Warum "quality press" eben doch keine Qualitätspresse ist - über die Zeitungslandschaft in Queens Homeland
Der vorliegende Artikel beleuchtet die Presselandschaft in Großbritannien.
Für mein EVS war ich auf einigen Seminaren, dort haben wir kleine Spiele gespielt, um uns besser kennenzulernen. Ein Klassiker ist die Vorstellung durch einen Gegenstand: man wählt einen typischen Gegenstand des täglichen Lebens aus (Portemonnaie, Schlüsselbund, Handy, Kalender etc.), der einen stellvertretend repräsentieren soll. In der Regel wähle ich meinen Kalender (ein schwarzes Moleskine- Büchlein) oder eine Zeitung. Ich bin ein passionierter Zeitungsleser, kann einen Sonntag komplett in einem Sessel zeitungslesend verbringen. Am Donnerstag habe ich mir den Nachmittag freigehalten – schließlich ist „Die Zeit“ erschienen. In England angekommen musste ich feststellen, dass die britische Presse-Landschaft enttäuschend ist, wenngleich in keinem anderen Land der Welt soviel Zeitung gelesen wird, wie in Queens Homeland. Es gibt rund 150 Tageszeitungen und mehr als 1000 Wochenblätter – die Auswahl ist also groß. Wer nach London reist, wird die Stille in der Tube genießen können. Woran liegt das? Ich habe vier Gründe ausfindig machen können. Als erstes muss man natürlich anmerken, dass viele Engländer auf dem Weg zur Arbeit alleine sind und sie deshalb auch keinen Gesprächspartner haben. Durch die inflationäre Verbreitung von Smartphones, Tablets etc. konzentriert sich ein Teil der Londoner auf ihre Geräte, der andere Teil ist vielleicht einfach zu höflich, um stundenlange Gespräche in der Tube zu führen. Die Majorität der Tube- Nutzer liest aber – und zwar Zeitung. Es ist ein faszinierendes Phänomen, das morgens und abends gefühlt ganz London in der Tube sitzt und die „Metro“, eine gratis Tageszeitung mit dem neusten Klatsch aus und um London, liest.
Neben der „Metro“ gibt es noch weitere populäre Zeitungen, welche unter der Kategorie „popular press“ zusammengefasst werden können. Dazu zählt etwa die auch in Deutschland bekannte „Sun“ oder der „Daily Mirror“. Beide Blätter zählen gleichzeitig zur „yellow press“, berichten also über Klatsch und Tratsch. Über politisch oder wirtschaftlich relevante Themen wird in der Regel gar nicht, oder nur sehr stark verkürzt oder verfremdet berichtet.
Dieser niveaulosen Presse stehen die Blätter der „quality Press“ entgegen. Dazu zählen u.a. die „Times“ und der „Daily Telegraph“. Doch auch diese beiden Blätter sind der „quality press“ sind keinesfalls vergleichbar mit der deutschen „quality press“ wie etwa die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ oder die „Süddeutsche Zeitung“. Von den Frankfurter bzw. Münchener Verlagshäusern ist man ausführliche Recherchen, Analysen und Kommentare gewohnt. Auch die „Times“ behandelt politische Themen, doch sind diese in der Regel wesentlich kürzer und oberflächlicher.
Eine englische Zeitung möchte ich gerne positiv hervorheben: Die lachsfarbene „Financial Times“. Diese ist zwar eine der teuren Zeitungen, hat dafür aber eine sehr ausführliche wirtschaftspolitische Berichterstattung. In Deutschland 2013 eingestellt, ist die „FT“ hier in England ein Muss für jeden Banker oder Börsianer. Das Hauptstadtbüro liegt an der Themse, direkt in unmittelbarer Nähe zur St. Pauls Cathedral, der „London Stock Exchange“ und der „Tate Gallery“. Von hier aus werden seit 1888 täglich rund 2,2 Leser mit den neusten Informationen zu Wirtschaft und (Wirtschafts-) Politik versorgt.
Der bei der englischen Ausgabe von Wikipedia unzählige Seiten lange Artikel über einen gewaltigen Skandal in der britischen Medienlandschaft trägt den harmlosen und etwas sperrigen Namen „News international phone hacking scandal“. Mit dem Verweis auf einen der großen investigativen Journalistischen Cops des letzten Jahrhunderts ist dieser Skandal auch unter dem Namen „Murdochgate“ bekannt geworden. Rupert Murdoch ist ein freundlicher älterer Mann, in Melbourne 1931 geboren und lebt jetzt in den Staaten. Studiert hat er in Oxford, dort hat er sogar Interesse an der „Labour Party“ gezeigt, während seine Medien heute alle eher konservativ geprägt sind. Seine Frau hat er in jungen Jahren in einer seinen Zeitungen auf einem Photo entdeckt – und dann nach einem Date gefragt.
Mit 22 Jahren musste er aufgrund eines Sterbefalles England verlassen und das väterliche Verlagsgeschäft übernehmen. Doch nun ging es für Murdoch richtig bergauf: Er kaufte verschiedenste lokale Zeitungen hinzu, sein Medienimperium wuchs. Jahre später, mit der Gründung des Bezahlsenders Sky 1989, stieg er mit seiner „News Corporation“ in das TV-Geschäft ein.
