…
Heimat?
Netter Versuch, aber eine Heimat ist es noch nicht
So könnte Er das Gebäck in ein anderes fremdes Land importieren
Dort stimmten immerhin das Wetter und die Bezahlung
Damit eine Marktlücke schließen
Quasi
Die Familie mitnehmen und alles wird gut werden
Und den Menschen des anderen fernen Landes
In den Genuss zu bringen
Der zuckrigen eisengebackenen Kost
Problematisch ist allerdings
Dass Er dieses Gebäck gar nicht mag
Eine weitere
Etwas naheliegendere Idee
Wäre es natürlich
Wenn Er sich in der heilen Welt eine Arbeit suchte
Die Sprache spricht Er ja
Auch wenn Er sie nur anwendet
Um mit der anderen Person
Über Alles und Nichts zu diskutieren
Doch im Land des scheinbaren Friedens
Muss man ein menschlicher Reißwolf sein
Oder noch besser eine Schreddermaschine
Die jeglichen Papierkram zerkleinern kann
Wobei zerkleinert ist der Nutzen des Papierkrams gering
Ausgefüllt, fristgerecht eingereicht und anerkannt
Muss er sein
Aber einen gutbezahlten Job
Findet selbst ein wirklicher Einheimischer des Lands des scheinbaren Friedens kaum
Um einen schützenden Kokon
Um Ihn
Den Fremdkörper
Zu spinnen
Hilft es natürlich sich seine Nahsten in das fremde Land zu holen
Sie vor dem äußeren Krieg retten
Um
Sie in einen noch schlimmeren inneren
Ähnlich dem Seinigen
Hineinzuziehen
Denn im Land des Krieges war es ja doch nicht so gefährlich für Frauen und Kinder
Nur für Männer
Christlich glaubende Männer
Im fremden Land weint die Frau, die Kleine spielt allein
Will mit anderen Kindern sein
Ein vertrautes Heim
Schließlich
Zieht Er einen Schlussstrich unter das Fremdsein
Er will nun endlich seinen inneren Krieg gewinnen
Er wird zurückgehen
Um endlich die Vertrautheit zurückzugewinnen
Und die Fremde zu verlieren
Vielleicht auch Sein Leben
Ins Seinem vertrauten Land
Welches uns ach so fremd erscheint
Uns?
Wer ist uns?
Uns, die Westeuropäer
Bewohner der heilen Welt
Die das fremde Land nur aus den Nachrichten kennen
In diesem Land
Erschallen
Minütlich Bomben
Doch die Menschen tanzen, singen, springen
Versteckt haben sie sich lange genug
Verstecken half nicht
Jetzt tanzen sie, denn tanzen macht doch froher als Verstecken
Ja, und sterben, das werden sie doch sowieso
Heute, morgen oder doch irgendwann im hohen Alter
Und sie leben jeden Tag
Als ob es ihr letzter wäre
Und das ist im Anbetracht der Tatsachen gar nicht so unrealistisch
Und Er, der der Fremde entfloh
Findet nun Nähe
Aber ist auch wieder fremd
Weil alles so anders ist
In diesem Land
Was einst so vertraut war
Eine Weile bleibt Er
Dann zieht Er weiter
Macht einen kleinen Zwischenstopp im Land der heilen Welt
Tauscht Neuigkeiten aus
Mit der anderen Person
Ja die, mit der Er diesen Weg entlanglief
Ebendiesen mit den Müllsäcken und den toten Blättern
Die Person ist eine Sie
Mehr noch ein Ich
Ja ehrlich gesagt Verfasserin dieses Textes
Er erzählt nun Ihr
Also Mir
Er werde weiterziehen
In ein Land
In dem seit vielen Jahren einer der schlimmsten Kriege der Erde tobt
Um sich weniger Fremd zu fühlen
Moment, weniger fremd?
Fremd fühlt er sich fast schon überall
Nein, es ist eher um sich weniger unnütz zu fühlen
Eine Arbeit fände Er leicht
In einem bestimmten Teil dieses Landes
Frieden sei da auch
Ich höre diese Geschichten
Reflektiere über das Fremdsein
An dem Tag
An dem Wir das Laub durchquerten
Fühlte Ich mich fremd
Vielleicht nicht so sehr wie Er
Dennoch fremd
Doch
Langsam, langsam, langsam
Begann Ich
Mich nicht mehr als ein Fremdkörper zu fühlen
Vielleicht noch ein kleines bisschen
Denn umgeben von
Liebevollen Küsschen, unterstützenden Händen, aufrichtigen Lächeln
Fragt sich die Person
Also Ich
Die einst ein Fremdkörper war
Wie Sie dieses Land je wieder verlassen soll
Ohne sich wie ein Fremdkörper in ihrem Heimatland zu fühlen
Geteilte Fremdheit ist halbe Fremdheit
Und wird zu einem Rettungsring
Für die, die sonst im Weltbeergelee ertränken