Insgesamt arbeiten heute rund 51.000 für die „News Corporation“. Murdoch hält darüber Mehrheitsbeteiligungen an nahezu allen großen englischsprachigen Medien. So etwa die beiden großen britischen Zeitungen „Sun“ und „The Times“, das renommierte „Wall Street Journal“ mit einer Auflage von rund 2,4 Ausgaben gehört seit 2007 zum Imperium Rupert Murdoch. Auch der konservative TV-Sender „Fox“ gehört dazu.
Traurige Berühmtheit hat Murdoch durch einen Abhörskandal 2005 bis 2007 erlangt: Rund 800 Politiker, Schauspieler sowie einige Mitglieder der königlichen Familie Windsor und Hinterbliebene von Opfern der Londoner Anschläge 2005 wurden abgehört. Sogar vor der Manipulation der Mailbox eines Teenagers-Mord-
Opfer, sodass die Eltern Hoffnung auf Rettung hegten, schreckten die Journalisten nicht zurück.
Die Folge war, dass neun führende Redakteure der „Sun“ verhaftet worden, ein hoher Beamter des Scotland Yards seinen Rücktritt erklärte und Murdoch die „News of the World“, die auflagenstärkste britische Sonntagszeitung, nach 168 Jahren 2011 eingestellt. Entschuldigend führte ein Pressesprecher an, dass zumindest die Girls in „The Sun“ den nackten Tatsachen entsprächen... .
Die „Times“ ist erst seit einigen Jahren trivial geprägt, Murdoch übernahm das ehrwürdige Blatt 1981 und führte eine Modernisierung durch: zunächst gab Murdoch den traditionellen Standort in der Londoner Innenstadt in der Nähe der „London Stock Exchange“ und der „St. Pauls Cathedral“ auf und zog in ein Londoner Industriegebiet, weil die Mieten dort billiger sind und hier moderne Druckpressen zum Einsatz kommen können. Gleichzeitig wurden rund 5000 Angestellte entlassen und eine drastische Preissenkung durchgeführt. Diesen Verlust der Einnahmen konnte der Umzug und die Massenentlassung alleine nicht wettmachen, statt ausführliche Hintergrundrecherchen prägen heute vor allem viele Photos, ein hoher Farbeinsatz und knappe Sensationsberichte das Blatt. Wirtschaftlich gesehen zeigten diese Maßnahmen Erfolg: Die Auflage ist mit aktuell rund 400 000 Exemplaren hoch. Heute spiegelt die „Times“ in politischen Kommentaren oft Murdochs persönliche Meinung wieder.
Die „Sun“ wird auch als „Red-Press“ bezeichnet, die Überschriften ihrer vermeintlichen Sensationen sind in einem aggressiven Rot-Ton gehalten – und einige ihrer Schlagzeilen sind in die Zeitungsgeschichte eingegangen. Einen Artikel über die im Irak eingesetzten britischen Soldaten trug die Überschrift „Our Boys“, die Sun unterstützt den Irak-Krieg in vollem Umfang. Im April 2005, zur Wahl des deutschen Kardinals Ratzinger zum Papst titelte „The Sun“ „From Hitler Youth to Papa Ratzi“ - dabei war Jospeh Ratzinger 1945 gerade einmal 18 Jahre alt. Diese kleine Auswahl an reißerischen Überschriften verdeutlicht den Charakter dieser Boulevardzeitung: Es geht ihr nicht um seriösen, gehaltvollen Journalismus, sondern vielmehr – um eine deutsche Band zu zitieren – um „Angst, Hass, Titten und den Wetterbericht“.
Neben den konservativen Zeitungen wie „Times“ oder die „Dailys“ („Daily Mail“, „Daily Express“, „Daily Star“) gibt es auch links bis liberale Zeitungen wie etwa der „The Guardian“ oder „The Independent“. Diese beiden Blätter vertreten auch, neben der liberalen „FT“, die höchsten Ansprüche.
Die „FAZ“ wirbt in Deutschland mit dem Werbespruch „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“. Sicherlich kann man trefflich darüber streiten, wie klug der durchschnittliche Leser einer bestimmten Zeitung ist, doch die Tendenz mag stimmen. Je höher der Bildungsgrad, umso ausführlicher, detaillierter und genauer ist die Zeitung, die man morgens gerne zum Frühstück lesen möchte. Lässt sich aus Lesverhalten „seiner“ Zeitung auch die politische Meinung ableiten? Dieser Frage ging 2005 eine Forschergruppe nach und untersuchte die Leserpräferenz von verschiedenen Zeitungen – und dem jeweiligen Wahlverhalten. Wenig überraschend ist eine niedrige Wahlbeteiligung bei den britischen Bild-Pedanten „Sun“ and „Daily Star“ sowie eine doppelt so hohe Wahlbeteiligung gemessen an den Prozentpunkten bei den anspruchsvolleren Seiten „The Guardian“ und „The Independent“, außerdem hat die Studie ergeben, dass die Leser der letzten Zeitung in der Majorität progressiv wählen, während die Leser der Murdoch-Blätter eher konservativ wählen.
Eine Gemeinsamkeit haben alle britischen Blätter: Sie sind in der Regel nicht besonders Europa enthusiastisch, werfen den Fokus gerne auf die Schattenseite der europäischen Vereinigung und positionieren sich in ihren politischen Kommentaren zu Europa gegen einen weiteren Ausbau und Vertiefung der Union.